# taz.de -- Staatsminister Roth über Frauen in der EU: „Ohne Quote wird nich… | |
> Vor dem Frauentag fordert Europa-Staatsminister Michael Roth eine | |
> feministische EU-Politik. Das nächste deutsche Kommissariat soll an eine | |
> Frau gehen. | |
Bild: Männer unter sich: Michael Roth (SPD) mit Kollegen im EU-Ministerrat | |
taz: Herr Roth, Sie bezeichnen sich als überzeugten Feministen. Was heißt | |
das für Sie? | |
Michael Roth: Treffender wäre Aktivist für Geschlechtergerechtigkeit. Aber | |
den Begriff Feminismus finde ich sehr gut, weil manchen Männern nach wie | |
vor der Kamm schwillt, wenn sie ihn nur hören. Feministen sind aus deren | |
Sicht die Anführer der politischen Korrektheit. Mir gefällt dieser | |
Kampfbegriff. Manchmal geht es ohne Konfrontation in der politischen | |
Auseinandersetzung nicht. | |
Feminismus ist noch immer ein Kampfbegriff? | |
Zu viele Männer haben massive Verlustängste. Sie sehen es eben nicht als | |
Gewinn, wenn die knappe Mehrheit der Gesellschaft am Haben und Sagen | |
angemessen beteiligt wird. Ich erlebe das zum Beispiel bei der | |
französischen Initiative #JamaisSansElles, der ich mich angeschlossen habe. | |
Wir verpflichten uns, nur an Veranstaltungen teilzunehmen, wenn eine | |
angemessene Repräsentanz von Frauen garantiert ist. Für nicht wenige Männer | |
ist das nach wie vor eine unangemessene Einmischung. Manche Veranstalter | |
sagen mir dann auch wirklich ab, weil es aus deren Sicht keine Expertinnen | |
in der Europapolitik gibt. Absurd! | |
„Angemessene Repräsentanz“ heißt fünfzig Prozent? | |
Schön wär’s! So weit gehen wir noch nicht mal. Angemessen bedeutet, dass | |
bei einer Gesprächsrunde zumindest ein oder zwei Frauen vertreten sind. | |
Vor einigen Wochen haben Sie in einer Rede eine „feministische | |
Europapolitik“ gefordert. Wie würde die aussehen? | |
Es geht beispielsweise um die Ausgabenpolitik. Ich bin für eine | |
geschlechtergerechte Aufstellung des EU-Haushalts, auch Gender Budgeting | |
genannt. Wir müssen bei allen Ausgabeposten genau schauen, wer davon | |
stärker betroffen ist: Männer oder Frauen? Von höheren Ausgaben für die | |
Landwirtschaft profitieren zum Beispiel eher Männer, weil sie in dem | |
Bereich im Durchschnitt stärker vertreten sind. Wenn wir beim Nahverkehr | |
kürzen, trifft das dagegen eher Frauen, weil sie generell die öffentlichen | |
Verkehrsmittel stärker nutzen. Wenn wir hier sensibler werden, macht das | |
die europäische Haushaltspolitik gerechter und damit auch besser. | |
Haben Sie für diese Forderung Unterstützung in Europa? | |
Wir Deutschen sind nun wirklich nicht immer die Pionierinnen und Pioniere. | |
Progressive Länder wie Schweden, Dänemark oder die Niederlande machen uns | |
oft vor, wie es geht. Gerade von meiner ehemaligen schwedischen Kollegin | |
Ann Linde und der schwedischen Regierung, für die feministische Außen- und | |
Europapolitik längst selbstverständlich ist, habe ich viel gelernt. Wir | |
stehen da nicht alleine. | |
Regierungen wie die in Ungarn oder in Italien wollen das Rad dagegen eher | |
zurückdrehen. Sind Sie auch mit denen im Gespräch? | |
In der EU steht jetzt die Aufstellung des Finanzrahmens für die Jahre 2021 | |
bis 2027 an. Dabei wird das Thema Gender Budgeting selbstverständlich | |
angesprochen. | |
Nach dem Rechtsruck in mehreren EU-Ländern ist die Umsetzung einer | |
feministischen Außenpolitik heute sicher schwieriger als sie es noch vor | |
fünf Jahren gewesen wäre. | |
Das stimmt. Feminismus ist für viele Nationalisten und Populisten, aber | |
auch Konservative, ein rotes Tuch. Da werden die richtig aggressiv. Das | |
macht die Dinge sicher nicht einfacher, aber davon darf man sich nicht | |
beirren lassen. Ganz im Gegenteil: Diese Herrschaften zu provozieren, kann | |
durchaus zu einem Bewusstseinswandel führen. | |
Zu einem Bewusstseinswandel könnte es auch führen, wenn Deutschland | |
vorangeht. Die Bundesregierung lehnt es bislang aber ab, ihren Haushalt | |
nach dem Prinzip des Gender Budgeting aufzustellen. Haben sie darüber mal | |
mit Finanzminister Olaf Scholz gesprochen? | |
Ja, zum Beispiel bei der Aufstellung des sozialdemokratischen Programms für | |
die Europawahl. Sie wissen auch, dass wir nicht allein in der Regierung | |
sind. Wir müssten da auch noch einen Koalitionspartner überzeugen. Aber im | |
Grundsatz haben Sie völlig recht: Was wir von Europa erwarten, sollten wir | |
auch im eigenen Laden umsetzen. | |
Wenden Sie das Prinzip zumindest schon im Außenministerium an? | |
Wie gesagt: Den Haushalt stellt die Bundesregierung auf, der mehrere | |
Parteien angehören. | |
Neben Geld geht es auch um Personen. Wie könnten Sie für mehr Frauen in der | |
EU-Politik sorgen? | |
Wir müssen die entsprechenden Gesetze auf den Weg bringen. Ohne | |
verbindliche Quote wird sich nichts zum Besseren wandeln. Dass die Parität | |
für Parlamente derzeit in aller Munde ist und in Brandenburg schon | |
beschlossen wurde, hat ja etwas mit dem Rollback zu tun, den Sie bereits | |
angesprochen haben. Wir waren viel zu naiv und dachten, dass langfristig | |
alles konsequent besser würde. Durch den Aufstieg von Nationalismus und | |
Populismus sind Fragen von Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit | |
aber wieder stärker in die Defensive geraten. Umso wichtiger ist es, dass | |
wir jetzt gesetzliche Vorgaben machen. Ohne die wird es am Ende nicht | |
funktionieren. | |
Paritätsgesetze, die den Parteien vorschreiben, ihre Wahllisten fifty-fifty | |
zu besetzen, [1][sind schon auf Länderebene umstritten]. Auf EU-Ebene wäre | |
es noch komplizierter. Wie wollen Sie die Parität durchsetzen? | |
Eine zentrale Vorgabe wird leider noch nicht funktionieren. Denn ein | |
europäisches Wahlrecht bedarf der Einstimmigkeit, und wir haben uns gerade | |
erst eine blutige Nase geholt, als wir transnationale Wahllisten | |
vorgeschlagen haben. Stattdessen müssten Mitgliedstaaten | |
eigenverantwortlich für ihre nationalen Listen Vorgaben auf den Weg | |
bringen. Die Mutigen und Progressiven werden am Ende vielleicht die | |
Skeptischen davon überzeugen, dass eine wirkliche Gleichberechtigung zu | |
einer besseren Politik führt und kein Mann davor Angst haben muss. Vor | |
allem in den Köpfen muss sich etwas verändern. | |
Das EU-Parlament ist das eine, die Kommission das andere. Was ist dort | |
möglich? | |
Einmal könnte sich das Europäische Parlament dazu verpflichten, nur dann | |
eine Kommission ins Amt zu setzen, wenn sie paritätisch besetzt ist. Und | |
zum anderen könnte die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangehen und | |
eine Kandidatin für die Kommission nominieren. | |
Wie praktisch, dass die SPD für die Europawahl eine Spitzenkandidatin hat. | |
Wollen Sie Katarina Barley in die Kommission schicken? | |
Katarina Barley wäre natürlich hervorragend geeignet. Aber darüber muss die | |
Bundesregierung erst noch entscheiden. | |
Gab es in der Regierung zumindest schon Gespräche über die | |
Selbstverpflichtung auf eine Frau als Kommissarin? | |
Ich würde mich freuen, wenn darüber zu gegebener Zeit ernsthaft verhandelt | |
wird. | |
Sie sagten vorhin, Parität mache die Politik besser. Warum soll das so | |
sein? | |
Männer sind ja nicht per se schlecht und Frauen nicht per se gut. Aber das | |
Miteinander verschiedener Perspektiven macht die Dinge prinzipiell besser. | |
Frauen sind in einigen Bereichen empathischer, viele haben auch selbst | |
Diskriminierung erlebt, das schärft den Blick. | |
Wenn das stimmt, wäre es naheliegend, auch die Führungspositionen im | |
Auswärtigen Amt paritätisch zu besetzen. Davon sind Sie aber noch weit | |
entfernt. | |
In den vergangenen Jahren hat sich vieles getan, aber bei Weitem nicht | |
genug. Gerade mal 16 Prozent der deutschen Auslandsvertretungen werden von | |
Frauen geführt. Aber bei den Abteilungsleitungen sind wir durch eine | |
bewusste Politik, die auch von Heiko Maas angestoßen wurde, schon einen | |
Schritt vorangekommen. Insgesamt haben wir inzwischen ein knappes Drittel | |
an Frauen in Leitungsfunktionen. | |
Was heißt bewusste Politik? Haben Sie Quoten für Führungspositionen? | |
Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, eine aktive Politik der | |
Geschlechtergerechtigkeit zu betreiben. Für jede Leitungsposition wird | |
gezielt nach Kolleginnen gesucht. | |
Sie sagten eben selbst: Freiwillige Quoten bringen nichts. | |
Es ist ein Anfang. In unserem Haus hat das Thema über viele Jahre hinweg | |
eine viel zu kleine Rolle gespielt. | |
Stoßen Sie mit Ihrem Kurs unter etablierten Diplomaten auch auf Widerstand? | |
Ich stoße natürlich auch auf Ängste von Männern, die sagen, das | |
benachteiligt mich doch. Die sehen das eben nicht als Chance, sondern als | |
Bedrohung für ihre ganz persönlichen Karriereperspektiven. Aber am Ende des | |
Tages wird sich die Einsicht durchsetzen, dass Geschlechtergerechtigkeit | |
gut für alle ist. | |
Warum ist die Außenpolitik denn traditionell so eine Männerdomäne? | |
Jahrzehntelang gab es dieses feste Bild des Diplomaten, der sich in den | |
Dienst des Vaterlands stellt und Deutschland international vertritt. Die | |
Ehefrauen und die Familien hatten dem zu folgen. Dieses traditionelle Bild | |
des Diplomaten hat sich komplett verändert. Wir sind inzwischen in der | |
jüngeren Generation gut aufgestellt. Unser Dienst ist da genauso weiblich | |
und bunt wie unsere Gesellschaft. Das Problem ist, dass wir erst am Anfang | |
stehen und das noch hochwachsen muss in die Entscheidungsfunktionen. Aber | |
ohne Steuerung und Bewusstseinswandel geht das viel zu langsam. | |
Sie haben bereits erwähnt, dass andere Länder weiter sind. Die schwedische | |
Regierung hat sogar ein eigenes [2][Handbuch für feministische | |
Außenpolitik]. Wäre das auch etwas für das Auswärtige Amt? | |
Wir im Auswärtigen Amt diskutieren das intensiv. Es ist ein Schwerpunkt | |
unserer Agenda für den VN-Sicherheitsrat. Ich plane auch mit meiner | |
französischen Amtskollegin und meinem neuen schwedischen Amtskollegen eine | |
Veranstaltung zu dem Thema. | |
Ein eigenes Handbuch ist also in Planung? | |
Ob es ein Handbuch wird, kann ich Ihnen nicht versprechen. Ich werbe aber | |
sehr dafür, dass das ein selbstverständliches Leitbild unserer Diplomatie | |
wird. | |
7 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Tobias Schulze | |
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