| # taz.de -- Kommentar Göttinger Friedenspreis: Das Prinzip Kontaktschuld | |
| > Es gibt keinen vernünftigen Grund, der „Jüdischen Stimme für gerechten | |
| > Frieden in Nahost“ den Göttinger Friedenspreis zu verweigern. | |
| Bild: Welches der Weg zum Frieden im Nahen Osten ist, darüber streiten sich ma… | |
| Nein, es gibt keinen vernünftigen Grund, der „Jüdischen Stimme für | |
| gerechten Frieden in Nahost“ den ihr zugesprochenenen Preis [1][zu | |
| verweigern] beziehungsweise [2][den Festlichkeiten der Preisverleihung | |
| fernzubleiben oder sich von ihnen zu distanzieren]. | |
| Gewiss: Unbestritten ist, dass die „Jüdische Stimme“ die Organisation | |
| [3][„Boycott, Divestment and Sanctions“] (BDS) unterstützt. Und diese wird | |
| trotz ihrer erklärten und bisher auch durchgehaltenen Gewaltfreiheit von | |
| vielen, die dazu von der Sache berufen oder eben auch nicht berufen sind, | |
| für antisemitisch erklärt. | |
| Erstens, weil BDS Waren von israelischen Firmen, die Juden gehören, | |
| boykottieren will – was viele an den nationalsozialistischen Judenboykott | |
| vom April 1933 erinnert. | |
| Zweitens, weil BDS fordert, dass der Staat Israel alles besetzte und | |
| kolonialisierte arabische Land räumt – was nach Überzeugung vieler nicht | |
| weniger bedeutet als das Ende des jüdischen Staates Israel. Dem mag so sein | |
| oder nicht, indes folge man der Logik: eine Rückzugsforderung an den Staat | |
| beinhaltet immerhin, dass es auch Gebiete gibt, auf denen er legitim | |
| existiert. | |
| Aber auf all das kommt es von der Sache her auch gar nicht an: Schließlich | |
| soll der infrage stehende Preis, der Göttinger Friedenspreis, nicht der | |
| Organisation BDS verliehen werden – sondern der „Jüdischen Stimme“. Und … | |
| hat wieder und wieder erklärt, zwar einerseits BDS in menschenrechtlichen | |
| Angelegenheiten zu unterstützen, aber andererseits mindestens ebenso oft | |
| und nicht minder deutlich, dass sie an der Existenzberechtigung des Staates | |
| Israel nicht rüttelt. | |
| ## Historische Hochburg der Aufklärung | |
| An dieser Stelle kommt ein politisch-demagogisches Prinzip ins Spiel, das | |
| in den 1950er-Jahren in den USA und auch in den 1970er-Jahren in der | |
| Bundesrepublik Deutschland, der Epoche der „Berufsverbote“ den liberalen | |
| Diskurs zerstört hat: das Prinzip der „Kontaktschuld“. Hat jemand oder eine | |
| Gruppe auch nur den geringsten persönlichen Kontakt zu einer als feindlich | |
| definierten Gruppe beziehungsweise ihr nahestehenden Personen, dann gilt | |
| als ausgemacht, dass die Person oder Gruppe selbst eins zu eins identisch | |
| mit der kritisierten und abgelehnten Person oder Gruppe ist. | |
| Es ist erstaunlich, dass liberale Persönlichkeiten wie Göttingens | |
| Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) oder auch Ulrike Beisiegel, die | |
| Präsidentin der Universität, immerhin einer historischen Hochburg der | |
| Aufklärung, sich von derlei demagogischen Einwürfen beeindrucken lassen. | |
| Um die Preisverleihung endgültig abzulehnen, müssten Universität und Stadt | |
| begründen, warum eine jüdische Initiative, obwohl sie nachweislich die | |
| Existenzberechtigung des Staates Israel nie und zu keiner Zeit in Zweifel | |
| gezogen hat, nicht preiswürdig sein soll. Gilt darüber hinaus die Forderung | |
| nach einem gerechten Frieden zwischen Juden und Palästinensern bereits als | |
| antisemitisch? | |
| Wollten sich Stadt und Universität diese Meinung zu eigen machen, stünde | |
| fest, dass sie sich vom niedersächsischen Göttingen aus in den israelischen | |
| Wahlkampf einmischen – zugunsten des amtierenden Premiers Benjamin | |
| Netanjahu und seiner Verbündeten. Das kann nicht im Sinne von Stadt und | |
| Universität sein. | |
| 25 Feb 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!5570667/ | |
| [2] /Antisemitismus-Vorwuerfe-gegen-Preistraeger/!5575027/ | |
| [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Boycott,_Divestment_and_Sanctions | |
| ## AUTOREN | |
| Micha Brumlik | |
| ## TAGS | |
| Jüdische Stimme | |
| Göttinger Friedenspreis | |
| Israel | |
| Antisemitismus | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Frieden und Krieg | |
| Naher Osten | |
| Zentralrat der Juden | |
| Verfassungspatriotismus | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Universität Göttingen | |
| Hamas | |
| Heinrich-Böll-Stiftung | |
| Universität Göttingen | |
| Göttinger Friedenspreis | |
| Israel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kontroverse um Friedenspreis: Drei Juden, drei Meinungen | |
| Der Göttinger Friedenspreis löst Streit aus. Es gibt Antisemitismusvorwürfe | |
| – und es geht mal wieder um den Boykott Israels. | |
| Kolumne Gott und die Welt: Nationalisten? Verfassungspatrioten! | |
| Sind Militärrabiner in der Bundeswehr ein Rückschritt? Nein, was der | |
| Zentralrat der Juden in Deutschland fordert, ist im Sinne des | |
| Grundgesetzes. | |
| Friedenspreis-Streit: Es wird gefeiert (aber etwas später) | |
| Der Göttinger Friedenspreis wird doch am kommenden Samstag an die „Jüdische | |
| Stimme“ überreicht – an anderem Ort (und eine Stunde später). | |
| Scharfe Kritik an der „Jüdischen Stimme“: Jury hält an der Verleihung fest | |
| Trotz Antisemitismus-Vorwürfen gegen den Preisträger wird die Verleihung | |
| des Friedenspreises stattfinden. Unterstützer hatten sich zurückgezogen. | |
| Streit um Göttinger Friedenspreis: Empathie für die Feinde Israels | |
| Auch ohne Antisemitismus-Vorwurf kann man die Vergabe des Preises an die | |
| „Jüdische Stimme“ ablehnen. Eine Antwort auf Micha Brumlik. | |
| Vorwurf aus Israel: Terrorfinanzierer aus Brüssel | |
| In einem Regierungsbericht wirft Israel der EU vor, NGOs mit | |
| Terrorbindungen zu unterstützten. Brüssel weist die Kritik als | |
| „inakzeptabel“ zurück. | |
| Antisemitismus-Vorwürfe gegen Preisträger: Streit um Göttinger Friedenspreis | |
| Nach der Jury-Entscheidung, den Preis an den Verein „Jüdische Stimme für | |
| gerechten Frieden in Nahost“ zu vergeben, ziehen sich Stadt, Uni und | |
| Sparkasse zurück. | |
| Friedenspreisträger antisemitisch?: Zores in Göttingen | |
| Ein Friedenspreis für Antisemiten? So sehen es Kritiker*innen. Es geht um | |
| die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. | |
| Solidarität mit der „Jüdischen Stimme“: Zwischen den Stühlen | |
| Die Bank für Sozialwirtschaft wollte in Sachen Israel-Kritik und | |
| Antisemitismus alles richtig machen. Jüdische und israelische | |
| Intellektuelle protestieren. |