# taz.de -- Moshe Zimmermann über Israel-Kritik: „Nicht jeder Boykott ist an… | |
> Der israelische Historiker verteidigt den Verein „Jüdische Stimme“ – | |
> trotz dessen Unterstützung für die Boykottbewegung BDS. | |
Bild: „Nicht jeder BDS-Unterstützer ist zwangsläufig Antisemit“, sagt Mos… | |
taz: Herr Zimmermann, gemeinsam mit mehr als hundert jüdischen | |
Intellektuellen [1][wehren Sie sich gegen den Versuch], den Berliner Verein | |
„Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ zum Schweigen zu bringe… | |
Warum soll diese Stimme weiterhin zu hören sein? | |
Moshe Zimmermann: Wir leben in einer Zeit, in der die Meinungsfreiheit | |
immer weiter eingeschränkt wird. Beim Thema Israel spürt man das besonders | |
stark. Stimmen, die sich gegen die israelische Regierung und ihre | |
Unterstützer erheben, werden marginalisiert und unterdrückt. Es ist Zeit, | |
dass wir als israelische Intellektuelle uns wehren. | |
Wer steht hinter diesem Versuch, kritische Stimmen zu unterdrücken? | |
Vor allem die israelische Regierung, die die jüdischen Gemeinden im Ausland | |
mit einbezieht. In diesen wie auch in der israelischen Gesellschaft gibt es | |
selbstverständlich eine besondere Empfindlichkeit für Antisemitismus, die | |
sich aktivieren lässt. Weil – wie auch im Fall der „Jüdischen Stimme“ �… | |
Kritik von israelischer und jüdischer Seite kommt, schließen sich auch die | |
nichtjüdischen „Gutmenschen“ an. | |
Die „Jüdische Stimme“ bezeichnet die israelische Regierung unter Benjamin | |
Netanjahu als „rechtsextrem“. Würden Sie auch so weit gehen? | |
Die derzeitigen Koalitionsparteien gehören auf jeden Fall nicht zur alten, | |
konservativen Rechten Israels. Sie sind streng nationalistisch und benutzen | |
religiöse Argumente, um die Rechte von Palästinensern zu beschneiden. Wenn | |
das nicht rechtspopulistisch bis rechtsextrem ist, wüsste ich nicht, was | |
rechtsextrem sein soll. | |
[2][Kürzlich berichtete die taz über ein Schreiben], in dem Israel | |
versucht, die Finanzierung von besatzungskritischen NGOs in Israel und | |
Palästina durch Deutschland einzuschränken. Das Jüdische Museum in Berlin | |
wurde als „antiisraelisch“ kritisiert, weil es in einer aktuellen | |
Ausstellung über Jerusalem auch „die muslimisch-palästinensische | |
Sichtweise“ berücksichtigt. | |
Die israelische Regierung ist auf der Hut vor jeder Art von Kritik. Sie | |
versucht, jegliche Kritik als Teil der Bewegung „Boykott, Desinvestitionen | |
und Sanktionen“ darzustellen, der Boykott-Kampagne gegen Israel. | |
Das ist auch der Hauptkritikpunkt an der „Jüdischen Stimme“. Die Gruppe | |
unterstützt die [3][BDS-Kampagne] offen, die in Deutschland als klar | |
antisemitisch gilt. | |
Sie sagen es: „gilt“. Das muss man nachweisen. BDS ruft zum Boykott Israels | |
auf. Das ist nicht automatisch antisemitisch. | |
Islamistische Organisationen wie die Hamas unterstützen BDS. Und Teile der | |
BDS-Bewegung stellen das Existenzrecht Israels infrage. Anders als im | |
ursprünglichen BDS-Aufruf aus dem Jahr 2005 unterscheiden einige | |
BDS-Aktivisten heute nicht, ob es ihnen um die Räumung der besetzten | |
palästinensischen Gebiete geht oder um ganz Israel. | |
Es gibt in der BDS-Bewegung viele Leute, die antisemitisch argumentieren. | |
Aber nicht jeder BDS-Unterstützer ist zwangsläufig Antisemit. Auf der | |
anderen Seite ist nicht jeder, der einen Boykott der Siedlungen im | |
palästinensischen Westjordanland unterstützt, automatisch BDS-Mitglied. | |
Diese Behauptung ist eine Technik des Mundtotmachens: In einem ersten | |
Schritt wird jemand als BDS-Unterstützer bezeichnet, in einem zweiten | |
Schritt wird BDS mit Antisemitismus identifiziert. | |
Bekennt sich die „Jüdische Stimme“ ihrer Auffassung nach deutlich genug zum | |
Existenzrecht Israels? | |
Soweit mir bekannt ist, wird der Gruppe nichts Gegenteiliges vorgeworfen. | |
Sie kritisieren die Politik der israelischen Regierung und sind für BDS, | |
was ich persönlich nicht unterstütze, weil ich zwischen einem | |
Israel-Boykott und einem Boykott des israelischen Siedlungsunternehmens | |
unterscheide. Ich kann aber verstehen, dass andere diesen Standpunkt | |
vertreten. Man kann die Unterstützung für BDS nicht einfach als | |
Antisemitismus bezeichnen, um so die Meinungsfreiheit zu beschneiden. | |
In ihrem Aufruf kritisieren sie auch die Antisemitismus-Definition der | |
Internationalen Allianz für Holocaustgedenken, kurz IHRA. Diese wurde auch | |
von der Bundesregierung übernommen. Ihr Kern ist, dass Antisemitismus nicht | |
bei einer Äußerung oder Straftat beginnt, sondern vorher: bei „einer | |
bestimmten Wahrnehmung von Juden“. | |
Das ist nicht das Problem, sondern dass das, was als „israelbezogener | |
Antisemitismus“ bezeichnet wird, Elemente beinhaltet, die nicht zum | |
Phänomen des Antisemitismus gehören. Die allzu flexible Anwendung der | |
IHRA-Definition führt dazu, dass beinahe jede Art von Kritik an Israel | |
demnach als antisemitisch betrachtet werden kann. | |
Sie reden vom Zusatz der IHRA-Definition, der explizit betont, dass „auch | |
der Staat Israel (…) Ziel solcher Angriffe sein kann“. | |
Auch dagegen lässt sich erst einmal nichts sagen. Das Problem ist die | |
Schwammigkeit der IHRA-Definition. Jeder Bezug auf Israel oder israelische | |
Politik steht unter dem Verdacht des Antisemitismus. Die inflationäre | |
Benutzung des Begriffs ist gefährlich. Denn dort, wo Antisemitismus | |
wirklich zu finden ist, wird er möglicherweise nicht erkannt. Das, was | |
vielen Kritikern der israelischen Politik vorgeworfen wird, ist kein | |
Antisemitismus. Deswegen rufen wir auch die deutsche Gesellschaft auf, hier | |
klar zu unterscheiden zwischen Kritik mit Antisemitismus und Kritik ohne | |
Antisemitismus. Diese Unterscheidung steht hinter unserer Unterstützung für | |
die „Jüdische Stimme“. | |
10 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Solidaritaet-mit-der-Juedischen-Stimme/!5561351 | |
[2] /Schreiben-liegt-der-taz-exklusiv-vor/!5553564 | |
[3] /Podiumsdiskussion-zum-Israel-Boykott/!5475630 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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