# taz.de -- Unabhängigkeitspolitiker vor Gericht: Der katalanische Prozess | |
> In Madrid beginnt der Prozess gegen ein Dutzend katalanische | |
> Unabhängigkeits-Aktivisten. Der Konflikt hat nichts an Sprengkraft | |
> verloren. | |
Bild: Unabhängigkeitsfans schwenken Flaggen, als die Angeklagten nach Madrid g… | |
Madrid taz | Spaniens Justiz sitzt ab Dienstag in einem Mammutverfahren | |
über die Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu Gericht. | |
Insgesamt müssen sich zwölf Beschuldigte vor dem obersten Gerichtshof in | |
Madrid wegen des Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 | |
verantworten. Neun von ihnen befinden sich in Untersuchungshaft, die | |
meisten seit über einem Jahr. | |
Neben dem ehemaligen Vizechef der katalanischen Regierung, Oriol Junqueras, | |
sitzen acht ehemalige Minister und Ministerinnen sowie die ehemalige | |
Präsidentin des katalanische Parlaments, Carme Forcadell, auf der | |
Anklagebank. Auch die Vorsitzenden der beiden wichtigsten Bürgerbewegungen | |
für die Loslösung von Spanien, Jordi Sánchez von der Katalanischen | |
Nationalversammlung (ANC) und Jordi Cuixart des Kulturvereins Òmnium | |
Cultural, müssen sich verantworten. | |
Neun der zwölf Angeklagten werden der „Rebellion“ beschuldigt, der Rest des | |
„Aufstandes“ oder des „schweren Ungehorsams“. Hinzu kommt bei einigen d… | |
Vorwurf der „Veruntreuung öffentlicher Gelder“. | |
Der ehemalige katalanische Regierungschef und berühmteste | |
Katalanenvertreter Carles Puigdemont sowie sechs weitere Politiker stehen | |
nicht vor Gericht. Sie hatten sich rechtzeitig ins Ausland abgesetzt. In | |
Abwesenheit darf in Spanien gegen niemanden verhandelt werden. Puigdemont | |
befindet sich derzeit in Brüssel im Exil. | |
## Das Verfahren ist das erste – nicht aber das einzige | |
Das Verfahren vor dem obersten Gerichtshof ist das erste, aber nicht das | |
einzige in Sachen 1. Oktober. Von der katalanischen Polizeiführung bis hin | |
zu Direktoren von Schulen, in denen abgestimmt wurde, und Bürgermeister, | |
die das Referendum unterstützen, wird Hunderten von | |
Unabhängigkeitsbefürwortern der Prozess gemacht. | |
Die Angeklagten hätten „eine Strategie verfolgt“, um zwischen Regierung, | |
Parlament und den beiden Unabhängigkeitsorganisationen „das Vorgehen | |
abzustimmen“ und so „die verfassungsmäßige Ordnung mit dem Ziel der | |
Unabhängigkeit Kataloniens zu brechen“, heißt es in der Anklageschrift der | |
Staatsanwaltschaft. „Sie dachten über den Einsatz aller Mittel nach, die | |
erforderlich sind, um ihr Ziel zu erreichen, einschließlich (…) notwendiger | |
Gewalt (…) zum einen mittels der einschüchternden Wirkung, die von | |
tumultartigen Handlungen der großen Mobilisierungen ausgeht, zu denen sie | |
gerufen hatten (…).„ Zum anderen hätten sie dies mit dem Einsatz der | |
katalanischen Polizei Mossos d’Esquadra versucht. | |
Tatsächlich allerdings verliefen die Großdemonstrationen zugunsten der | |
katalanischen Unabhängigkeit völlig friedlich. Und bei der Abstimmung am 1. | |
Oktober ging nur von der spanischen Nationalpolizei und Guardia Civil | |
Gewalt aus. Deren brutale Einsätze in Wahllokalen verursachten knapp 1.000 | |
Verletzte. Auch kam es zu keinem bewaffneten Aufstand der Autonomiepolizei | |
Mossos d’Esquadra. | |
Doch der Staatsanwaltschaft reicht die Unterstellung, Gewalt in Erwägung | |
gezogen zu haben, um den Vorwurf der Rebellion aufrechtzuerhalten. Sie | |
fordert zwischen 17 und 25 Jahren Haft. Die Anwälte des Staates, die die | |
Interessen der Regierung vertreten, gehen nur vom Vorwurf des „Aufstandes“ | |
aus und verlangen acht bis zwölf Jahre Haft. Die Hauptverhandlung soll | |
Schätzung des Obersten Gerichtshofs drei bis vier Monate dauern. | |
Die rechtsradikale Partei VOX, die Nebenklägerin ist, würde am liebsten bis | |
zu 74 Jahre Haft sehen. Die politischen Erben der Franco-Diktatur finden | |
noch den Tatbestand der „kriminellen Vereinigung“ gegeben. Die | |
Hauptverhandlung soll drei bis vier Monate dauern. Das Urteil wird | |
anschließend Monate auf sich warten lassen. | |
Die Verteidiger der Angeklagten bezeichnen den Prozess allesamt als | |
politisches Verfahren. „Es war notwendig einen Tathergang auf Grundlage von | |
erfundenen Tatsachen zu konstruieren, indem sie die Gewalt in den | |
Vordergrund stellen – auch wenn das Unsinn ist“, erklärt Andreu Van den | |
Eynde, Verteidiger des ehemaligen Vizeregierungschefs Junqueras. | |
Die Unabhängigkeitsbewegung sei in den letzten Jahren immer stärker | |
geworden. „Der Vorwurf der Rebellion gegen die Führer der | |
Unabhängigkeitsbewegung soll dieses Wachstum bremsen“, sagt Van den Eynde. | |
Einen Freispruch oder sehr niedrige Strafen für die zwölf hält er für | |
ausgeschlossen. „Der Skandal nach so langer Untersuchungshaft wäre | |
gewaltig“, sagt Van den Eynde. | |
Auch für 120 Juraprofessoren von Universitäten unterschiedlicher Regionen | |
Spaniens ist der Vorwurf der „Rebellion“ und des „Aufstands“ völlig | |
überzogen. Dies „öffne die Tür zur Banalisierung“ dieser Straftatbestän… | |
„die in einer Demokratie praktisch nicht vorkommen“, heißt es in einem | |
Manifest, das sie geschrieben haben. | |
## Vorwurf der Veruntreuung ist umstritten | |
Diego López Garrido, der Juraprofessor, der die entsprechenden Paragrafen | |
bei einer Strafrechtsreform in den 1990er Jahren ausgearbeitet hat, | |
erklärte, diese seien für militärische Putschversuche gedacht gewesen – und | |
nicht für Bewegungen wie die in Katalonien. | |
Die belgische, schottische und deutsche Justiz konnten ebenfalls keine | |
Rebellion und keinen Aufstand ausmachen. Sie lehnten deshalb eine | |
Auslieferung der im Ausland lebenden katalanischen Politiker ab. | |
Selbst der Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder ist umstritten. | |
„Ich weiß nicht, wie der 1. Oktober finanziert wurde. Aber es war nicht mit | |
öffentlichen Geldern“, erklärte kein Geringerer als Cristobal Montoro, | |
konservativer Finanzminister in Madrid während der Referendumsvorbereitung, | |
in einem Interview. Im Verfahren wird er als Zeuge vernommen. | |
Insgesamt sind 500 Zeugen geladen, unter ihnen der ehemalige konservative | |
Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. 2.100 Seiten Dokumente werden gesichtet. | |
Über 600 Journalisten haben sich akkreditiert, darunter 50 internationale | |
Medien. Die Hauptverhandlung, die live im Fernsehen übertragen wird, soll | |
drei bis vier Monate dauern. Dem Prozess ist also die Aufmerksamkeit | |
sicher. | |
## Regierungschef Sánchez braucht die Katalanen | |
Anders als bei sonstigen Verfahren dürfen die Fernsehteams aber vor dem | |
Gericht keine Bühnen errichten; aus Sicherheitsgründen, heißt es vonseiten | |
der Behörden. Die internationalen Prozessbeobachter unterschiedlicher | |
Menschenrechtsorganisationen werden vom Gericht nicht anerkannt. Sie dürfen | |
zwar den Gerichtssaal betreten. Doch einen Sonderstatus gibt es nicht. | |
„Jeder Bürger, der internationaler Beobachter sein will, kann das werden“, | |
erklärt der Vorsitzende des obersten Gerichtshofes, Carlos Lesmes, und | |
verweist auf die TV-Übertragung. | |
Die Gerichtsverhandlung droht überdies die spanische Regierung des | |
Sozialisten Pedro Sánchez in den Abgrund zu reißen. Er braucht die Stimmen | |
der katalanischen Parteien im spanischen Parlament, um den Haushalt zu | |
verabschieden und so bis Ende der Legislaturperiode 2020 an der Macht zu | |
bleiben. Angesichts des Verfahrens drohen die Unabhängigkeitsbefürworter | |
nun aber, den Haushalt platzen zu lassen. | |
Um die Lage zu beruhigen, hat Sánchez der katalanischen Regierung einen | |
Dialog angeboten – und sich nun erstmals auf einen unabhängiger | |
„Berichterstatter“ eingelassen. Dieser sollte mit am Tisch sitzen und genau | |
aufzeichnen, über was geredet wird und auf was sich beide Seiten einigen. | |
Den Rechten ist das ein Schritt zu viel in Richtung der Katalanen: Obwohl | |
Sánchez dieses Angebot am Freitag zurückzog, werfen ihm seine Gegner nun | |
„Ausverkauf der spanischen Einheit“, ja „Verrat“ und „Treuebruch“ v… | |
Die konservative Partido Popular und die rechtsliberalen Ciudadanos riefen | |
am Sonntag deshalb zusammen mit der rechtsextremen VOX und | |
neofaschistischen Gruppen in Madrid zu einer Großkundgebung zur | |
Verteidigung der Einheit Spaniens und für den Sturz der Regierung Sánchez | |
auf. Die spanischen Behörden bezifferten die Teilnehmerzahl auf etwa 45.000 | |
Menschen, die Organisatoren wollen viermal so viele Demonstranten gezählt | |
haben. Der Katalonienkonflikt hat also knapp eineinhalb Jahre nach dem | |
Referendum nichts an Sprengkraft verloren. | |
12 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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