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# taz.de -- „Wann, wenn nicht jetzt“-Marktplatztour: Wo, wenn nicht in Cott…
> Die Tour gegen Rechts macht in Cottbus Station. In der Stadt, die nach
> der Wende viele Einwohner verlor, wird besonders deutlich, warum das so
> wichtig ist.
Bild: „Wann, wenn nicht jetzt“ am Samstag in Cotbus
Cottbus taz | Cornelia Meißner steht dort, wo in Cottbus mal das Leben
tobte, und erzählt. Von der Mokka-Milch-Eisbar Kosmos, 1969 eröffnet, als
das Weltraumfieber in vollem Gang war. Sternchen hieß das ungewöhnliche,
sechszackige Gebäude mit den großen Glasflächen bei den Cottbusern. Es war
so beliebt, dass sich oft lange Schlangen vor dem Eiscafé bildeten.
Meißner erzählt von den verglasten Pavillons, die Geschäfte, Cafés und eine
Teestube beherbergten, dazwischen Brunnen, Skulpturen und kunstvolle
Reliefs. Von der unterirdischen Bowlingbahn und der Diskothek, in die nur
reinkam, wer die Türsteher kannte. Von der Zeit, als das Kohlezentrum
Cottbus eine Boomtown war und die Bewohner dafür mit einem neuen
Stadtzentrum samt „Flaniermeile für die Werktätigen“ belohnt wurden.
Etwa 15 Menschen hören Meißner zu, die schwärmt und gestikuliert. Die
CottbuserInnen in der Runde nicken, die älteren werfen ihre eigenen
Erinnerungen ein. Wer nicht aus Cottbus kommt, kneift die Augen zusammen,
legt den Kopf schief und versucht, sich das alles vorzustellen: So soll es
hier mal ausgesehen haben, wo sich jetzt eine mit Bauzäunen abgegitterte
Brache erstreckt? „Du bist wunderschön, Baby“ hat jemand in riesigen
Buchstaben auf einen mit Spanplatten verhängten Zaun gesprüht, und es ist
eher unwahrscheinlich, dass er diesen Ort gemeint hat.
Cornelia Meißner gehört zur Cottbuser Initiative „Stadtpromenade für alle�…
die mit der Stadtführung an diesem Samstag ihren ersten öffentlichen
Auftritt hat. Der Spaziergang mit dem schönen Namen „Trauriges Herz“ ist
ein Teil des Programms der Veranstaltungsreihe [1][„Wann, wenn nicht
jetzt“], die in diesem Sommer durch zwölf Städte im Osten tourt und an
diesem Samstag unter anderem hier in der Lausitz Station macht.
Mit Konzerten und Lesungen, Workshops und Diskussionsveranstaltungen wollen
die Organisatoren nicht nur einen Kontrapunkt zum Landtagswahlkampf der AfD
setzen und progressiven Kräften vor Ort den Rücken stärken, sondern auch –
30 Jahre nach 1989 – eine Art Erinnerungspolitik von links gegen die rechte
Vereinnahmung des damaligen Umsturzes und der Nachwendegeschichte in
Stellung bringen.
## Antikapitalistische Erzählung
Wer Cornelia Meißner zuhört, die in Cottbus als Kommunikationstrainerin
arbeitet und sich seit vergangenem Jahr auch in der Linkspartei engagiert,
wundert sich, warum es solche Versuche nicht viel häufiger gibt. Denn die
Nachwendegeschichte mit einer antikapitalistischen Stoßrichtung zu erzählen
ist eigentlich so viel einfacher, als Ausländer und Flüchtlinge für die
Probleme in Ostdeutschland verantwortlich zu machen.
Beispiel neues Stadtzentrum: Nach der Wende ging das Gelände erst an die
Treuhand, dann an einen Investor. Sternchen und Pavillons verfielen und
wurden schließlich in den Nullerjahren abgerissen. Seitdem passiert hier
gar nichts mehr, die Brache rottet vor sich hin. Seit Jahren ringen Stadt
und Investor um Bebauungspläne, und es scheint, als sitze der Investor am
längeren Hebel.
Doch statt über solche Themen scheint Cottbus insbesondere in den letzten
beiden Jahren vor allem über eins reden zu wollen: Flüchtlinge. [2][AfD und
der flüchtlingsfeindliche Verein Zukunft Heimat] haben hier vorgemacht, wie
der Zusammenschluss zwischen Partei und Bewegung, den vor allem die
ostdeutschen Landesverbände der AfD propagieren, aussehen kann.
Der traditionell konservative, politisch fast schon sächsisch anmutende
Brandenburger Süden, die im Strukturwandel begriffene Lausitz und die gut
verankerte rechte Szene in Cottbus und Umgebung machen die Stadt für AfD
und Co besonders interessant. Im Winter zum Jahr 2018 spitzte sich die
Situation nach mehreren teils gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen
Deutschen und syrischen Flüchtlingen zu. [3][Die Kundgebungen von Zukunft
Heimat hatten mitunter mehrere tausend Teilnehmer].
Seitdem ist es wieder etwas ruhiger geworden in Cottbus. Doch nichtweiße
Menschen erzählen, dass sich das Klima nachhaltig verschärft habe. Für die
Stadt, die seit der Wende mit sinkenden Einwohnerzahlen zu kämpfen hat –
von einst 125.000 Einwohnern sind noch etwa 100.000 übrig geblieben – und
sich angesichts des Strukturwandels neu erfinden muss, ist das auch ein
Standortproblem.
Wo die Kühe mager sind wie das Glück
Auf dem Platz vor dem Cottbuser Stadthaus, wo „Wann, wenn nicht jetzt“ an
diesem Samstag Station macht, sitzt Martina Bartfai auf einer der Bierbänke
und hört dem Liedermacher auf der Bühne zu. Ihre Tochter hat sie heute
hierhin geschleppt. Die ist zwar längst nach Leipzig gezogen, weil jungen
Leuten da mehr geboten wird als in Cottbus, aber sie macht dieses
Wochenende Heimatbesuch. „Es ist schön, wenn mal was passiert“, sagt
Bartfai.
Die Zeiten, in denen in Cottbus umsonst und draußen noch richtig was los
gewesen sei, seien schließlich lange vorbei: Der Auftritt Roland Kaisers
zur Eröffnung der Bundesgartenschau ist fast 25 Jahre her, auf dem
Stadtfest gebe es fast nur noch Fressbuden, und „Jahrmarkt war auch schon
ewig nicht mehr jewesen“. Solche Highlights kann auch die Cottbuser „Wann,
wenn nicht jetzt“-Station nicht ersetzen, deren Besucherzahlen sich bis zum
Abend im dreistelligen Bereich bewegen werden.
Trotzdem blitzt hier etwas auf: In einer gut besuchten Podiumsdiskussionen
erzählen Cottbuser Aktivisten der DDR-Bürgerrechtsbewegung von den
Ereignissen 1989 – und müssen sich dabei auch die Frage gefallen lassen,
warum aus den Überbleibseln dieser Bewegung den rechten
Vereinnahmungsversuchen derzeit so wenig entgegengestellt wird. An den
Infoständen präsentieren sich Initiativen aus der Stadt, junge Cottbuser
verkaufen alkoholfreie Cocktails, und am Nachmittag wird das Treiben von
einer Band musikalisch untermalt, die Songs des Lausitzer Musikers und
Kohlebaggerfahrers Gerhard Gundermann covert.
„Hier bin ich geboren, wo die Kühe mager sind wie das Glück“, beginnt ein
1995 veröffentlichtes Lied des in Hoyerswerda aufgewachsenen Sängers, der
dann erzählt, was hier alles nicht so toll ist und warum er trotzdem nicht
weggeht. Wenn es im Osten mehr Versuche gäbe, auf diese Art über die eigene
Herkunft und Heimat zu reden wie hier an diesem Samstag in Cottbus, dann
wäre schon viel gewonnen.
4 Aug 2019
## LINKS
[1] /Festival-gegen-Rechtsextremismus/!5612695
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[3] /Linke-und-rechte-Demonstrationen/!5479626
## AUTOREN
Malene Gürgen
## TAGS
Cottbus
Solidarität
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Andreas Kalbitz
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