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# taz.de -- Debatte Grundeinkommen: Umdenken lohnt sich
> Ein Grundeinkommen würde Prekäre entlasten, Unternehmen könnten Kosten
> abbauen. Doch vor allem die Demokratie braucht die Umverteilung.
Bild: Am Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen demonstrieren in Berlin Menschen …
Die Debatte über ein Grundeinkommen hat in den letzten Wochen die Politik
erfasst. [1][Robert Habeck machte einen Aufschlag,] Andrea Nahles zog nach.
Bereits letztes Jahr hatten Multiplikatoren wie Richard David Precht und
Ranga Yogeshwar das Thema salonfähig gemacht. Und auch im Vertrag der
Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein ist das Wort „Grundeinkommen“ zu
lesen, und [2][beim Debattencamp der SPD in Berlin Anfang November wurde
das Thema heiß diskutiert.] Es geht dabei um eine Neuaufstellung der
sozialen Sicherungssysteme im heraufdämmernden Zeitalter der
Digitalisierung.
Also: Wovor haben diejenigen Angst, die ein Grundeinkommen ablehnen? Doch
nicht etwa vor der gewonnenen Freiheit des einzelnen Menschen oder vor der
neu gewonnenen Innovativkraft von Unternehmen?
Zwei Grundfragen aber stellen sich. Erstens: Ist das Grundeinkommen, ob
bedingungslos oder nicht, eine Antwort auf die Entwicklungen auf dem
Arbeitsmarkt und die digitale Herausforderung? Und zweitens: Ist ein
Grundeinkommen ein Mittel, in der sich zerspaltenden Gesellschaft eine neue
Solidarität herzustellen?
Immer mehr Menschen, auch in der Politik, begreifen, dass die Zeit, in der
man sich für einzelne Gruppen engagiert beziehungsweise einzelne
gesellschaftliche Organisationen sich für Teile der Gesellschaft
engagieren, weitgehend zu Ende ist. Sie rufen unüberhörbar nach einem
solidarischen, gesamtgesellschaftlichen Sozial- und Steuerkonzept.
## Verstecken des Prekariats
Wir brauchen also den gesamtgesellschaftlichen Ansatz eines tragfähigen
Konzepts. So weit ist die Politik allerdings noch nicht, auch nicht der am
weitesten vorpreschende Vorschlag von Robert Habeck. Wir stehen erst am
Anfang der Diskussion, das Ganze wird ein Lernprozess, an dem auch die
Bevölkerung beteiligt werden sollte.
Alte politische Ansätze, mit Schlagwörtern wie „Arbeitsplätze schaffen“
oder „eine Reichensteuer einführen“, zerplatzen an der gesellschaftlichen
Realität. Erinnern wir uns: „Hartz IV“ wurde eingeführt, weil Gerhard
Schröder erkannt hatte, dass Unternehmen in Massen aus Deutschland
auswanderten oder pleitegingen, weil die Kosten für Arbeit im
internationalen Vergleich zu hoch waren. Statt das Problem steuerlich zu
lösen, indem man die Kosten für Arbeit senkte, wurde das Problem den prekär
Beschäftigten in die Schuhe geschoben. Durch das Verstecken des Prekariats
in der Statistik wurden die Arbeitslosenzahlen geschönt. Das ist bis heute
so.
Eine Debatte darüber gab es immer nur am Rande; wer das Problem
thematisierte, wurde von den einen in die linke, von den anderen in die
konservative Ecke gestellt, je nachdem, ob man Hartz IV oder die zu hohen
Steuern und Abgaben für Unternehmen kritisierte. Das hat sich gerächt: Es
entstand ein gesellschaftliches Klima, das politische Kräfte an die
Oberfläche gespült hat, die noch vor wenigen Jahren niemand wollte. Dieses
Klima spiegelte sich auch in einer Neiddebatte, die bis an die Grenze des
Absurden ging.
Die Debatte greift daher zu kurz. Es wird in den nächsten Jahren
gravierende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geben, die global gedacht
werden müssen, wenn der Weltfrieden nicht gefährdet werden soll. Trotzdem
möchte man zum einen „Menschen in Arbeit bringen“, ignoriert zugleich aber,
dass es seit Jahrzehnten eine Rationalisierung gibt, die Arbeitsprozesse
schlanker macht. Mit Erfolg, denn die Wirtschaft soll primär gar keine
Arbeitsplätze schaffen, sondern möglichst kostengünstig mit guter Qualität
produzieren. Zu den um sich greifenden Rationalisierungsmaßnahmen kommt
jetzt die Digitalisierung, die das Problem erheblich verschärft. Aber ist
es wirklich ein Problem? Oder eher eine Chance?
## Etwas anderes als Geld
Es ist eine Chance, denn sie ermöglicht es Unternehmen, Kosten abzubauen
und günstiger zu produzieren. Nur ein einziger Gedanke steht dieser Chance
im Weg: die Überzeugung, Menschen müssten um jeden Preis einer
Erwerbstätigkeit nachgehen. Zu vielen ist der Gedanke, Arbeit und Einkommen
voneinander zu trennen, immer noch völlig fremd. Vielleicht haben jene, die
„in Arbeit bringen“ wollen, ganz einfach Furcht vor dem Verlust ihrer Macht
über die Menschen.
Dabei hindert die partielle Trennung von Einkommen und Arbeit niemanden an
der Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze. Sie bedroht auch nicht eine gute
und angemessene Bezahlung. Nach ernst zu nehmenden Statistiken werden
bereits heute 60 Prozent der in Deutschland geleisteten Arbeit nicht
entlohnt. Erziehungsarbeit, Ehrenamt, bürgerliches und politisches
Engagement. Und auch nur gut 40 Prozent der Bevölkerung erhalten ihr
Einkommen aus der Erwerbsarbeit. Menschen arbeiten eben zu einem großen
Teil auch für etwas anderes als für Geld. Zwar haben in den letzten Jahren
mehr Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz, die
Lohnsumme ist jedoch insgesamt gesunken.
Wann also hat das Grundeinkommen das Potenzial für ein mehrheitsfähiges
Sozialmodell? Wenn es verknüpft wird mit einer gravierenden Steuer- und
Abgabenentlastung des Mittelstandes. Wir müssen vollkommen weg von der
Steuerbelastung von Arbeit, hin zu einer Steuer- und Abgabenbelastung von
Produkten und besonders auch des Kapitals.
[3][Schon mit einer niedrigen Finanztransaktionssteuer] könnte man weit
mehr als die Differenz zwischen den Kosten des bisherigen Sozialstaats und
denen eines Grundeinkommens finanzieren. Unternehmen würden dadurch
entlastet, dass ihre Kosten durch Produkt- und Umsatzsteuern an das Ende
des Produktionsprozesses verlagert würden, sie müssten Steuern und Abgaben
erst dann zahlen, wenn das Geld ist der Kasse ist.
Wir brauchen also nicht nur ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wir
brauchen dazu ein Steuersystem, das umverteilt, die Bürokratie entschlackt
und die Kosten für Arbeit senkt. Wir brauchen es für die Demokratie in
Deutschland.
21 Jan 2019
## LINKS
[1] /Sozialpolitik-in-Deutschland/!5563082
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[3] /Bedingungsloses-Grundeinkommen/!5083889
## AUTOREN
Arfst Wagner
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Michael Müller
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