# taz.de -- Parteitag der Berliner Grünen: „Als scharfes Schwert“ | |
> Zeitgleich zum Grünen-Parteitag startet Samstag das Volksbegehren | |
> „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Landesvorsitzender Werner Graf im | |
> Interview. | |
Bild: Nur mit Mehrwegbecher: Werner Graf, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Di… | |
taz: Herr Graf, Berlin streitet über Enteignung und ein Volksbegehren dazu, | |
aber die Grünen blenden das Thema am Samstag bei ihrem Parteitag aus. Wie | |
kann das sein? | |
Werner Graf: Wir blenden das doch nicht aus. | |
Aber es liegt doch bislang kein einziger Antrag dazu vor. | |
Die großen Landesparteitage sind ja nicht die einzigen Gremien, in denen | |
wir uns damit beschäftigen können. Wir haben vor einiger Zeit bei einem | |
kleinen Parteitag darüber diskutiert und werden das Mitte Mai wieder machen | |
und dort auch einen Beschluss fällen. Die Frage ist nicht die der ersten | |
Stufe des Volksbegehrens, sondern wie es danach weitergeht. Ich wette, dass | |
die erst mal nötigen 20.000 Unterschriften innerhalb von zwei oder drei | |
Stunden zusammenkommen. | |
Das ist ja gerade die skurrile Situation: Die Unterschriftensammlung | |
beginnt am Samstag, aber die genau dann tagenden Grünen entscheiden erst | |
über einen Monat später, wie sie dazu stehen. | |
Es ist ja nicht so, dass wir dazu schweigen. Denken Sie an die letzte | |
Plenarsitzung im Parlament, da hat Katrin Schmidberger für uns eine | |
großartige Rede gehalten … | |
… in der sie das Volksbegehren begrüßte, ja – das war aber für die | |
Fraktion, Samstag geht es um die Partei. | |
Sie werden auch nicht gänzlich andere Zitate von den Parteivorsitzenden | |
finden. | |
Ihre führende Frau im Senat aber, Ramona Pop, hat davor gewarnt, „das Wort | |
Enteignung leichtfertig in den Mund zu nehmen“. | |
Leichtfertig sollte man das nicht in den Mund nehmen, das finde ich auch. | |
Bei dem im Volksbegehren adressierten Artikel 15 im Grundgesetz geht es | |
übrigens um Vergesellschaftung. Und wir wollen auch nicht einfach wild | |
enteignen – wir sind mitten in der Debatte, und es steht uns gut zu | |
Gesicht, bei solch schwierigen Fragen gründlich abzuwägen. Ist es richtig, | |
3.000 Wohnungen als Mindestgröße für Enteignungen festzulegen? Ist es nicht | |
notwendig, viele verschiedene Schritte gleichzeitig zu gehen? | |
Vorkaufsrecht, Milieuschutz, Mietendeckel, Abwendungsvereinbarungen, | |
stadtweite Sozialverträge … | |
… bei denen sich Eigentümer unter anderem verpflichten, auf | |
Nutzungsänderung, überzogene Modernisierung und überhöhte Mieten zu | |
verzichten. | |
Genau, und wenn das nicht ausreicht, brauchen wir auch eine | |
Vergesellschaftung als scharfes Schwert. Allein schon um Druck in den | |
Verhandlungen mit den ganzen profitgetriebenen Vermietern – ich rede jetzt | |
nicht von denen, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen – ausüben zu | |
können. Wenn wir bisher mit der Deutsche Wohnen verhandeln, lachen die uns | |
doch hinter vorgehaltener Hand aus. Die Politik muss hier wieder auf | |
Augenhöhe mit den Unternehmen verhandeln können. Am Ende wird eine einzelne | |
Maßnahme auch nicht ausreichen, um die Mieten- und Wohnungskrise in Berlin | |
zu lösen. Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen. | |
Jetzt sprechen Sie aber von einem Volksbegehren, wie Sie es gerne hätten, | |
aber nicht von dem, für das ab Samstag Tausende unterschreiben werden. | |
Warum? | |
Weil dort festgeschrieben ist: „Private Wohnungsgesellschaften, die mehr | |
als 3.000 Wohnungen besitzen, sollen enteignet werden.“ Von verschiedenen | |
Schritten steht da nichts. Das können Sie nicht ändern, dazu müssen Sie | |
sich positionieren. | |
Nein, denn das Verfahren ist anders. Wie gesagt, ich wette, die brauchen | |
für die 20.000 keine zwei Stunden. Und nach dieser ersten Stufe geht das | |
erst mal ins Abgeordnetenhaus und in die Fraktionen. | |
Ändern können Sie es trotzdem nicht – das Volksbegehren kann laut Gesetz | |
nur im Kern unverändert in die nächste Stufe gehen, wo dann rund 175.000 | |
Unterschriften zu sammeln wären. | |
Aber nur, wenn es tatsächlich in die zweite Stufe geht. | |
Wieso sollte das nicht passieren? | |
Beim Mieten-Volksbegehren 2015 hat der damalige Senat sich nach der ersten | |
Stufe mit den Organisatoren an einen Tisch gesetzt und über Gesetze und | |
Maßnahmen gesprochen, die dann eine Fortsetzung überflüssig machten. Ich | |
finde, dass der Senat auch hier die klare Aufgabe hat, mit den Initiatoren | |
gemeinsam ein solches Paket zu erarbeiten. Erst wenn das scheitert, kommen | |
wir an einen Punkt, an dem wir hopp oder topp sagen müssen. Aber an diesem | |
Punkt sind wir noch lange nicht. | |
Um mal grundsätzlich zu werden: Gerade haben Sie „profitgetrieben“ und | |
„gut“ gegenübergestellt – ist Profit per se schlecht und böse? | |
Nein, ich sage nicht, dass es per se schlecht ist. Ich sage bloß: Wenn der | |
Wohnungsmarkt mehr dazu dient, Hedgefonds – bei der Deutsche Wohnen etwa | |
ist Blackrock mit zehn Prozent beteiligt – Gewinne zu bringen, als den | |
Berlinerinnen und Berliner zu nutzen, dann läuft etwas gehörig falsch. Wir | |
in der Politik sind dafür da, Interessen auszugleichen – und es zeigt sich | |
seit Jahren eine komplette Schieflage auf dem Wohnungsmarkt zu Lasten der | |
Mieter. | |
Mal angenommen, es kommt zu keinem Kompromiss und zum Volksentscheid: | |
Machen die hohen Kosten, die dann drohen, keine Angst? Auf 28 bis 36 | |
Milliarden Euro beziffert der Senat die Enteignungskosten. | |
Nein, das macht mir keine Angst. Denn ich meine nach wie vor – und dazu | |
gibt es ja auch verschiedene Gutachten –, dass wir nicht zum Marktwert | |
vergesellschaften müssen. Und außerdem: Wer schon mal ein Haus gekauft hat, | |
der weiß: Man legt selten den ganzen Betrag auf einmal hin. | |
Und das Gleiche gilt für das Land Berlin? | |
Ja, genau. So betrachtet sehen die Zahlen, selbst die des Senats, schon mal | |
ganz anders aus. Wir müssten zu Beginn zwar einen Eigenanteil von drei bis | |
vier Milliarden Euro auf den Tisch legen, danach würde der Landeshaushalt | |
aber nur noch mit 100 Millionen Euro belastet. Bei den Zahlen der | |
Initiative wären wir bei einer jährlichen Belastung von 40 bis 60 Millionen | |
Euro. Die Wahrheit liegt dann wohl dazwischen – aber es ist beides machbar. | |
Selbst wenn das so wäre: Die Kritiker einer Enteignung sagen einen großen | |
Imageschaden für Berlin voraus: weniger Ansiedlungen, weniger neue | |
Arbeitsplätze. | |
Unser Problem ist ja gerade nicht, dass keiner zu uns kommen will. Ich habe | |
lange in Friedrichshain-Kreuzberg Politik gemacht hat und dort wurde den | |
Grünen immer vorgeworfen: So vertreibt ihr die Investoren! Doch was war? | |
Mercedes, Universal, Google, sie alle wollten zu uns. Wir haben doch das | |
Problem, dass die steigenden Wohnkosten dem Wirtschaftsstandort Berlin | |
schaden. | |
Als Regierungschef Müller vergangene Woche von einem Treffen mit dem | |
Deutsche-Wohnen-Chef berichtete, weitere Gespräche ankündigte und erneut | |
sagte, dass er dem Unternehmen früher landeseigene Wohnungen abkaufen will, | |
da haben Sie heftig protestiert. | |
Ich finde es wirklich nicht okay, dass wir die so teuer zum Marktwert | |
zurückkaufen sollen. Die Deutsche Wohnen hat sich nicht als Mieterfreund in | |
Berlin aufgeführt, im Gegenteil, und es wäre falsch, sie nun noch dafür zu | |
belohnen. Deswegen finde ich es nicht richtig, jetzt zu ihr zu laufen und | |
zu fragen: Zu welchem Preis willst du mir deine billigsten und | |
schlechtesten Wohnungen verkaufen? | |
Mit ihrer Kritik an Müller war das gegenseitige Kritisieren in der | |
Koalition komplett: Erst holzte die Linkspartei gegen die SPD, dann sagt | |
Müller beim SPD-Parteitag „So geht es nicht weiter“. Ja, wie geht es denn | |
weiter in der rot-rot-grünen Koalition? | |
Die SPD hat im Augenblick keine einfache Situation. Ich sehe das relaxed – | |
wir werden uns immer wieder hinsetzen und zu Kompromissen kommen. Wenn sich | |
Michael Müller beim SPD-Parteitag hinstellt und in seiner Rede draufhaut, | |
dann ist das auch seiner Rolle als Parteivorsitzender geschuldet – danach | |
ist es wieder seine Aufgabe als Regierender Bürgermeister, die | |
Regierungsarbeit gut zu managen. Da ist er jetzt in der Pflicht. | |
Das wirkt nicht wie eine Liebesbeziehung, sondern wie eine alternativlose | |
Zwangspartnerschaft. Oder, um beim Thema zu bleiben: wie ein bloßes | |
Zusammenwohnen wegen Wohnungsmangels. | |
Liebesbeziehungen sind Koalitionen sowieso nicht. | |
Auch nicht bei den Linken? Es ist so viel von mentaler Nähe zu hören. | |
Ich bin bei den Grünen eingetreten, weil die Grünen für mich die beste | |
Partei sind. Und mit den anderen koaliere ich, weil ich etwas zusammen | |
hinkriegen will. Ich sehe die meisten Schnittmengen und das beste | |
Reformprojekt hier in Berlin nach wie vor bei Rot-Rot-Grün. | |
4 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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