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# taz.de -- Arbeit in Serie: Museumswärter: „Wir sind von der Arbeit vergift…
> Jacopo M.* ist dankbar für einen Job, den er für unzumutbar hält. Mehr
> als „Essen, Ficken, Schlafen“ ermögliche das Schützen von moderner Kunst
> nicht.
Bild: Nichtstun kann zermürbend sein: Oft sind Museumswärter*innen allein mit…
Der Arbeitsplatz
Picasso, Matisse, Paul Klee, Giacometti: Jacopo M. ist bei der Arbeit von
den Klassikern der modernen Kunst umgeben. Er ist da, um auf die Werke
aufzupassen. „Wir sind ja ein kleines Museum, weit weg von den Massen an
Touristen, die zum Beispiel auf die Museumsinsel strömen. Es macht einen
Unterschied, ob man acht Stunden am Tag stehen und aktiv die Kunstwerke
schützen muss, oder wie bei uns auch mal sitzen und lesen kann“, so der
Museumswärter.
Der Mensch
„Ich kenne die Namen von allen Künstlern, die bei uns ausgestellt sind, und
weiß auch etwas über sie.“ Literatur hat Jacopo M. in Italien studiert und
er meint, dieses Studium ermögliche ihm einen Zugang zur Kunst, der vielen
Kolleg*innen fehle. „Das ist eine Frage von Bildung. Insofern bin ich
vielleicht kein typischer Museumswärter.“ Der 45-Jährige trägt einen
melierten Vollbart und eine schmale Brille, dahinter kleine, freundliche
Augen, umgeben von Lachfältchen. „Auch wenn wir sehr unterschiedlich sind,
ist mir ein gutes Verhältnis zu den Kollegen wichtig.“ Vor 13 Jahren ist M.
aus Norditalien nach Berlin gezogen. „Damals waren die Clubs für mich noch
interessant. Heute bin ich eher für Kino und Konzerte zu haben.“
Wie alles begann
M. meint, es habe damals so schnell geklappt, weil in Berlin großer Mangel
an Bewachungspersonal herrsche. „Man denkt, meinen Job könnte auch ein
betrunkener Affe machen, aber selbst als Museumswärter kann man viel falsch
machen.“ Neben dem Wochenkurs biete die IHK auch eine Vollzeitausbildung
mit Prüfung an, erklärt M. „Das sind dann die Leute, die vorm Berghain
stehen oder Leichen von den Bahnschienen holen müssen, das wäre nichts für
mich gewesen.“ Die Firma, für die M. arbeitet, stellt heute das
Aufsichtspersonal für fast alle Berliner Museen, sagt er. Früher sei die
Dussmann-Gruppe dabei führend gewesen. Der Kunstschützer erzählt auch, dass
90 Prozent seiner Kollegen im Museum männlich seien. Davon hätten wiederum
90 Prozent weder eine Beziehung noch Familie. „Die meisten sind zwischen 50
und 60, das ist keine Arbeit für junge Menschen. Weil zu Hause nichts los
ist, kommen manche zwei Stunden früher zur Arbeit und frühstücken dann
gemeinsam.“
Die Arbeitszeit
Seit Kurzem arbeitet Jacopo M. in Teilzeit, Vollzeit wurde ihm zu viel.
„Für uns bedeutet Vollzeit 173 Stunden im Monat, durch
Krankheitsvertretungen und Überstunden werden das schnell mal 180 Stunden“,
so M. Die „leere Zeit“, die man als Museumsaufsicht hat, kann zermürben,
„aber wie man auf die ‚leere Zeit‘ reagiert, hängt auch wieder davon ab,
woher man kommt und wo man hinwill“, so der Aufpasser. „Man kann acht
Stunden über Hertha reden, acht Stunden die leere Wand anschauen oder sich
aktiv mit etwas beschäftigen. Als ich das erste Mal ein Buch mitgebracht
habe, galt ich als Revoluzzer. Zwei andere von uns machen das jetzt auch.“
Die Bezahlung
„Weil ich in einer WG wohne und keine Kinder habe, geht es für mich. Wir
verdienen 10 Euro brutto die Stunde (der gesetzliche Mindestlohn liegt
aktuell bei 9,19 Euro). Für jemanden, der 600 bis 800 Euro Miete bezahlt,
ist das aber schon ein Problem.“ Die Verträge der Wachleute sind zuerst auf
zwei Jahre befristet. Danach gibt es bei zufriedenstellender Leistung die
Chance auf einen unbefristeten Vertrag. „Viele gehen bei uns nicht in
Rente, weil sie das Geld noch brauchen. Oft machen die dann noch Aufsicht
als 400-Euro-Job. Da spielt aber auch so was wie ‚Treue zur Arbeit‘ mit
rein. Das heißt auch, dass manche krank zur Arbeit kommen, weil sie keine
Krankheitstage haben wollen. Andere müssen 10 oder 20 Überstunden machen,
um sich einen Zahnarztbesuch leisten zu können.“
Das Gewissen
„Il lavoro nobilita l’uomo“ – Die Arbeit adelt den Menschen. Das hat Ja…
M.s Vater ihm auf den Weg mitgegeben. Deshalb war es für ihn eine
Erleichterung, als er nach der langen Arbeitslosigkeit und dem Frust von
Hartz IV einen Job gefunden hat. Auch wenn dieser Job „ethisch nicht
neutral“ sei. „Alle Wachleute bei uns im Museum sind von der Arbeit
vergiftet. Da ist kaum Raum für das, was jemand will oder nicht will. Das
macht (er sucht online nach dem deutschen Wort) … grobschlächtig. Wenn man
sich das als Bedürfnispyramide vorstellt, sprechen wir von der untersten
Ebene: Essen, Ficken, Schlafen. Das ermöglicht unsere Arbeit. Aber was ist
mit der Ebene darüber: Freundschaft, Zufriedenheit, Intimität? Ich habe
glücklicherweise genug Abstand dazu. Ich hab Humor, nehme mir Pausen, gehe
ein Eis essen, denke an meine Hobbys, meine Freunde, meine Familie.“
„Vergiften ist ein interessantes Wort dafür. In meiner Heimat gibt es große
Chemiefabriken, wo die Leute sich wirklich bei der Arbeit vergiften. So
nervig wie der Wachdienst manchmal ist, bin ich doch dankbar, dass er mich
nicht körperlich krank macht.“
Die Wertschätzung
Die Leiterin von der Personalabteilung habe einmal gesehen, dass M. Bücher
lese und italienischen Museumsbesucher*innen die Ausstellungen erklärt,
erzählt er. Seitdem hätten die beiden kleine, kultivierte Gespräche.
Unter den Wachdienst-Kolleg*innen wünscht M. sich mehr Freundlichkeit und
Verständnis. „Wenn jemand mal krank ist, heißt es: Der hat heute keinen
Bock.“ Auch Rassismus sei ein Problem. M. denkt, dass die älteren
Kolleg*innen neidisch auf jüngere Zugezogene sind, weil diese mehrsprachig
agieren können.
Wertschätzung ist für Jacopo M., wenn ihm seine Freund*innen versichern,
dass er eigentlich zu gut für den Job sei. „Mach was anderes, sagen die
mir.“
Die Perspektive
„Bei uns kannst du dich noch so anstrengen, aber du wirst ja nicht
aufsteigen.“ Dass er jetzt nur noch in Teilzeit im Museum arbeitet, nutzt
M. deshalb für seine persönliche Weiterentwicklung. „Ohne Druck vom
Jobcenter kann ich mir jetzt eine zweite Arbeitsmöglichkeit bauen. Ich bin
natürlich auch schon 45 Jahre alt. Der Wachdienst ist jetzt Brotarbeit für
Miete und Steuern. Vielleicht kann ich in Zukunft als Nachhilfelehrer für
Italienisch arbeiten. Ich kann jetzt auch wieder mehr lesen.“
„Manchmal denke ich“, sagt Jacopo M., „ich könnte jetzt nach Italien
zurückgehen. Aus einer stärkeren Position heraus als damals.“
Was kaufen Sie sich für unverhoffte 100 Euro?
„An Musik und Filmen habe ich alles, was ich mag, Hitchcock zum Beispiel.
Kleidung kaufe ich ganz billig und ein neues Handy habe ich mir gerade
gekauft. Ich glaube, ich würde mir von den 100 Euro einen Sprachkurs bei
der Volkshochschule leisten. Das könnte mir bei der Arbeit helfen.“
Bei der Verabschiedung: „Das hab ich jetzt so gesagt, aber eigentlich würde
ich am liebsten einen Salsa- oder Merengue-Kurs machen.“
*Name geändert
26 Jun 2019
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
## TAGS
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