# taz.de -- Nahost-Konflikt und Oslo-Abkommen: Gestern, heute, morgen | |
> 25 Jahre nach dem Oslo-Abkommen ist der Nahost-Friedensprozess politisch | |
> tot. Zeit für einen Rück- und Ausblick. | |
Bild: Historischer Moment: Yitzhak Rabin, Bill Clinton und Yassir Arafat im Ros… | |
Wenn einem in diesen Wochen etwas politische Zuversicht fehlt, kann man | |
sich ganz einfach eine Dosis holen, indem man bei YouTube die Worte „Oslo“ | |
und „25 Jahre“ eingibt. | |
Dieses berühmte Bild: Wie Bill Clinton im Rosengarten des Weißen Hauses | |
steht, seinen Stolz kaum hinter einem breiten Grinsen verbergen kann, wie | |
Jassir Arafat dann seine Hand ausstreckt und Jitzhak Rabin einschlägt. | |
Jubel. | |
Und dann stelle man sich dieses Bild und seine Beteiligten einmal in der | |
Gegenwart vor: Donald Trump. Mahmud Abbas. Benjamin Netanjahu. | |
Oslo, das war für Palästinenser und Israelis ein Durchbruch: Zum ersten Mal | |
erkannten sich die Konfliktparteien gegenseitig an. Die Palästinenser | |
bekamen in einem Teil des Westjordanlands politische Autonomie, aus diesen | |
Gebieten zog sich das israelische Militär zurück. Die Palästinensische | |
Autonomiebehörde wurde gegründet, aus ihr sollte in naher Zukunft ein | |
palästinensischer Staat erwachsen. Das Ziel: zwei Staaten für zwei Völker. | |
Der Handschlag ist in dieser Woche genau 25 Jahre her. Und wenn so ein | |
weltpolitisches Ereignis Jubiläum hat, aber niemand feiern will, lohnt sich | |
ein genauer Blick. | |
## Flüchtlinge, Grenzen, Jerusalem | |
Es mag Zufall sein, dass ausgerechnet zum Jahrestag des Oslo-Abkommens eine | |
politische Entscheidung aus Washington nach der nächsten öffentlich wird, | |
die den Friedensprozess angreift. Seit Donald Trump Präsident ist, hat er | |
sich eindeutig auf israelischer Seite positioniert. Im Mai verlegte er die | |
Botschaft der USA nach Jerusalem. Bis dahin war es unter westlichen | |
Verbündeten ausgemachte Sache, das erst zu tun, wenn der Status der Stadt | |
zwischen Israelis und Palästinensern geklärt ist. | |
In den letzten Wochen zog Donald Trump dann das Tempo an: Erst stoppte er | |
die Zahlungen an die UNRWA, das Hilfswerk, das palästinensische Flüchtlinge | |
versorgt. Kurz danach kürzte er die Finanzierung von Krankenhäusern in | |
Ostjerusalem um 20 Millionen Dollar (warum palästinensische Krankenhäuser | |
in Israels unteilbarer Hauptstadt von US-Geldern abhängig sind, ist eine | |
andere Frage). Und in der vergangenen Woche überraschte die US-Regierung | |
mit der Entscheidung, die Vertretung der Palästinensischen | |
Befreiungsorganisation PLO in Washington zu schließen. Begründet wurde das | |
damit, dass die Palästinenser nicht zu Friedensverhandlungen bereit seien. | |
Währenddessen setzt Israel den Siedlungsbau fort: Wenn das Beduinendorf | |
Khan al-Ahmar am Rande Jerusalems wie beschlossen geräumt und dort | |
Wohnungen gebaut werden, wäre der arabische Ostteil der Stadt vom | |
Westjordanland vollständig abgeschnitten. Wie er dann noch Hauptstadt der | |
Palästinenser werden soll, weiß niemand. | |
Flüchtlinge, Grenzen, Jerusalem. Es sind genau diese Fragen, die auch vor | |
25 Jahren im Oslo-Abkommen ausgeklammert wurden. Vielleicht war es schon | |
damals utopisch, eine diplomatische Lösung für diese Streitpunkte zu | |
erreichen. Vielleicht war es falsch, diese Kernfragen auszulagern und auf | |
später zu verschieben – das sagte auch der ehemalige israelische | |
Botschafter in Deutschland, Avi Primor, in dieser Woche. Aber hinterher ist | |
man immer schlauer. | |
25 Jahre lang hat das Oslo-Abkommen den Rahmen gebildet, in dem sich | |
israelische und palästinensische Politiker und internationale Diplomaten | |
bewegten. Rechtlich besteht das Oslo-Abkommen weiter, politisch ist es tot. | |
Das eröffnet den Raum für etwas Neues. | |
Denn Beobachter der Situation sagen auch: Trump hat in den letzten Wochen | |
alle Druckmittel, die er gegenüber den Palästinensern hatte, ausgeschöpft. | |
Die Sicherheitskooperation mit der Palästinensischen Autonomiebehörde | |
dagegen wird fortgesetzt. Dafür tauschen die palästinensischen | |
Sicherheitskräfte und das israelische Militär geheimdienstliche | |
Informationen aus. 60 Millionen US-Dollar ist die Kooperation den USA wert. | |
Sie ist der Grund, warum die Hamas im Westjordanland nicht Fuß fassen kann, | |
und dass es in Israel heute kaum noch Selbstmordanschläge gibt. Sie zu | |
kündigen wäre nicht im Interesse von Trump und Israel. | |
Auch wenn israelische Hardliner Trump nun Beifall klatschen: Israel braucht | |
das Oslo-Abkommen dringender als die Palästinenser. Die Israelische Armee | |
befürchtet, dass die Situation in den palästinensischen Flüchtlingslagern | |
durch den Zahlungsstopp nicht mehr kontrollierbar sei. Und langfristig ist | |
es der Welt nicht vermittelbar, dass Millionen Palästinenser unter | |
israelischer Kontrolle leben, ohne Wahlrecht, ohne Perspektive auf einen | |
eigenen Staat. | |
Für die Palästinenser sind das gute Nachrichten. Auf die Unterstützung der | |
Amerikaner und Europäer müssen sie keine Rücksicht mehr nehmen. Sie könnten | |
den Schlüssel für die Palästinensische Autonomiebehörde bei den Israelis | |
abgeben: Macht damit, was ihr wollt. Israel wäre wieder für die unter | |
Besatzung lebenden Palästinenser verantwortlich, politisch und ökonomisch. | |
## Ein Staat oder permanente Besatzung | |
Es gibt, wenn die Zweistaatenlösung Geschichte ist, nur eine Alternative: | |
Einen Staat in Israel und Palästina, in dem alle Bewohner die gleichen | |
demokratischen Rechte haben. Noch ist das für beide Seite unrealistisch und | |
geht gegen das Selbstverständnis der Israelis und Palästinenser. Aber die | |
Alternative ist schlechter, sie heißt permanente Besatzung. | |
Es gibt erste Anzeichen, dass aus der Utopie irgendwann Realität werden | |
könnte. Israels Präsident Reuven Rivlin hat sich schon im Februar 2017 für | |
eine Einstaatenlösung ausgesprochen. „Die Ausweitung unserer Souveränität | |
auf ein gewisses Gebiet gibt all denen, die dort leben, volle | |
Staatsbürgerrechte. Es gibt keine unterschiedlichen Gesetze für Israelis | |
und Nicht-Israelis.“ | |
Vor der Euphorie aber noch ein bisschen Ernüchterung: Die Gesellschaften in | |
Israel und Palästina haben sich auf eine Weise entwickelt, die eine baldige | |
Lösung schwer machen. | |
Die Palästinenser waren Anfang der Neunziger das progressivste arabische | |
Volk. Nirgendwo sonst hatte ein so großer Anteil der Bevölkerung studiert, | |
die palästinensische Frauenbewegung war stark, die Nationalbewegung | |
sozialistisch orientiert. In der ersten Intifada, die 1987 begann und mit | |
dem Oslo-Abkommen endete, kamen viele Männer ins Gefängnis. Seither waren | |
palästinensische Frauen es gewohnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. | |
Es gab eine Massenbewegung auf der Straße, Hunderttausende kamen zu | |
Demonstrationen, Generalstreiks brachten die israelische Wirtschaft in | |
Nöte. | |
Seitdem ist die palästinensische Gesellschaft konservativer und islamischer | |
geworden. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und die PLO sind | |
korrupt und werden von greisen Männern geführt. Wahlen gab es seit mehr als | |
zehn Jahren nicht. Die Wirtschaft ist abhängig von den Zahlungen aus Europa | |
und den USA. Das Oslo-Abkommen hat eine palästinensische Elite geschaffen, | |
die aller Verbalradikalität zum Trotz von der Besatzung profitiert. Die | |
Zivilbevölkerung ist so abhängig vom Geld, das die PA zu verteilen hat, | |
dass niemand einen Aufstand gegen sie wagt. In Gaza steigt die Suizidrate. | |
Eine politische Bewegung, die gegen die Besatzung, aber auch gegen die | |
eigene Elite kämpft, ist nicht in Sicht. | |
Auch in Israel hat sich in den letzten 25 Jahren beinahe alles verändert: | |
Vor Oslo gab es eine laute Friedensbewegung, die Arbeitspartei war stark, | |
die Siedlerbewegung klein. | |
## „This is not who we are“ | |
Seitdem ist die israelische Gesellschaft nach rechts gerückt. Minister | |
leben in Siedlungen, Vertreter der radikalen Siedlerbewegung beraten die | |
Regierung. Die Arbeitspartei gibt es faktisch nicht mehr. Und über die in | |
diesem Sommer erlassenen Gesetze, die Homosexuelle und arabische Israelis | |
diskriminieren, schrieb Ronald S. Lauder, Präsident des jüdischen | |
Weltkongresses, in der New York Times: „This is not who we are.“ | |
Die für alle Seiten schmerzhafte Lösung wäre, anzuerkennen, dass es | |
zwischen Mittelmeer und Jordan keine zwei Staaten geben wird. Israelis und | |
Palästinenser leben durch die Siedlungsbewegung so gemischt in beiden | |
Landesteilen, dass man nicht ernsthaft eine Grenze ziehen kann. | |
Es gibt noch einen Faktor, der die Lage in Israel und Palästina prägen | |
wird. Es ist die Demografie. In vierzig Jahren, für den Nahostkonflikt ist | |
das eine überschaubare Zeit, könnte die Mehrheit der Bevölkerung in Israel | |
nicht mehr zionistisch sein. Dann bilden laut Israelischer Statistikbehörde | |
Ultraorthodoxe und Araber die Mehrheit im Land. Schon heute leben unter | |
israelischer Herrschaft, also in Israel und den besetzten Gebieten, ebenso | |
viele Araber wie jüdische Israelis. | |
Was bedeutet das für Israel? Es muss einen Weg finden, die Araber so in den | |
Staat zu integrieren, dass sie sich selbst als einen Teil dessen verstehen. | |
Es muss ein Staatsverständnis entwickeln, das über den Zionismus hinaus | |
weist. | |
Auch wenn das utopisch ist und im Moment alles dagegen zu sprechen scheint: | |
Es wäre heute realistischer als das Oslo-Abkommen. Und wer von den | |
Beteiligten hätte 1988 während der ersten Intifada gedacht, dass man sich | |
wenig später im Rosengarten des Weißen Hauses die Hände schütteln würde. | |
14 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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