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# taz.de -- Arbeit in Serie: Musikschullehrerin: „Ich komme mit wenig aus“
> Heike Linke hat über sieben Jahre studiert und arbeitet seit 20 Jahren
> als Musikschullehrerin. Ihr Traumjob hat einen Preis: Vermutlich
> Altersarmut.
Bild: Für Philharmoniekarten reicht das Musikschullehrerinnenhonorar nicht
## Der Arbeitsort
Holprige Klavierklänge aus dem Zimmer links, von gegenüber eine Harfe,
weiter hinten schnarrt eine Geige und in der Ferne rumpelt ein Schlagzeug.
„In der Musikschule ist hinter jeder Tür Musik“, sagt Heike Linke. Eine
Freude sei es, hier zu unterrichten. Das Glück hat sie nicht immer, zu
wenig Räume für den riesigen Bedarf. Für einige Kurse muss Linke in die
angrenzende Grundschule ausweichen: Turnhallenbänke an den Wänden, ein
schmuckloses Schulklavier in der Ecke. Die drei Schränke für ihre Trommeln
und Klanghölzer, bunten Tücher und Reifen, „die sind hart erkämpft“.
## Der Mensch
Braune Haare zum Zopf gebunden, die Kleidung praktisch, der Körper drahtig,
Lachfalten um die Augen. Laut, leise, schnell, langsam: Ihr Job heißt immer
in Bewegung sein. Mit 3-Jährigen samt Eltern im Sitzkreis, mit 4-Jährigen
singen und tanzen, mit 5-Jährigen den Rhythmus auf der Trommel suchen.
Heike Linke ist fast 50 und seit über 20 Jahren Musikschullehrerin. Als
freie Honorarkraft, feste Jobs sind die Ausnahme in diesem Beruf. Bis zu
zwölf Kinder unterrichtet Linke pro Kurs, vor allem die Kleinen bis 6
Jahre, in musikalischer Früherziehung.
## Wie alles begann
„Ich bin mit vier Geschwistern aufgewachsen in der DDR, bei uns zu Hause
war immer das Klavier parat, wurde immer gesungen, in der Schule genauso.
Mein Instrument ist meine Stimme, Sopran. Ich wollte ursprünglich auf die
Bühne, habe Gesang studiert. 1989 war das. Alles im Umbruch, die ganzen
kleinen Theater machten dicht, es gab einen Haufen Sänger und gar nicht
mehr die Kapazitäten am Rest der Häuser. Aber ich habe dann sogar ein Jahr
am Theater gearbeitet, im Chor, und war da überhaupt nicht glücklich.
Ich hatte ein Traumschloss aufgebaut als Jugendliche, das mit der Realität
nichts zu tun hatte: Intrigen, Hierarchien. Ich wollte eine ehrliche
Arbeit. Eine, bei der mir die Menschen sofort ins Gesicht sagen, das macht
Spaß oder eben nicht. Ich habe dann einmal in eine Stunde musikalische
Früherziehung reingeschnuppert und es war klar, das ist genau das. In
Berlin konnte man elementare Musikpädagogik berufsbegleitend studieren, so
kam ich hierher.“ Siebeneinhalb Jahre Studium werden es am Ende sein, seit
1998 unterrichtet Heike Linke an Berliner Musikschulen.
## Die Branche
80 Prozent Honorarkräfte, die in den Ferien, viele auch bei Krankheit und
im Mutterschutz kein Geld bekommen: „Lange waren die Verhältnisse an den
Musikschulen kein Thema, es gab praktisch keine Chance auf Festanstellung“,
sagt Linke. Ein Unikum in Deutschland, nirgendwo sonst gibt es so viele
freie MitarbeiterInnen, die den Musikschulbetrieb aufrechterhalten. „In den
letzten Jahren ist die Stimmung immer besorgter geworden.“
Vielen Älteren droht die Altersarmut. Linke hat auch KollegInnen, die über
70 Jahre alt sind, die einfach nicht aufhören können zu arbeiten.
## Die Arbeitszeit
An zwei Musikschulstandorten arbeitet Heike Linke 12 Stunden pro Woche – so
viele werden ihr zumindest bezahlt, die reine Unterrichtszeit. Dazu kommen
Vor- und Nachbereitung, jeden Monat die Honorarabrechnung. „Aber das zähle
ich gar nicht zusammen.“ Die Unterrichtsstunden liegen vor allem in den
Nachmittags- bis Abendstunden – dann, wenn die Kinder aus den Kitas und
Ganztagsschulen kommen. „Familienfreundlich ist der Job nicht“, sagt die
zweifache Mutter, alleinerziehend, die oft nicht vor sieben zu Hause ist.
„Aber ich habe auch eine gewisse Freiheit, kann spannende Projekte
annehmen, wenn sie kommen.“ Linke gibt noch Kurse an der
Landesmusikakademie, in einer Kita, an der Uni.
## Die Bezahlung
Was bleibt übrig am Monatsende? „Eine Erfahrung, die Freude.“ Heike Linke
lacht. In Monatslöhnen rechne sie nicht, sondern in Schuljahren: Im
September, nach den großen Ferien, in denen sie anders als die
Festangestellten kein Geld bekommt, ist alles alle. Nur mit Disziplin und
den zusätzlichen Jobs überbrückt sie zwölf Wochen Ferien im Jahr. „Der 1.
Mai neulich, Tag der Arbeit – für mich war das kein Feiertag. Der Mittwoch
ist mein arbeitsreichster Tag und an einem Feiertag geht mir mein ganzes
Honorar verloren.“
Im vergangenen Jahr hatte sie ein Bruttoeinkommen von 18.000 Euro. „Da
bleibt nichts übrig, gar nichts“, mit zwei Kindern, kaum Unterhalt und
einer Monatsmiete von 850 Euro. Was sie sich leistet? „Einkaufen im
Bioladen, aus Überzeugung. Urlaub im Zittauer Gebirge oder mal an der
Ostsee, aber nicht im Sommer, dann ist es zu teuer.“ Stellen die Kinder
keine Ansprüche? „Wenn ich sage: Urlaub oder neue Klamotten, ist die
Entscheidung klar. Beides geht nicht.“ Zufrieden sei sie trotzdem, nur
passieren dürfe nichts. „Meine Waschmaschine ist 20 Jahre alt und mein Auto
hat 150.000 Kilometer, aber die halten durch, die kennen meinen
Geldbeutel.“
## Das Gewissen
Rein. „Das ist die ehrliche Arbeit, die ich gesucht habe.“ Eine Arbeit, die
den Kindern nütze, der Gesellschaft und ihr selbst.
## Die Wertschätzung
„Wenn ich merke, was es für einen Run auf meine Kurse gibt, wenn die Kinder
mich umarmen und singend aus der Musikschule laufen, dann fühle ich mich
immer wieder wertgeschätzt, ja.“ Und von der Politik? „Da ist viel in
Bewegung gerade. Das hätte vor zehn Jahren niemand gedacht, dass mal wieder
neue Stellen ausgeschrieben werden. Wie viele das sind und zu welchen
Bedingungen, das steht auf einem anderen Blatt, da ist noch nicht alles
perfekt.“ Vor Kurzem sah es beinahe so aus, als könnte auch Heike Linke
noch einmal auf eine Festanstellung hoffen, die halbe Stelle hatte sie
schon fast sicher. „Aber die hätten mich mit 0 Jahren Berufserfahrung
eingestuft, das war für mich nicht zu ertragen.“ Sie hätte kämpfen können,
aber „so viel Kraft habe ich nicht, die brauche ich für was anderes“.
## Die Perspektive
Was steht in der Renteninformation? „Unter der Brücke Nummer drei. Nee, im
Ernst, 300 Euro oder so. Ich zahle in die Künstlersozialkasse ein und kann
sonst nichts zurücklegen. Aber ich habe da irgendwann einen Cut gemacht,
weil klar war, wenn ich über das Älterwerden nachdenke, werde ich verrückt.
Ich muss jetzt leben, heute und morgen. Ich habe eine wunderbare Arbeit,
die ich gern mache. Und ich bin gesund. Ich darf mir keinen Kopf machen,
was in zehn Jahren ist.“
Und doch hat sie vor einem halben Jahr ernsthaft in Erwägung gezogen, als
Quereinsteigerin an die Grundschule zu wechseln, noch einmal 5 Jahre
Ausbildung. Aber die Rechnung – finanzielle Sicherheit versus kreative
Freiheit –, sie ging für Heike Linke auch an dieser Stelle nicht auf. Also
freie Musikschullehrerin, bis sie nicht mehr kann? „Ich habe eine
Musikpädagogin erlebt, die hat sich mit 80 auf dem Fußboden gekugelt wie
ein Osterei. Das geht.“
Linke hofft auf den Tarifvertrag, um den die freien MusikschullehrerInnen
zusammen mit der Gewerkschaft seit Jahren kämpfen, der mehr Honorar und
Absicherung bringen soll. Und welche Pläne hat sie sonst? „Ich sage immer
zu meinen Kindern: Wenn sie 18 sind, ziehe ich aus. Dann suche ich mir eine
ganz kleine Bleibe, vielleicht einen Zirkuswagen irgendwo auf dem Land. Ich
komme mit ganz wenig aus. Und vielleicht kommt dann noch mal eine neue
Perspektive, auf jeden Fall aber bleibt die Musik.“
## Was kaufen Sie sich von unverhofften 100 Euro?
„Karten für die Philharmonie. Das kann ich mir sonst nicht leisten.“
14 May 2019
## AUTOREN
Manuela Heim
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