# taz.de -- Vor dem SPD-Landesparteitag: „Wir müssen einfach kapitulieren“ | |
> SPD-Fraktionschef Raed Saleh plädiert für Lehrer-Verbeamtung und | |
> Mietendeckel. Trotz vieler Konflikte hält er Rot-Rot-Grün weiter für die | |
> beste Koalition. | |
Bild: Raed Saleh im Berliner Abgeordnetenhaus, wo er seit 2011 SPD-Fraktionsche… | |
taz: Herr Saleh, es wirkt so, als hätten Sie den falschen | |
Koalitionspartner. | |
Raed Saleh: Wieso? | |
Weil bei den großen Brocken Neubau, Enteignung, Sicherheit, U-Bahn und | |
Verbeamtung die SPD auf einer Linie mit der CDU liegt, aber mit dem | |
nominellen Partner Linkspartei nichts geht. | |
Seitdem ich Politik mache, bin ich ein großer Freund einer linken Allianz. | |
Mit meinem Heimatbezirk Spandau war ich schon vor sieben Jahren berlinweit | |
der Erste, der ein rot-rot-grünes Bündnis gewagt hat. Da waren es einfache | |
Themen, die uns verbunden haben. Beispielsweise dass wir die Uferwanderwege | |
im Bezirk für alle offen halten, die Musikschule nicht verscherbeln oder | |
dass wir die Extremismusklausel abschaffen wollten – nein, ich bin mit | |
Rot-Rot-Grün ganz zufrieden. Von der Mentalität her sind uns Linkspartei | |
und Grüne sehr, sehr nah. | |
Mentale Nähe gut und schön, aber gerade bei Alltagsdingen, die Sie da aus | |
Spandau zitierten, funktioniert es auf Landesebene nicht bei Rot-Rot-Grün. | |
Aber nehmen Sie doch unser gemeinsames Projekt der Rekommunalisierung oder | |
dass wir Liegenschaften nicht mehr nach dem Höchstpreis verkaufen und uns | |
klar für eine weltoffene Gesellschaft und gegen Antisemitismus und | |
Islamfeindlichkeit positionieren. | |
Den Wechsel bei der Liegenschaftspolitik gab es doch schon unter | |
Rot-Schwarz, und gegen Antisemitismus wendet sich auch die CDU. | |
Trotzdem gibt es da Unterschiede – schauen Sie doch mal, was die CDU gerade | |
für ein Bild abgibt mit ihrem Führungsstreit. | |
Da hat doch die SPD das Copyright: Bei Ihnen wurde schon 2012 ein | |
Parteichef – Michael Müller – herausgefordert und abgewählt. Aber gehen w… | |
doch mal die großen Streitpunkte durch. | |
Gerne. | |
Fangen wir mit Neubau an: Der soll laut SPD oberste Priorität haben – aber | |
von der Linkspartei kommt es nicht so rüber, als ob sie dafür brennen | |
würde. | |
Es ist die Aufgabe der Politik, den Menschen das Leben in der Stadt so | |
einfach wie möglich zu machen. Noch bevor der Koalitionsvertrag | |
unterschrieben war, habe ich drei Sachen gesagt. Erstens: Berlin muss für | |
alle bezahlbar bleiben. Mein zweiter Satz war: Denken wir auch an die | |
Ränder der Stadt, sonst haben wir keine Chance! Und drittens: Wir müssen | |
auch für diejenigen Politik machen, die uns nicht gewählt haben. Und ich | |
kann Ihnen sagen: In den meisten Punkten sehe ich uns gerade auf dem | |
richtigen Weg: beim Mietendeckel, beim Nahverkehrsplan und darin, dass wir | |
keine Kitagebühren mehr haben und dass ab September kein Schulkind mehr in | |
Bussen und Bahnen zahlen muss. | |
Lassen wir mal dahingestellt, ob es sinnvoll ist, dass diese | |
Kostenbefreiung auch für Gutverdiener gilt – Sie haben jetzt nichts zum | |
Neubau und der zögerlichen Haltung der Linkspartei gesagt. | |
Die Linkspartei ist bemüht … | |
… „war stets bemüht“ steht auch in Arbeitszeugnissen, wenn einer nichts … | |
die Reihe bekommt. | |
So meine ich es ja auch. Sie ist bemüht, bei dem Thema voranzukommen, doch | |
es reicht nicht aus. Wir brauchen beschleunigte Verfahren, bessere Abläufe | |
zwischen Bezirk und Land – wir müssen bauen, bauen, bauen. Das steht aber | |
nicht im Widerspruch dazu, die Mieten zu deckeln und Wohnungen | |
hinzuzukaufen. Wir brauchen diesen Dreiklang aus bauen, deckeln, kaufen, | |
und dafür steht die SPD. | |
Der Mietendeckel ist für die SPD das mildere Mittel im Vergleich zu einer | |
Enteignung, wie sie die Linkspartei fordert. Die hält einen Mietendeckel | |
für mindestens genauso gravierend. | |
Das ist Quatsch. Ich habe ja schon mal gesagt, dass wir eine | |
mietenpolitische Revolution brauchen. Irgendwann ist eine Mieterhöhung nur | |
noch Gier, und ich möchte in meiner Stadt Berlin keine weitere | |
Gentrifizierungswelle. Ein Gutachten, das die SPD bei zwei renommierten | |
Juristen in Auftrag gegeben hat, sagt, dass der Mietendeckel möglich ist. | |
Regierungschef Michael Müller sagt zum Thema Enteignung und Volksbegehren: | |
„Das ist nicht mein Weg.“ Er scheint aber auch intern kämpfen zu müssen: | |
Auch für den SPD-Parteitag gibt es die Forderung nach Enteignung. Wo stehen | |
Sie? | |
Ich bin bei dem Thema hin- und hergerissen. Ich habe Verständnis dafür, | |
dass Mieter einen Hilferuf starten und sagen: Das, was die Deutsche Wohnen | |
da macht, das geht gar nicht. Die verhalten sich nicht nur unsozial, | |
sondern sogar asozial in dieser Stadt. Wenn die jetzt anfangen, ihre | |
bisherige Praxis zu überdenken, dann hat die Initiative zur Enteignung ja | |
schon was gebracht. Aber man darf den Begriff der Enteignung auch nicht zu | |
leichtfertig in den Mund nehmen. Das führt nämlich dazu, dass viele | |
Investoren abgeschreckt werden. Und die Initiative überzieht, wenn sie | |
sämtliche Unternehmen über einen Kamm schert – es gibt durchaus gute | |
Vermieter. | |
Ihre Partner bei Rot-Rot-Grün scheinen das anders zu sehen. | |
Gott sei Dank sind wir, obwohl wir in einer linken Koalition sind, drei | |
unterschiedliche Parteien. Stellen Sie sich mal vor, wir würden denken wie | |
die Linken oder die Grünen – das wäre doch kaum auszuhalten. | |
Noch weiter auseinander liegen Sie beim Thema Sicherheit. Die Linkspartei | |
macht beim Polizeigesetz nicht mit, will weder Fußfessel noch finalen | |
Rettungsschuss. Und gemäßigte Videoüberwachung, die gar nicht zu diesem | |
Gesetz gehört, will sie schon mal gar nicht. | |
In einer Koalition kriegt nie die eine Seite am Ende alles. Ich gehe fest | |
davon aus, dass wir den Knoten lösen können, wenn wir uns dazu jetzt als | |
Fraktionsvorsitzende zusammensetzen. Die Menschen erwarten, gerade nach | |
dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz, dass wir mögliche Gefahren auch | |
präventiv erkennen und beheben können. Ich bin überzeugt davon, dass die | |
Linke am Ende in dieser Frage zur Vernunft kommt. | |
Wie es gerade ausschaut, laufen Sie in einen Volksentscheid zu | |
Videoüberwachung hinein. „Auch Linken-Wähler wollen nicht Opfer werden“, | |
hat Innensenator Andreas Geisel jüngst gesagt. | |
Andreas Geisel hat recht. | |
Das scheint die Linkspartei nicht zu beeindrucken – die Grünen schließen | |
mehr Überwachung nicht per se aus. | |
Auch da glaube ich, dass man am Ende einen Kompromiss findet. Eine Stadt | |
wie Berlin braucht maximale Freiheit, aber sie braucht auch Sicherheit, | |
gerade wenn sie eine bunte, internationale Stadt bleiben will. Sicherheit | |
ist nichts Negatives – Sicherheit verhindert Willkür. Bei Willkür setzt | |
sich immer der mit den dicksten Muckis oder der größten Lobby durch – in so | |
einem Land möchte ich nicht leben. | |
Kommen wir zum U-Bahn-Bau. Ihre Fraktion will ihn … | |
…. und 80 Prozent der Berliner Bevölkerung wollen das auch. | |
Doch die Koalition streitet darüber. | |
Die Linke ist da gar nicht das Problem, da sind es die Grünen, die aus | |
ideologischen Gründen auf die Bremse drücken. Das kann ich nicht verstehen. | |
Märkisches Viertel, Heerstraße-Nord – warum verlängert man da nicht um eine | |
Station? Es ist doch nicht so, als würden wir ein komplett neues | |
U-Bahn-Netz bauen wollen – wir reden über drei, vier, maximal fünf | |
Verlängerungen. | |
Und zuletzt: Verbeamtung von Lehrern – eines der großen Themen beim | |
Parteitag. Da haben Sie bei der Klausur der Linksfraktion minutenlang dafür | |
argumentiert und sich dann doch nicht festlegt. Aber bei den | |
SPD-Delegierten am Samstag müssen Sie Stellung beziehen. | |
Ich lege mich heute bei Ihnen fest: Wir müssen wieder verbeamten. | |
Und wieso? | |
Ich habe in Spandau im SPD-Vorstand eine Stellvertreterin, die war ganz | |
vorne mit dabei, als wir 2004 die Lehrerverbeamtung abgeschafft haben. Die | |
sagt mir heute: Raed, wir müssen das wieder ändern, es geht nicht anders. | |
Und sie hat recht: Wir können nicht länger als einziges Bundesland nicht | |
verbeamten. Ich bin mir zwar sicher, dass wir mit unserer bisherigen | |
Haltung richtig liegen – aber wir können sie uns einfach nicht länger | |
leisten. | |
Aber es gibt doch gar keine Studie dazu, wie viele Lehrer tatsächlich | |
Berlin jährlich verlassen, weil sie anderswo, sogar gleich hinter der | |
Landesgrenze in Brandenburg verbeamtet werden. | |
Natürlich bleiben mehr Lehrer hier, wenn verbeamtet wird! Ich habe viele im | |
Freundeskreis, die in den vergangenen Jahren Lehrer geworden sind und | |
Berlin wegen der Nichtverbeamtung verlassen haben. Das sind doch Fakten, | |
man darf sich die Welt doch nicht schönreden. Wir brauchen diese Lehrer, | |
wenn wir nicht – gerade auch an den Brennpunktschulen – Kinder aufgeben | |
wollen. Wir haben diesen Kampf gegen die Verbeamtung verloren – wir müssen | |
einfach kapitulieren. | |
Das sehen die Koalitionspartner anders, und das bringt uns zu der großen | |
Frage zurück, wie es mit Rot-Rot-Grün weitergeht, wenn es so viel | |
Uneinigkeit gibt. Das Leben in Berlin soll doch einfacher werden, haben Sie | |
gesagt. | |
Wir haben doch vieles geschafft! Denken Sie nur an die Milieuschutzgebiete, | |
wo sich die CDU konsequent verweigert. An Projekte im Flüchtlingsbereich, | |
wo die CDU bis heute fremdelt. An den Stromnetzrückkauf, ein rotes Tuch für | |
die CDU. Trotz aller Herausforderungen, die es mit den Koalitionspartnern | |
gibt: Es ist und bleibt für Berlin die beste Koalition, und, ja, es ist | |
auch ein Modell für den Bund. Mit der CDU, wie sie sich gerade | |
präsentiert, möchte ich nicht koalieren. | |
28 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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