# taz.de -- Mietenwahnsinn in Berlin: Die große Unbekannte | |
> Durch Share Deals umgehen Immobilienunternehmen das Vorkaufsrecht und | |
> dürfen auch noch legal Steuern sparen. Die Bezirke sind bisher machtlos. | |
Bild: Spekulanten stoppen? Ja, nur wie ist die Frage | |
Rund die Hälfte aller Hausverkäufe in Friedrichshain-Kreuzberg sind Share | |
Deals, schätzt Florian Schmidt, grüner Bezirksstadtrat in | |
Friedrichshain-Kreuzberg. Genau weiß er das jedoch nicht. Und das, obwohl | |
Schmidt als jemand gilt, der sich besonders gut auskennt im Wohnungsmarkt | |
Berlins und als realpolitische Speerspitze im Kampf gegen Unternehmen wie | |
die Deutsche Wohnen gefeiert wird. „Die Praxis ist ein untragbarer | |
Zustand“, sagt er. | |
Der Share Deal („Anteilskauf“) ist und bleibt die große Unbekannte des | |
Immobilienmarkts. Der englische Begriff bezeichnet einen einfachen | |
Verkaufstrick in der Immobilienbranche, mit dem sich die großen Player auf | |
dem Markt oftmals der Grunderwerbssteuer entziehen. Mehr noch: In sozialen | |
Erhaltungsgebieten, die besonders von Mietsteigerungen und Verdrängung | |
bedroht sind, lässt sich so auch das kommunale Vorkaufsrecht umgehen. Denn | |
in diesen Milieuschutzgebieten kann der Bezirk zwar einen Verkauf von | |
Immobilien untersagen und selbst zugunsten städtischer | |
Wohnungsgesellschaften zuschlagen, aber nur, wenn er das auch mitbekommt. | |
Share Deals nämlich sind der blinde Fleck der Bezirke: Der Verkäufer | |
überträgt das Haus in eine eigens dafür gegründete Firma und verkauft dann | |
einfach die Anteile dieser GbR oder GmbH. De facto wird dann kein Haus und | |
auch kein Grundstück verkauft, sondern nur Anteile an einer Firma. Der | |
Eintrag im Grundbuch ändert sich nicht und die Bezirke merken nichts. Die | |
nämlich erfahren nur von einem Hauskauf, wenn ein Notar den | |
Grundbucheintrag ändert – genau das aber passiert nicht bei einem Share | |
Deal. Und wenn die Firma nur 94,9 Prozent der Anteile kauft, wird nicht | |
einmal Grunderwerbssteuer fällig. | |
So entziehen sich große Wohnungsunternehmen zum einen der | |
Grunderwerbssteuer und auch einem etwaigen Vorkaufsrecht der Bezirke. Die | |
Spekulation mit Wohnraum funktioniert auf diese Weise ungebremst, effektiv | |
und oftmals auch unbemerkt. | |
Und das tun sie mutmaßlich gar nicht mal so selten. Genaue Zahlen gibt es | |
zwar nicht, aber eine grobe Richtung lässt sich dennoch beziffern: Die | |
Grünen haben in mehreren [1][Anfragen in vergangener] und [2][dieser | |
Wahlperiode] bei der Bundesregierung Zahlen für Berlin abgefragt, die | |
allerdings nur Minimalwerte sein dürften, weil eine Liste des | |
Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) große Lücken | |
enthält: Wenigstens 342.000 Wohnungen sind zwischen 1999 und 2018 als Share | |
Deal verkauft worden. Berlins größter Player auf dem Wohnungsmarkt, die | |
Deutsche Wohnen, kaufte im selben Zeitraum auf diese Weise mindestens | |
57.400 Wohnungen. Insgesamt gibt es laut Senat [3][1,9 Millionen | |
Mietwohnungen in Berlin]. Wie viel dem Senat und der Landeskasse an Steuern | |
genau entgeht, ist entsprechend nicht festzustellen. Finanzsenator Matthias | |
Kollatz schätzt, dass durch das Steuerschlupfloch dem Land Berlin | |
[4][jährlich rund 100 Millionen Euro flöten gehen]. Der Steuerrechtler | |
Henning Tappe von der Uni Trier bezeichnete die Grunderwerbssteuer kürzlich | |
bei [5][einer Anhörung im Bundestag gar als „eine Art Dummensteuer“]. | |
In der Liste der BBSR finden sich für die vergangenen drei Jahre dann auch | |
einige Deals, bei denen Berlin leer ausging: 2016 kaufte das Unternehmen | |
ADO Properties von einem unbekannten(!) Verkäufer 1.800 Wohnungen ohne | |
Grunderwerbssteuern zu zahlen. Ebenfalls von Unbekannt kaufte die Deutsche | |
Wohnen 2017 schlappe 3.700 Wohnungen – auch hier keine Grunderwerbssteuern | |
fällig und alles legal. Und 2018 ging die Vonovia auf Shoppingtour, als sie | |
von Börsenanlegern 24.700 Wohnungen in verschiedenen Bundesländern kaufte, | |
einen Teil davon auch in Berlin – ohne, man ahnt es, Grunderwerbssteuern zu | |
zahlen. „Share Deals sind Brandbeschleuniger für den spekulativen Handel“, | |
kommentierte die Fragestellerin Lisa Paus (Grüne) in der Morgenpost die | |
Zahlen. | |
„Das Vorkaufsrecht lässt sich leicht aushebeln“, sagt Florian Rödl, der an | |
Freien Universität eine Professur für Bürgerliches Recht inne hat. „Das ist | |
für Immobilienkonzerne eine überaus attraktive Angelegenheit. Ich kann mir | |
kaum vorstellen, dass das in Friedrichshain-Kreuzberg nicht intensiv | |
genutzt wird“, sagt er. | |
Eine rechtliche Handhabe für Kommunen gegen die Umgehung des Milieuschutzes | |
gibt es laut Rödl bisher nur unzureichend. „Zwar gibt es eine | |
Rechtsprechung, die Kriterien für eine bewusste Umgehung des Vorkaufsrechts | |
aufgestellt hat: Wenn eine Gesellschaft erst kurz vor einem Share Deal | |
gegründet wurde, nur das Haus und sonst nichts besitzt und die Gesellschaft | |
dann im Ganzen übertragen wird“, erklärt Rödl. Doch das helfe nur begrenzt. | |
„Es ist – jedenfalls mithilfe guter Anwälte – leicht, den Deal anders zu | |
gestalten: Man streckt etwa den Erwerb zeitlich und bringt noch Autos und | |
Wertpapiere in die Gesellschaft ein, schon ist der Umgehungsschutz wieder | |
umgangen“, sagt er. | |
Die Praxis des Vorkaufsrechts hält Rödl dennoch für „wegweisend“. So „… | |
man städtischen Boden aus der Markt- und Preisbewegung herausnehmen“, sagt | |
er. Damit den Bezirken nichts durch die Lappen ginge, sei es wichtig, | |
gleichzeitig die Praxis der Share Deals einzudämmen. Eine Idee hat Rödl | |
dazu bereits: „Vielleicht sollte jede Einbringung eines Grundstücks in eine | |
Gesellschaft meldepflichtig sein und unter bestimmten weiteren Umständen | |
das Vorkaufsrecht auslösen.“ | |
Ähnliches prüft derzeit auch Florian Schmidt. Ein dazu beauftragtes | |
Gutachten soll in zwei bis drei Monaten fertig sein. Ziel sei, dass künftig | |
auch Share Deals in irgendeiner Form meldepflichtig seien – vorstellbar sei | |
aber auch ein Vorkaufsrecht für eine gesamte Immobilie, selbst wenn nur | |
Teile davon verkauft würden. Darüber hinaus prüfe man jeden Verdacht auf | |
Umgehung des Milieuschutzes – allerdings seien Share Deals aufgrund der | |
Verschleierungstaktik der Unternehmen schwer nachzuweisen, so Schmidt. | |
Ob Maßnahmen für Bezirke wie Kreuzberg-Friedrichshain, wo die Mieten schon | |
sehr weit angestiegen sind, nicht viel zu spät kommen? Nein, sagt Schmidt: | |
„Wir haben auch noch viele Mietshäuser, die noch nicht aufgeteilt sind und | |
wo es noch niedrige Mieten gibt. Investoren nennen das Ertragslücken. Sie | |
werden weiter versuchen, diese zu erschließen.“ | |
29 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/119/1811919.pdf | |
[2] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/075/1907536.pdf | |
[3] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsbau/download/ausstell… | |
[4] https://www.morgenpost.de/berlin/article216641985/Warum-Berlin-beim-Verkauf… | |
[5] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/immobilien-investoren-sparen-mit-… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
## TAGS | |
Share Deals | |
Mietenwahnsinn | |
Florian Schmidt | |
Immobilienmarkt | |
Share Deals | |
Mietenwahnsinn | |
Share Deals | |
Immobilienspekulation | |
Florian Schmidt | |
Florian Schmidt | |
Grüne Berlin | |
Milieuschutz | |
Vorkaufsrecht | |
Deutsche Wohnen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ado wird zum Immobilienriesen: Deckel zwingt zum Kauf | |
Der in Berlin tätige Immobilienkonzern Ado Properties kauft die Adler Real | |
Estate. Der Kauf soll wohl die Folgen des Mietendeckels abmildern. | |
Neuregelung der Grunderwerbsteuer: Modell Holland gegen Share Deals | |
Die Grünen legen ein Gutachten zur Bekämpfung der Grundstücksspekulation | |
vor. Das könnte Finanzminister Scholz bei einem neuen Gesetz helfen. | |
Reform der Grunderwerbsteuer: Staat, Mieter und Bauern geprellt | |
Mit Share Deals umgehen Konzerne gerne Steuern sowie Regeln gegen | |
Wohnungsnot. Die Pläne der Regierung würden daran kaum etwas ändern. | |
Neuregelung der Grunderwerbsteuer: Scholz will Share Deals erschweren | |
Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung könnte die Spekulation auf dem | |
Wohnungsmarkt eindämmen. Die Unionsfraktion ist aber skeptisch. | |
Doku über Immobilienspekulation: Wohnen ist ein Menschenrecht | |
Das Leben in Städten wird zunehmend unbezahlbar: Die Doku „Push“ fragt nach | |
Ursachen und zeigt den Einfluss internationaler Investoren. | |
Deutsche Wohnen Berlin: Kommt doch runter! | |
In der Nachbarschaft der taz sollen 527 Wohnungen an die berüchtigte | |
Deutsche Wohnen verkauft werden. Dagegen gibt es Proteste. | |
Genossenschaft für Vorkaufsfälle: Eine frische und gewinnende Idee | |
Neue Mietergenossenschaft fürs Vorkaufsrecht gegründet, wenn kommunale | |
Unternehmen nicht einspringen können. Ein Wochenkommentar. | |
Parteitag der Berliner Grünen: „Als scharfes Schwert“ | |
Zeitgleich zum Grünen-Parteitag startet Samstag das Volksbegehren „Deutsche | |
Wohnen & Co. enteignen“. Landesvorsitzender Werner Graf im Interview. | |
Tutorial gegen Gentrifizierung: Bauanleitung Milieuschutz | |
Was tun, wenn Ihr Mietshaus vom Immobilien-Hai bedroht wird? Wie bringt man | |
seinen Bezirk dazu zum Vorkauf. Eine Anleitung in drei Schritten. | |
Vorkaufsrecht in Berlin: Bezirke spielen mit beim Monopoly | |
265 Wohnungen auf einen Schlag: Die Berliner Bezirke Mitte und Neukölln | |
haben im bislang größten Fall ihr Vorkaufsrecht geltend gemacht. | |
Rekommunalisierung: Showdown in der Karl-Marx-Allee | |
Rund 70 Prozent der Mieter wollen laut Stadtrat Schmidt (Grüne) bislang | |
mithelfen, einen Kauf durch die Deutsche Wohnen zu verhindern – Samstag ist | |
Fristende. |