# taz.de -- Frauenkampftag 2019: Der Laufsteg der Sorgenden | |
> Mit einem „Chic Care Catwalk“ machen Frauen auf ihre Überlastung und | |
> Ausbeutung in der gering und unbezahlten Pflege- und Sorgearbeit | |
> aufmerksam. | |
Bild: Vor Überlastung zum Pflegeroboter mutiert: Performance einer Altenpflege… | |
BERLIN taz | Ruckartig wie eine Roboterin mit lila Perücke bewegt sich die | |
junge Frau mit steifen Armen und Beinen über den Laufsteg. Auf ihrer weißen | |
Pflegerinnenkleidung kleben Zettel: „Burn-out“ steht darauf, „prekäre | |
Arbeit“, „Stress“, „Überlastung“. Bei jedem ihrer Tippelschritte jub… | |
pfeift die Menge, die den „Catwalk“ umsteht – eine auf dem Bürgersteig | |
ausgelegte, fünf Meter lange Stoffbahn aus lila Velour. | |
Als die „Pflege-Roboterin“ am Ende der Bahn ankommt, tritt eine zweite Frau | |
vor, rupft die Zettel von Armen, Beinen und Bauch. Befreit reißt die | |
Robo-Frau die Arme hoch und ruft ins Mikrofon: „Ich will bessere | |
Arbeitsbedingungen, nicht mehr überlastet sein. Gute Pflege in der | |
Zukunft?“ In Siegerpose und getragen vom Konzert der Trillerpfeifen tritt | |
sie ab. | |
Mit dem „Chic Care Catwalk“ vor dem Bundesgesundheitsministerium in Mitte | |
hat ein Bündnis von Organisationen aus dem Pflegebereich am Donnerstag den | |
Frauenkampftag 2019 eingeleitet. Die Aktion soll Gesundheitssystemauf die | |
Überlastung und Ausbeutung von Frauen in der gering- und unbezahlten | |
Pflege- und Hausarbeit hinweisen. | |
„Frauen wird die Fürsorge und Pflege als in ihrem Wesen verankerte | |
Bestimmung zugeordnet und ihnen immer wieder von außen zugeschoben. | |
Entsprechende Tätigkeiten bleiben zu großen Teilen im Privaten und werden | |
marginalisiert“, erklärt Nora Mainke von der Interventionistischen Linken | |
(IL). Aber auch in der bezahlten Arbeit in Gesundheits- und Pflegeberufen | |
arbeiteten vor allem Frauen, seien daher auch hier die Hauptleidtragenden | |
von Überlastung und zu geringer Bezahlung. „Wir lassen uns nicht länger | |
ausbeuten, wir streiken!“, ruft die junge Frau den rund 100 Anwesenden zu, | |
die erneut mit viel Beifall antworten. | |
Viele ZuschauerInnen – darunter zahlreiche Männer – tragen Transparente | |
oder Fahnen, die sie als AktivistInnen der beteiligten Gruppen kenntlich | |
machen. Der „Volksentscheid Gesunde Krankenhäuser“ ist vertreten, die | |
Gruppe „Care Revolution Berlin“ – und Verdi mit rund 20 Streikenden der | |
Charité-Tochterfirma CPPZ, deren TherapeutInnen seit Monaten für eine | |
Wiedereingliederung in den Mutterkonzern kämpfen. | |
## Überlastungsanzeigen von Pflegenden | |
Das Besondere an der Aktion: Hier kommen auch Frauen zu Wort, die gar nicht | |
da sein können – weil sie bei ihrer Arbeit unabkömmlich sind. Die IL hat in | |
einer bundesweiten Aktion „Überlastungsanzeigen“ von Arbeiterinnen im | |
Pflegebereich gesammelt – analog zu den Überlastungs- und | |
Gefährdungsanzeigen, wie sie in Krankenhäusern fürs Pflegepersonal üblich | |
sind. | |
Einige werden von Aktivistinnen vorgelesen. Etwa die einer | |
Sozialarbeiterin, die 37,5 Wochenstunden arbeitet und zusätzlich rund 30 | |
Stunden pro Woche ihre Mutter pflegt. „Ich habe keine Freizeit, stehe | |
pausenlos unter Druck, fühle mich allein gelassen von den Behörden“, | |
schreibt sie – und fordert, dass pflegende Angehörige angemessen bezahlt | |
werden. | |
Nach der Würdigung der abwesenden Frauen ist der Laufsteg frei für | |
Anwesende. Anne, freiberufliche Hebamme, zum Beispiel ist „wütend“, dass | |
die Bundesregierung „eine teure Studie zu psychischen Folgen von Abtreibung | |
in Auftrag gibt“, und zugleich ihren Beruf durch immer neue Vorschriften | |
gefährdet. Mona, Patientin, erinnert sich an traumatisierende und krank | |
machende Krankenhausaufenthalte. Fionna, Krankenpflegerin, berichtet von | |
der täglichen Überlastung bei der Arbeit auf Station, davon, dass sie | |
Empathie geben will, es aber oft nicht schafft. „Ich verstehe nicht, warum | |
Autos und andere Dinge mehr Wert haben als wir Menschen, warum Profit mehr | |
zählt als unsere Arbeit“, sagt sie. | |
Am Ende ruft Kim Lippe, Aktivistin der IL und Moderatorin der Aktion, die | |
versammelten Frauen auf, die rund 50 eingesammelten Überlastungsanzeigen | |
gemeinsam im Ministerium abzugeben. „Es wäre schön, wenn jede Frau einen | |
der Briefe nimmt.“ Vor der Drehtür zum Amt bildet sich eine lange Schlange. | |
7 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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