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# taz.de -- Israel und Rechtspopulismus: Mehr Gefahr als Sicherheit
> Die Stellung von Israels Regierung zum europäischen Rechtspopulismus ist
> auch eine dringliche Frage für die Juden in der Diaspora.
Bild: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (M.) in Yad Vashem
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wollte an der in Wien am 21.
November vom österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz organisierten
Konferenz „gegen Antisemitismus und Antizionismus“ persönlich teilnehmen.
Die Konferenz und die Initiative, ein Holocaust-Denkmal in Wien zu
errichten, wie auch weitere „judenfreundliche“ Gesten haben zum Ziel,
Israels ablehnende Haltung gegenüber Kanzler Kurz’Koalitionspartner FPÖ zu
überwinden. Wegen [1][der jüngsten Regierungskrise] in Israel reiste
Netanjahu dann zwar nicht nach Österreich. Seine Rede, in der er von
Antisemitismus und [2][Antizionismus] als zwei Seiten derselben Medaille
ausging, wurde per Video in den Plenarsaal der Konferenz nach Wien
gesendet.
Nun bleibt abzuwarten, ob die Charme-Offensive des österreichischen
Regierungschefs (dazu gehört auch der EU-Beschluss gegen Antisemitismus vom
6. Dezember) und diese Konferenz ausreichen, um die israelische Haltung
gegenüber der Regierung Kurz, an der die FPÖ teilnimmt, zu verändern.
Netanjahus Annäherung an eine solche Koalition wäre eine Abkehr von der
bisherigen offiziellen Haltung Israels gegenüber Parteien wie der FPÖ, ein
entscheidendes Signal zur Normalisierung der Beziehungen mit den
europäischen rechtspopulistischen Parteien.
Eine solche Kehrtwende wäre jedenfalls auch ein Schlag ins Gesicht der
jüdischen Gemeinde Österreichs, die bislang jeden Kontakt zur FPÖ
verweigert. Sie verlangt dafür von Israel Rückendeckung, solange die FPÖ
sich nicht von Grund auf erneuert. Hier stellt sich also auch eine
Grundsatzfrage: Nimmt Israel Rücksicht auf die Interessen der jüdischen
Gemeinden, egal ob in Österreich, Ungarn oder den USA, wenn es eine
Entscheidung trifft, die eine unmittelbare Rückwirkung auf das Leben der
Juden in der Diaspora haben kann?
Noch meidet das offizielle Israel den direkten Kontakt zu den FPÖ-Ministern
in der österreichischen Regierung. Doch die Bemühungen des Bundeskanzlers
um eine Wende in der israelischen Haltung scheinen allmählich Früchte zu
tragen. Es scheint so, als hätte FPÖ-Chef Christian Strache seine Anhänger
in Israel längst gefunden. Er besuchte Israel (und Yad Vashem!). Und er
wendet den bewährten Trick der Rechtspopulisten an, Israels Politik
gegenüber „den Arabern bzw. Muslimen“ zu unterstützen, um so von Rassismus
und Antisemitismus in den eigenen Reihen abzulenken.
## Den Köder geschluckt
Dabei geht es nicht nur um den Knessetabgeordneten Glick oder
Kommunikationsminister Ajub Kara, die den Köder geschluckt haben. Das
Weißwaschen von europäischen Politikern, die eine befleckte Weste tragen,
begann bereits mit dem Italiener Gianfranco Fini, setzte sich mit dem
Niederländer Geert Wilders und dem Italiener Matteo Salvini fort und wird
nicht mit Heinz-Christian Strache enden.
Die österreichischen Juden haben immer eindeutig Position zur FPÖ bezogen;
egal ob zu Jörg Haiders oder Heinz-Christian Straches Zeit erhoben sie ihre
Stimme gegen eine Normalisierung. Im Januar dieses Jahres betonte der neue
Präsident der jüdischen Gemeinde Österreichs, Oskar Deutsch, dass die FPÖ
keine normale Partei ist, mit der man zusammenarbeiten kann. Er unterstrich
damit eine Aussage, die er vor den Wahlen 2017 gemacht hatte: „Symbolische
Israel-Besuche können das alles nicht kaschieren. Die jüdische Gemeinde in
Österreich wird deshalb keinen Hechscher, keinen Persilschein ausstellen.“
Die aktuelle Frage heißt also: Wird die israelische Regierung international
auf die Warnungen der jüdischen Gemeinde hören oder sie ignorieren, so wie
sie dies im Fall der jüdischen Gemeinde Ungarns tat, als diese gegen Orbáns
antisemitische Angriffe auf George Soros wie auch gegen eine antisemitische
Attacke gegen den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, András Heisler,
protestierte und jüngst vor Geschichtsrevisionismus im Konzept des von
Orbán geplanten Holocaust-Museums monierte?
Wird der weiter oben beschriebene Trick der Rechtspopulisten den Weg zur
Gewinnung von Sympathie und Unterstützung seitens des offiziellen Israels
ebnen und auch zur Überwindung der Opposition der Diasporajuden beitragen,
jener Juden, die unmittelbar mit dem europäischen und internationalen
Rechtspopulismus konfrontiert sind?
Schon vor der Gründung des Staates Israel gab die zionistische Minderheit
im jüdischen Volk vor, im Namen des gesamten jüdischen Volkes zu sprechen.
Als die Idee von einer jüdischen Nation sich durchsetzen konnte, als Ersatz
für das Verständnis des Judentums als religiöser Gemeinschaft, war Tür und
Tor geöffnet, damit sich die Zionisten als Alleinvertreter des Judentums,
auch der Juden in der Diaspora, präsentieren konnten.
## Alleinvertretunganspruch als Credo
Seit der Gründung Israels vor 70 Jahren, und schon lang bevor die
Bevölkerung Israels die größte jüdische in der Welt wurde, wurde der
Anspruch auf Alleinvertretung des jüdischen Volkes zu Israels Credo. Israel
erwartet nicht nur die Einwanderung aller Juden, es betrachtet die
Judenemanzipation als gescheiterte „Lösung der Judenfrage“ und hält sich
für den Kampf gegen Antisemitismus besser als die Diaspora-Juden gerüstet.
Als der Antisemitismus in Deutschland nach dem Fall der Mauer an Virulenz
zu gewinnen schien, schlug ein ehemaliger Geheimdienstchef vor, israelische
Soldaten nach Deutschland zu entsenden, um dort die Juden zu retten.
Dass es mehr als eine einzige Art jüdischer Selbstbestimmung geben kann,
nämlich, dass Diaspora-Juden ihren Zustand für normal halten können, ist
der offiziellen israelischen Politik fremd. Die Haltung Israels wurde umso
deutlicher, als das Nationalstaatsgesetz von der Knesset vor Kurzem
verabschiedet wurde: Im Paragraf 6 ist von der Pflicht die Rede, die
Sicherheit der Diaspora-Juden zu garantieren, zudem für die Pflege der
jüdischen Tradition in der Diaspora zu sorgen – als wären die
Diaspora-Juden selbst, und die Gesellschaften, zu denen sie gehören,
irrelevant.
Die überhebliche israelische Selbstwahrnehmung führt heute zu absurden
Positionen. Der Kampf gegen den Antisemitismus fokussiert zunehmend auf den
sogenannten „israelbezogenen Antisemitismus“. So erklärt sich auch die
Sympathie des offiziellen Israels für rechtspopulistische Parteien und
Politiker, die ihre Unterstützung für Israel herausposaunen, aber
gleichzeitig Hassparolen gegen Muslime, Araber oder Flüchtlinge von sich
geben.
## Das Dilemma vieler Juden verschärft sich weiter
Vor dem Hintergrund des Alleinvertretungsanspruch Israels für das Judentum
nimmt es wenig Wunder, dass Kritik an Israel oft in Kritik an Juden
umschlägt, da diese angeblich von Israel repräsentiert seien oder
automatisch Israels Politik unterstützen würden.
So werden Demonstration gegen Israels Verhalten im Nahen Osten zu
Demonstrationen gegen die Juden, da der Anspruch Israels auf
Alleinvertretung der Juden nicht nur von Antisemiten oder Feinden Israels
für bare Münze gehalten wird. Das Dilemma vieler Juden verschärft sich so
weiter. Ihr Bestreben, zwischen ihrer Zugehörigkeit zum jeweiligen Land, in
dem sie leben, als Staatsbürger und ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen
Religionsgemeinschaft zu unterscheiden (und somit dem Vorwurf der doppelten
Loyalität entgegenzutreten), wird nicht Ernst genommen.
Besonders alarmierend ist diese Denkweise im US-amerikanischen Fall.
Einerseits spielt man in Israel den Aufstieg des rechtsgerichteten
Antisemitismus herunter und setzt den Akzent auf die Bedeutung des
muslimischen und linken Antisemitismus. Andererseits schaute Netanjahu weg,
als Donald Trump die Rolle seiner rechtsorientierten Anhänger für die
antisemitischen Ausschreitungen in Charlottesville 2017 relativierte. Mehr
noch: Als elf Juden vor Kurzem in einer Synagoge in Pittsburgh ermordet
wurden, hat der israelische Botschafter in den USA, der Donald Trump
während seines Besuches in der Synagoge empfangen und begleitet hatte,
vergessen, dass er Israel und nicht die jüdische Gemeinde repräsentiert.
## Marseillaise statt Hatikwa
In seiner Lobrede auf Trump sagte er unter anderem: „Das könnten Neonazis
aus dem rechten Flügel, militante Islamisten aus dem linken Flügel oder
jede Sorte Menschen dazwischen gewesen sein.“ Dass viele amerikanische
Juden einer anderen Meinung sein könnten, kam ihm nicht in den Sinn.
Netanjahu hätte die Lehre aus einer eigenen Erfahrung vor drei Jahren
ziehen können, als er nach den Terroranschlägen in Frankreich im Januar
2015 nach Paris kam. Nach seiner Rede während der Gedenkzeremonie in der
Synagoge erhoben sich die anwesenden Juden, um die Marseillaise zu singen,
nicht die Hatikwa, die Nationalhymne Israels. Sie wollten in dieser
Situation nicht von Israel vereinnahmt werden.
Der vermeintliche Anspruch auf eine Alleinvertretung des jüdischen Volkes
beruht schließlich nicht nur auf einer Fehlinterpretation vom Wesen des
jüdischen Kollektivs. Es ist schlicht unrealistisch, da Israel nicht in der
Lage ist, eine solche Rolle zu spielen. Israels Mantra birgt für die
Diaspora-Juden mehr Gefahr als Sicherheit.
10 Dec 2018
## LINKS
[1] /Israels-Verteidigungsminister-tritt-zurueck/!5550922
[2] /Neue-Definition-von-Antisemitismus/!5449345
## AUTOREN
Shimon Stein
Moshe Zimmermann
## TAGS
Israel
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