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# taz.de -- Berliner SPD: Wider die Armut im Nobelschuppen
> Die SPD-Fraktion verbringt das Wochenende in Klausur an der Ostsee,
> spricht sich dort für Volksbefragungen aus und kritisiert den grünen
> Koalitionspartner.
Bild: Bisschen Ostsee schnuppern: Berlins Regierender Bürgermeister Michael M�…
Weiter nur 15 Prozent in den Umfragen. Keine Besserung absehbar. Was tun in
einer solchen Situation, wenn man als SPD-Fraktionschef neben der
Europawahl im Mai auch noch die eigene Wiederwahl in zwei Monaten im Blick
hat? Es ist das klassische Mittel, zu dem Raed Saleh bei der Klausurtagung
der Fraktion greift: einen gemeinsamen Gegner außerhalb der eigenen Reihen
attackieren.
Nach Warnemünde sind die 38 SPD-Abgeordnetenhausmitglieder am Wochenende
gefahren, und dort, in einem Kongresshotel direkt an Wasser und Strand,
schießt sich Saleh auf die Grünen ein: Die Verkehrssenatorin Regine Günther
ist im Fokus wegen der Probleme bei der U-Bahn, aber auch die
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop als BVG-Aufsichtsratschefin. Und von der
Linkspartei als zweitem Koalitionspartner muss wieder die
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher herhalten, die aus Salehs Sicht
immer noch für zu wenig Neubau sorgt – „man muss bauen, bauen, bauen, ob es
der Frau Lompscher gefällt oder nicht.“
Es ist eine merkwürdige Atmosphäre bei dieser Tagung. Auch manche SPDler
tun sich schwer mit dem noblen Ambiente des Hotels, das teurer ist als
sonst bei Klausurtagungen üblich. Kristall-Lüstern nachempfundene Lampen
beim Abendessen im weitläufigen Raum „Ballsaal“, ein schicker
Wellness-Bereich – das mag nicht so ganz passen zu dem, über das die
Fraktion mit Meerblick unter anderem diskutiert: Mindestlohn, Pflege,
Obdachlosigkeit.
Aus der Fraktionsführung heißt es erklärend: Man habe wegen eines ganz
bestimmten Themas nach Mecklenburg-Vorpommern gewollt, und andere
Tagungshotels, die derart viele Leute – Abgeordnete plus Mitarbeiter,
Regierungsmitglieder und fast zehn Journalisten – unterbringen könnten,
gebe es dort nicht.
Dieses eine Thema soll nun jenes sein, von dem die Ministerpräsidentin des
Landes, Parteifreundin Manuela Schwesig, zur Begrüßung schwärmt: die
Möglichkeit der Volksbefragung. Nicht erst warten, bis sich Protest gegen
ein Projekt formiert und zu einem Volksbegehren gegen die Regierung führt,
sondern das Volk vorab mal fragen, auf Initiative des Parlaments.
Olympische Spiele etwa hätten ein Thema dafür sein können.
SPD-intern hält man es für möglich, dass das in Berlin ohne
Zweidrittelmehrheit zu beschließen wäre – also ohne dass die rot-rot-grüne
Koalition noch Stimmen von der Opposition dazuholen müsste. Doch die
Linkspartei will nicht mitziehen: Eine Befragung „von oben“ lehne man ab,
heißt es aus ihren Reihen prompt via Neues Deutschland aus Berlin Richtung
Rostock.
Fraktionschef Saleh versucht sich an diesem Wochenende in Optimismus,
verweist auf Beschlüsse wie zur Gebührenfreiheit in Kita und Hort, zum
Schulessen und zum Schülerticket für Bus und Bahn, für das Kinder nichts
mehr zahlen sollen – „darauf können wir auch ein bisschen stolz sein“. V…
Ministerpräsidentin Schwesig, die ebenfalls eine für alle beitragsfreie
Kita will, gibt es Argumentationshilfe, wie sich der Kritik begegnen lasse,
dass diese Entlastungen auch für Gutverdiener gelten: Aus Schwesigs Sicht
muss eben der Spitzensteuersatz rauf und die Vermögensteuer her, dann sei
es auch zu rechtfertigen, dass die dann mehr Steuern Zahlenden gleichfalls
von der Beitragsfreiheit profitieren.
Dass es im Land Berlin, von dem Saleh am Freitag im taz-Interview sagte, es
schwimme im Geld, durchaus noch andere Verwendungsmöglichkeiten gibt als
Beitrags- und Ticketfreiheit auch für Begüterte, zeigt sich wenig später
beim Thema Obdachlosigkeit. Da empfindet es Gastreferent Dieter Puhl, der
langjährige Leiter der Bahnhofsmission, als sehr unzureichend, dass die
rot-rot-grüne Koalition gerade mal 80.000 Euro zur Verfügung stelle –
mehrere Millionen hielte er für nötig. Mit Blick auf mehr und mehr
Obdachlose aus osteuropäischen Ländern ruft er Regierungschef Michael
Müller dazu auf, mit dem Bundespräsidenten zu einer „Osteuropa-Konferenz“
einzuladen.
Im öffentlichen Teil der Klausur – der, bei dem die Journalisten mit im
Saal sitzen dürfen – gibt es wenig Diskussionen zwischen Abgeordneten,
Konfrontatives schon gar nicht. Mit Blick auf die schlechte Lage der SPD
wirkt die Lust an internem Streit gering. Was auch dazu führt, dass die
Wiederwahl des noch vor einem Jahr sehr umstrittenen Fraktionschefs Saleh –
als Termin ist der 19. März festgelegt – sicher scheint. Eine
Gegenkandidatur ist nicht in Sicht, breite Kritik wie noch vor einem Jahr
gibt es auch nicht. Damals hatten zuvor Abgeordnete in einem Brief
Auftreten und Führungsstil des Fraktionschef gerügt. Auch Regierungs- und
Parteichef Michael Müller und Saleh scheinen sich derzeit miteinander
arrangiert zu haben, von einem „Burgfrieden“ kann man in der Fraktion
hören.
Statt nach innen geht der Blick auf die Koalitionspartner und ihre Bereiche
Verkehr und Bau. Und darum soll am Dienstag BVG-Chefin Sigrid Nikutta in
der Senatssitzung erscheinen und erklären, warum es bei Bus und Bahn
derzeit suboptimal läuft – was Saleh rustikal mit dem Satz beschreibt: „Die
Leute kotzen, die Leute sind sauer.“ Müller ärgert sich am Rande der
Klausur darüber, dass aus seiner Sicht die beteiligten Grünen-Senatorinnen
und die BVG-Chefin uneins über die Ursache der Misere sind: „Es muss doch
wenigstens zu klären sein, wo das Problem liegt.“ Nikutta vorzuladen, hat
für Saleh nichts Herabwürdigendes: „Frau Nikutta ist Angestellte der Landes
Berlin, sie muss sich Fragen gefallen lassen, das ist keine
Majestätsbeleidigung.“ Die SPD will auch auf U-Bahn-Verlängerung drängen,
wogegen sich bislang vor allem die Linkspartei stemmt.
Warnemünde soll offenbar einen Aufbruch darstellen – Saleh spricht von der
Europawahl im Mai als „Schicksalswahlkampf“. Mit ihren 15 Prozent ist seine
Berliner SPD Umfrage-Schlusslicht in der Koalition, wo die Grünen auf 23
Prozent gestiegen sind und die Linkspartei bei 18 steht. Für Saleh nur eine
Momentaufnahme: „Erst lag die Linkspartei vorn, nun liegen die Grünen vorn,
und im Wahlkampfjahr liegt dann wieder die SPD vorn.“ Von den
Journalistenplätzen aus lässt sich leider nicht gut sehen, ob die Gesichter
der Abgeordneten die Zuversicht ihres Chefs spiegeln. Beifallsstürme
bleiben in jedem Fall aus.
20 Jan 2019
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
SPD Berlin
Michael Müller
Raed Saleh
Schwerpunkt Volksentscheid Tempelhofer Feld
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Europawahl
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Raed Saleh
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