| # taz.de -- Solidarität mit der „Jüdischen Stimme“: Zwischen den Stühlen | |
| > Die Bank für Sozialwirtschaft wollte in Sachen Israel-Kritik und | |
| > Antisemitismus alles richtig machen. Jüdische und israelische | |
| > Intellektuelle protestieren. | |
| Bild: Geteiltes Land: Blick auf die Altstadt von Jerusalem | |
| BERLIN taz | Welche jüdischen Organisationen dürfen bei der Bank für | |
| Sozialwirtschaft (BfS) ein Konto haben? Diese scheinbar nebensächliche | |
| Frage sorgt für heftigen Streit. Es geht um die in Berlin ansässige | |
| Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Der | |
| Konflikt eskaliert. Der Versuch der Bank, das Problem auf elegantem Weg an | |
| eine Antisemitimus-Expertin zu delegieren, darf als gescheitert gelten. | |
| Die Vorgeschichte spielt 2016. Damals attackierte die rechte Zeitung | |
| Jerusalem Post und der Journalist Benjamin Weinthal die Bank als | |
| „BDS-Bank“. BDS („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) ist eine, | |
| insbesondere in Deutschland, extrem umstrittene Kampagne, deren Ziel es | |
| ist, Israel, wie früher Südafrika, international zu ächten und ein Ende der | |
| Besatzungspolitik zu erwirken. In anderen EU-Ländern ist BDS weniger | |
| umkämpft – in Deutschland liegt wegen der NS-Geschichte die Assoziation | |
| „Kauft nicht bei Juden“ nahe. | |
| „Die BDS-Kampagne würde bei uns niemals ein Konto erhalten“, so die | |
| Erklärung der Bank. Allerdings hatte die „Jüdische Stimme“ dort ein Konto, | |
| die wiederum mit BDS sympathisiert. Die Bank kündigte 2016 deren Konto – | |
| offenbar fürchtete man einen Imageschaden. Nach harter Kritik an der | |
| Kontokündigung und einem Gespräch mit VertreterInnen der „Jüdischen Stimme… | |
| revidierte die Bank ihre Haltung. Die zionismuskritische Organisation, | |
| erklärte das Geldinstitut 2017, wolle nur das Ende der Besatzung, | |
| unterstütze aber keineswegs „Aktivitäten, die gegen die Existenz des | |
| Staates Israel gerichtet sind“. | |
| Die Gemüter schienen beruhigt, doch das täuschte. Als Brandbeschleuniger | |
| wirkte mal wieder das Simon-Wiesenthal-Center (SWC) in Los Angeles, das mit | |
| dem berühmten Namensgeber nichts als den Namen gemein hat. Das SWC | |
| veröffentlicht jährlich ein Ranking von Antisemiten, auf dem sich neben dem | |
| IS auch mal die Europäische Union oder die UNO findet. Für die SWC scheint | |
| Kritik an der israelischen Regierung und Antisemitismus das Gleiche zu | |
| sein. 2018 rangierte auf der Liste die Bank für Sozialwirtschaft auf Rang 7 | |
| – wegen Kontos der „Jüdischen Stimme“. Auf Rang eins steht eine | |
| US-Antisemit, der bei einem Attentat 11 Juden tötete. | |
| ## Wissenschaftliche Prüfung als Ausweg | |
| Anstatt diese zwischen Klamauk und Agitprop angesiedelte Liste zu | |
| ignorieren, glaubte die Bank wieder aktiv werden zu müssen. „Wir befinden | |
| uns“, so das Fazit, „in dieser Angelegenheit in einer Art | |
| Lose-lose-Situation: Sowohl die Kündigung des Kontos der Jüdischen Stimme | |
| als auch die Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung haben jeweils neue | |
| Antisemitismus-Vorwürfe ausgelöst.“ Den Ausweg glaubte die Bank Ende 2018 | |
| mit einem Gutachten gefunden zu haben. Sie beauftragte, auf Empfehlung des | |
| Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, die Berliner | |
| Historikerin und Antisemitismus-Forscherin Juliane Wetzel, zu prüfen, ob | |
| die „Jüdische Stimme“ antisemitisch sei – oder eben nicht. | |
| Wissenschaftliche Prüfung – scheinbar ein Königsweg um schlanken Fußes aus | |
| der Affäre herauszukommen. | |
| Iris Hefets von der „Jüdischen Stimme“ wies dieses Ansinnen indes empört | |
| zurück. Es sei ein Unding, dass „wir als Organisation mit ausschließlich | |
| jüdischen Mitgliedern im Auftrag einer deutschen Institution von deutschen | |
| Experten bezüglich des Vorwurfs des Antisemitismus schuldig oder | |
| freigesprochen werden sollen“. Man denke nicht daran, mit Wetzel zu reden | |
| und sich „zu persönlichen Verhören zitieren zu lassen“. | |
| Wetzel nimmt diese Weigerung gelassen. Der taz sagte sie, dass „eine aktive | |
| Beteiligung der handelnden Personen zweifellos hilfreich gewesen wäre“. Es | |
| existierten aber „zahlreiche Originalquellen der Jüdischen Stimme, sodass | |
| das Gutachten auch ohne den direkten Austausch auf einer validen Basis | |
| stehen wird“. Das Gutachten wird im März fertig sein. Ob es veröffentlicht | |
| wird, ist laut Angaben der Bank noch offen. | |
| ## Solidaritätserklärung mit der „Jüdischen Stimme“ | |
| Der vermeintliche Königsweg kann für die Bank zur Sackgasse werden. Denn | |
| nun haben mehr als hundert jüdische Intellektuelle eine gepfefferte | |
| [1][Solidaritätserklärung] mit der „Jüdischen Stimme“ verfasst, die an d… | |
| Wetzel-Plan kein gutes Haar lässt. Die Idee sei „alarmierend“. Dass | |
| Deutsche „ein Urteil fällen, ob eine Gruppe von Juden und Israelis, | |
| darunter viele Nachkommen von Holocaust-Überlebenden, antisemitisch sei“, | |
| halten sie für „lächerlich und schamlos“. Und: „Als jüdische und | |
| israelische Akademiker und Intellektuelle, die dem Kampf gegen | |
| Antisemitismus und alle Formen von Rassismus verpflichtet sind, verurteilen | |
| wir die laufende Kampagne, die darauf abzielt, die Jüdische Stimme und ihre | |
| Mitglieder zum Schweigen zu bringen, unabhängig davon, ob wir mit allen | |
| ihren Positionen übereinstimmen oder nicht.“ | |
| Bemerkenswert ist die Liste der UnterzeichnerInnen. Neben Noam Chomsky und | |
| Judith Butler, die zu scharfen Kritikern der israelischen Regierung | |
| gehören, finden sich auch die in Jerusalem lehrenden Soziologin Eva Illouz | |
| und Micha Brumlik, die beide eher als linke Zionisten gelten. Den Aufruf | |
| unterstützen auch Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann. | |
| Alarmiert sind die Unterzeichner nicht nur wegen des tollpatschigen | |
| Versuchs der Bank, sich aus der Affäre zu ziehen – sondern wegen der | |
| bedrohlichen politische Wetterlage. Ministerpräsident Netanjahu übergab | |
| Angela Merkel Anfang Dezember höchst persönlich ein Papier mit Forderungen, | |
| die es in sich haben: [2][Die Bundesregierung solle keine NGOs mehr | |
| fördern, die „antiisraelische Aktivitäten fördern“] – wobei dazu offen… | |
| schon Kritik des Besatzungsregimes zählt. Sogar das Jüdische Museum in | |
| Berlin rückte Netanjahu in die Nähe von BDS-Unterstützern. | |
| ## Kritik an Besatzungspolitik in Israel | |
| Die Bank-Affäre spielt sich somit vor einem neuen Prospekt ab – dem | |
| aggressiven Versuch der Netanjahu-Regierung, Kritik an der | |
| Besatzungspolitik in Israel und auch in Deutschland zu verhindern. | |
| „Zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel und weltweit, die sich für | |
| die Menschenrechte der Palästinenser einsetzen, werden von israelischen | |
| Offiziellen in zynischer Weise als Feinde des Staates, Verräter und | |
| zunehmend als Antisemiten abgestempelt. Für kritisches Engagement bleibt | |
| immer weniger Raum“, heißt es in dem Aufruf. | |
| Die Anfeindungen gegen die „Jüdische Stimme“ seien „bezeichnend für die… | |
| um sich greifende Phänomen“. Und: „Wir rufen die deutsche Zivilgesellschaft | |
| dazu auf, Antisemitismus unnachgiebig zu bekämpfen und dabei klar zu | |
| unterscheiden zwischen Kritik am Staat Israel, so hart sie auch ausfallen | |
| mag, und Antisemitismus.“ | |
| Die „Jüdische Stimme“ hat neben der verdrießlichen Auseinandersetzung | |
| derzeit auch Grund zur Freude. Sie wird demnächst mit dem Göttinger | |
| Friedenspreis 2019 ausgezeichnet. | |
| 10 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.juedische-stimme.de/2019/01/10/offener-brief-der-einsatz-fuer-m… | |
| [2] /Schreiben-liegt-der-taz-exklusiv-vor/!5553564 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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