# taz.de -- Berliner SPD Landesparteitag: Müller spielt auf Zeit | |
> SPD verschiebt auf Parteitag Enteignungsbeschluss. Lehrer werden nicht | |
> verbeamtet. Regierender attackiert Koalitionspartner. | |
Bild: Haben sich schon mal schlechter verstanden: Fraktionschef Raed Saleh (l.)… | |
Immerhin: Er bleibt im Amt, anders als seine CDU-Kollegin Monika Grütters. | |
Michael Müllers SPD hat bei ihrem Parteitag am Wochenende nicht für die | |
Enteignung von Wohnungseigentümern gestimmt, die der Partei- und | |
Regierungschef klar ablehnt, allerdings auch nicht dagegen: Die rund 240 | |
Delegierten verschoben die Entscheidung auf den nächsten Parteitag im | |
Herbst. Bei der Frage einer erneuten Verbeamtung von Lehrern hingegen | |
legten sich die Sozialdemokraten fest und stimmten knapp dagegen. | |
Überraschend heftig griff Müller in seiner Eingangsrede die | |
Koalitionspartner Grüne und Linkspartei an und sprach ihnen einen gesunden | |
Menschenverstand ab – „so geht es nicht mehr weiter“. | |
Der Parteitag war von einem gewissen politischen Ausnahmezustand geprägt. | |
Vor zwei Wochen hatte die Linksfraktion den Zustand der rot-rot-grünen | |
Koalition heftig kritisiert und vor allem der SPD vorgehalten, ihren | |
Partnern nichts gönnen zu wollen. Am Freitag dann hatte Monika Grütters | |
ihren Rückzug vom CDU Landesvorsitz verkündet. Am kommenden Samstag | |
schließlich startet Stufe 1 des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. | |
enteignen“. Die Linkspartei hat sich bereits im Dezember auf ihrem | |
Parteitag hinter diese Initiative gestellt. Die Grünen lassen bis auf | |
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop auch wenig Zweifel daran, dass sie | |
Enteignung befürworten. Nun war die Frage: Folgt auch die SPD – trotz der | |
Festlegung Müllers, das Volksbegehren sei „nicht mein Weg“? | |
Nicht nur die Jusos, auch der Kreisverband Mitte um die | |
Bundestagsabgeordnete Eva Högl haben Offenheit für Enteignung gefordert. | |
Aber Müller und die Parteispitze wollten es auf harte Konfrontation nicht | |
ankommen lassen. Dem Parteitag empfahlen sie stattdessen, bis zum Herbst zu | |
diskutieren und dann abzustimmen, worauf sich auch die Jusos einließen. | |
„Wir würden eine Entscheidung über gefühlte Fakten treffen“, argumentier… | |
Julian Zado, Müllers Stellvertreter im Parteivorsitz. Finanzielle und | |
juristische Fragen seien noch offen. Für Robert Drewnicki, enger | |
Mitarbeiter Müllers im Roten Rathaus, kam eine Enteignung grundsätzlich | |
nicht infrage. Einen „marxistisch-antikapitalistischen Weg“ nennt er den | |
Antrag der Jusos und erinnert an Enteignungen zu DDR-Zeiten. „Aber es gibt | |
in dieser Stadt schon eine sozialistische Partei, wir sind eine | |
sozialdemokratische Partei“, sagt er. Nur knapp scheiterten die Jusos mit | |
einem Versuch, dass ihr Pro-Enteignungs-Antrag die Grundlage weiterer | |
Diskussionen bis zum nächsten Parteitag sein soll. Einigkeit gab es | |
zumindest beim Thema Mietendeckel, den der Parteitag ohne Gegenstimme | |
beschloss. | |
Die zentrale Debatte war somit die zur Verbeamtung von Lehrern. Über 40 | |
Delegierte gingen ans Rednerpult. Selbst die Befürworter taten sich schwer. | |
Berlin verliere schlicht Lehrer, weil es anders als alle anderen | |
Bundesländer nicht verbeamte, argumentierte Bildungssenatorin Sandra | |
Scheeres (SPD). Andere Redner bestritten das. Finanzsenator Matthias | |
Kollatz (SPD) sprach von einem „finanziellen Kraftakt“. Am emotionalsten | |
war der Auftritt von Fraktionschef Raed Saleh: „Können wir den Betrieb an | |
allen Schulen sicherstellen?“, fragte er. „Nein, wir können es nicht mehr.… | |
Verbeamtung müsse sein, um Lehrer zu halten oder zu gewinnen. | |
Müller selbst hatte sich kurz vor der Debatte gegenüber der taz noch hin- | |
und hergerissen gezeigt, die Abstimmung ist geheim. Der Parteitag ließ sich | |
weder von der Schulsenatorin noch vom Fraktionschef beeindrucken: Die | |
Gegner setzten sich mit 129 zu 108 Stimmen durch. Letztlich egal, so das | |
Fazit – Linkspartei und Grüne hätten bei Verbeamtung sowieso nicht | |
mitgezogen. | |
Dieses wiederkehrende Nichtmitziehen – so Müllers Sicht – war es, was den | |
Regierungschef bei diesem Parteitag umtrieb. „So geht es nicht weiter“, | |
sagte er vor den Delegierten, aber klar an Linkspartei und Grüne gerichtet. | |
Mit diesem „so“ meinte er deren Verneinung einer U-Bahn-Verlängerung und in | |
Sicherheitsfragen, vor allem was Videoüberwachung an | |
kriminalitätsbelasteten Orten betrifft. „Weder Andreas (Innensenator | |
Geisel, die Red.) noch ich wollen einen Überwachungsstaat einführen“, sagte | |
Müller. Er habe sich die Rundum-Überwachung in London und Moskau angeguckt, | |
„grauenvoll“ finde er das. | |
„Aber wenn die Berliner sagen: Es gibt in unserer Stadt 10 oder 15 Plätze, | |
da habe ich Angst, da wäre es gut, mit Kameras Verbrechen schneller | |
aufklären zu können – dann lasst uns das doch machen.“ Das würden „alle | |
Leute mit gesundem Menschenverstand“ so sehen. Per Twitter meldete sich | |
prompt Kultursenator Klaus Lederer, Kopf der Linkspartei im Senat: „Die SPD | |
Berlin kann sich gar nicht vorstellen, dass jemand in irgendeiner Frage | |
anderer Ansicht ist als sie. Also jedenfalls niemand mit Verstand.“ Das sei | |
ein erstaunliches Selbstbild. | |
31 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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