# taz.de -- Terrorvorwurf aus Israel: „EU-Attacken sind Ablenkmanöver“ | |
> Israel beschuldigt die EU, Terror zu finanzieren. Israels Ex-Botschafter | |
> Ilan Baruch sieht darin eine Strategie, den Blick auf andere zentrale | |
> Themen zu verstellen. | |
Bild: „Die Siedlungen zu räumen wird schmerzhaft“, sagt Baruch | |
taz: Herr Baruch, die israelische Regierung [1][beschuldigt die EU in einem | |
jüngst veröffentlichten Bericht], palästinensische Terrorgruppen zu | |
finanzieren. Was hat es damit auf sich? | |
Ilan Baruch: Dieses [2][„Money Trail“-Dossier] ist eine oberflächliche | |
Internet-Recherche. Einzelne Personen wurden vor Jahren mit Organisationen | |
in Verbindung gebracht, die die israelische Regierung für terroristisch | |
erklärt hatte – das ist nun die schüttere Basis dieses Dossiers für die | |
Behauptung, dass die EU Terror finanziere. Es enthält keinen Nachweis, dass | |
die EU Terroristen unterstützt. | |
Neben der Förderung von Terrorismus soll die EU auch BDS unterstützen, die | |
Boykottbewegung gegen Israel. Ist das auch falsch? | |
Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der Europäischen Union, hat schon | |
zu dem [3][ersten „Money Trail“-Dossier] (vom Mai 2018, d. Red.) das Nötige | |
[4][gesagt]. Nämlich: Die EU unterstützt BDS nicht, aber sie setzt | |
Organisationen, die BDS unterstützen, auch nicht auf eine schwarze Liste | |
und sperrt jede Unterstützung für sie. | |
Wie stehen Sie zu BDS? | |
Ich unterstütze BDS nicht, im Gegenteil: Ich widerspreche energisch dem | |
Ziel, Israel zu isolieren. Aber ich bin der Meinung, dass, wer BDS | |
unterstützt, dies tun können sollte, ohne sanktioniert zu werden. Wir | |
brauchen mehr Differenzierung in der europäischen Außenpolitik. Europa | |
sollte konsequent zwischen Israel innerhalb der Grenzen von 1967 und den | |
Siedlungen in der Westbank und Ost-Jerusalem unterscheiden. | |
Die „Money-Trail“-Berichte kommen direkt von der Regierung: aus dem | |
Ministerium für Strategische Angelegenheiten. Sie sind reine Propaganda? | |
Weitgehend ja. Es ist Hochstapelei, ein Ablenkmanöver. Die Vorwürfe gegen | |
die EU und BDS sollen jede Kritik an dem Besatzungsregime disqualifizieren | |
und als antisemitisch brandmarken. Die Regierung von Benjamin Netanjahu | |
versucht mit den rhetorischen Attacken auf die EU die wirklich zentralen | |
Themen von der Agenda zu wischen. | |
Nämlich? | |
Dass es einen palästinensischen Staat nur geben wird, wenn Israel die | |
Siedlungen in der Westbank räumt. Das wird teuer, denn Israel hat viel in | |
die Siedlungen investiert. Die Siedlungen zu räumen wird schmerzhaft. Ein | |
anderes Thema, das verdrängt werden soll, ist: In der Westbank herrscht | |
eine Form von Apartheid. | |
Das ist in Bezug auf Israel und Palästina ein sehr umstrittener Begriff. | |
Warum benutzen Sie ihn? | |
Die Justiz in Israel hat kürzlich [5][einem Siedler Recht gegeben], der | |
Boden beanspruchte, weil er vor 1948 in jüdischem Besitz war. Er bekam | |
Recht, obwohl dort seit 70 Jahren Palästinenser lebten. Es ist | |
unvorstellbar, dass ein Palästinenser jemals solche Rechte geltend machen | |
könnte. Das ist Apartheid. Ich weiß dafür kein anderes Wort. In Israel | |
selbst existiert noch so viel Gleichheit zwischen den Ethnien, dass wir den | |
Begriff Apartheid dort zurückweisen sollten. In der Westbank existieren | |
aber mannigfache Beispiele, die an Südafrika erinnern. Es gibt Straßen, die | |
nur Siedler benutzen dürfen. Für die Sicherheit, heißt es zur Begründung. | |
Aber auch in Südafrika war Sicherheit für die Weißen ein Grund für die | |
scharfe Trennung. | |
Apartheid ist nicht nur eine historische Erfahrung, sondern auch ein | |
völkerrechtlich definierter Straftatbestand. Welche Kriterien des | |
Apartheid-Begriffs sehen Sie in der Westbank wirklich erfüllt? | |
Es gibt im Westjordanland zwei Rechtssysteme. Die jüdischen Siedler haben | |
volle staatsbürgerliche Rechte. Die Palästinenser hingegen können nur eine | |
Regierung wählen, die höchstens teilautonom ist und unter Kontrolle Israels | |
steht. Im früheren Südafrika waren die Weißen die privilegierte Minderheit, | |
die Farbigen die diskriminierte Mehrheit. Die Ähnlichkeit zur Westbank ist | |
unübersehbar und schmerzhaft. | |
Sie waren bis 2011 Botschafter Israels in Südafrika. Dann haben Sie den | |
Dienst quittiert. Warum? | |
Weil unabweisbar klar war, dass die Regierung von Netanjahu und Avigdor | |
Lieberman keine [6][Zweistaatenlösung] wollte. Prinzipiell nicht. Es macht | |
einen großen Unterschied, ob Ungerechtigkeiten, wie sie in den besetzten | |
Gebieten existieren, zeitlich begrenzt sind oder nicht. Nach Jahrzehnten | |
konstanter Verletzung von Menschenrechten in den besetzten Gebieten diesen | |
Zustand nun auf Dauer zu betonieren ist nicht akzeptabel. Wir müssten dann | |
nicht mehr von Besatzung, sondern von Annexion reden. Die militärische | |
Gewalt ist zur dauerhaften Notwendigkeit geworden, um diese Ungerechtigkeit | |
aufrechtzuerhalten. Der Ausweg aus dieser Lage ist nach wie vor die | |
Zweistaatenlösung. | |
Die gilt als kaum noch realisierbar. Glauben Sie wirklich noch daran? | |
Ja, und zwar unabhängig davon, wie politisch wahrscheinlich sie momentan | |
erscheint. Wir haben die moralische Verpflichtung, an ihr festzuhalten. | |
27 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Vorwurf-aus-Israel/!5571474 | |
[2] https://4il.org.il/wp-content/uploads/2019/01/The-Money-Trail-2nd-Edition-J… | |
[3] http://eipa.eu.com/publicaffairs/wp-content/uploads/The-Money-Trail_English… | |
[4] https://www.haaretz.com/israel-news/.premium-eu-s-mogherini-to-israeli-mini… | |
[5] http://peacenow.org.il/en/sabagh-family-sheikh-jarrah | |
[6] /Nahost-Konflikt-und-Oslo-Abkommen/!5531989 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
Stefan Reinecke | |
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