| # taz.de -- SPD-Debattencamp in Berlin: Suche nach sich selbst | |
| > Die SPD inszeniert sich auf einem Debattencamp in Berlin als lebendige, | |
| > diskursive, linke Volkspartei. Und zeigt, dass doch noch Energie in ihr | |
| > steckt. | |
| Bild: Scheintot wirkt hier zumindest niemand | |
| Andrea Nahles ballt die Fäuste, hebt die Stimme und brüllt, als hätte sie | |
| kein Mikrofon. Die SPD-Parteichefin beschwört ein Europa, das von Trump und | |
| Putin bedroht wird, fordert eine europäische Armee und will „die Machtfrage | |
| im digitalen Kapitalismus stellen“. | |
| „Debattencamp“, das klingt ja eher nach ausgeruhter Reflexion – aber | |
| Nahles’ Auftakt vor gut zweitausend GenossInnen ähnelt einer Marktplatzrede | |
| im Wahlkampf. | |
| Doch dieser Auftakt täuscht zum Glück. Das Debattencamp erweist sich als | |
| erfreulich offenes Forum, vielfältig und selbstreflexiv, das weitgehend | |
| ohne Marktschreierei auskommt. Die TeilnehmerInnen sind bunt gemischt, | |
| Minister sitzen neben NGO-Aktivisten. Auf den Gängen drängeln sich nicht | |
| nur die üblichen grauhaarige Lederwesten-Sozen, sondern auch viele Jüngere. | |
| Die Veranstaltung findet an einem Ort statt, den man hip nennt – in einem | |
| alten, zur Eventlocation aufgemöbelten Industriebau in Berlin-Köpenick. Das | |
| ist wohl Symbol für das, was die SPD sehr gern wäre: oldschool, aber | |
| angesagt. | |
| Fürsprecher von Initiativen eines Bedingungslosen Grundeinkommens streiten | |
| sich mit Verteidigern des deutschen Sozialstaats, Heiko Maas hat es mit | |
| einem russlandfreundlichen Professor zu tun. Andere fetzen sich über die | |
| Frage, ob und wie man mit der AfD reden soll. Enthusiastische „digital | |
| natives“ schwärmen vor eher ratlosen älteren GenossInnen davon, wie man | |
| netzferne Gruppen „enabeln“ könne. | |
| ## Die Einheit der Linken | |
| Nichts ist grundstürzend neu. Aber die meisten Debatten werden auf hohem | |
| Niveau geführt, in angenehmer Mixtur zwischen Erfahrungsberichten des | |
| Publikums, den Alltagsanforderungen, mit denen Fachleute und PolitikerInnen | |
| zu tun haben, und theoretischen Visionen. | |
| Dass dieser Balanceakt meist gelingt, dass wenig zerfasert und ausfranst | |
| und auch Ansprachen von oben selten bleiben, ist schon etwas wert. Nahles | |
| kündigt vollmundig sogar schon „die Einheit der Linken an“, von Partei und | |
| NGOs. Das thematische Potpourri reicht von der Frage, wie die SPD | |
| Russlanddeutsche ansprechen kann, bis hin zu praktischen Beispielen, wie | |
| sich komatöse Ortsvereine wiederbeleben lassen. | |
| Es gibt zwei rote Fäden, zwei für die SPD fundamentale Themen: Ökologie und | |
| Soziales. Ottmar Edenhofer, Ökonom und Klimaschützer, plädiert für eine | |
| CO2-Steuer. Die globale CO2-Emission steige jährlich um 2 Prozent. Diese | |
| Steuer gelte es mit Umverteilung zu verknüpfen, um sie politisch | |
| durchsetzbar zu machen. Sein Konterpart, der SPD-Genosse und IGBCE-Chef | |
| Michael Vassiliadis, der die Steuer ablehnt, präsentiert Einwände, aber | |
| kein überzeugendes Gegenkonzept. | |
| Nahles verspricht: „Wir werden [1][Hartz IV hinter uns lassen]“ – und | |
| bekommt dafür tosenden Applaus. Doch wie das genau gehen soll, ist offen. | |
| Die SPD-Linke Daniela Kolbe plädiert, dass, wer lange gearbeitet hat, | |
| keinesfalls mehr in Hartz IV fallen darf. (Die taz berichtete.) „Was nach | |
| Hartz IV kommt, ist die wichtigste Frage der SPD-Erneuerung“, so Kolbe – | |
| aber noch offen. | |
| ## Mehr Kreativität in der SPD, als man vermutet | |
| SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil will [2][ein mit 1.000 Euro staatlich | |
| bezahltes „Sabbatical“], das zum Beispiel nach zwölf Jahren Job möglich | |
| sein soll. Dieses Grundeinkommensjahr ist eine nach vorne weisende Idee, | |
| die sozialstaatliche Abfederung mit gestiegenen | |
| Selbstverwirklichungsansprüchen verknüpft. | |
| „Das kostet rund 8 Milliarden Euro pro Jahr, wenn es 2 Prozent aller | |
| Arbeitenden in Anspruch nehmen“, erläutert Klingbeil am Sonntag. Näheres | |
| war leider nicht zu erfahren, weil die Debatte sich in den ausgetretenen | |
| Pfaden des grundsätzlichen Pro & Kontra zum Bedingungslosen Grundeinkommen | |
| bewegte. | |
| Das Debattencamp zeigt, dass in der SPD, die oft scheintot wirkt, mehr | |
| Energie und Kreativität steckt, als man vermutet. Die Kritik, die Partei | |
| befasse sich hier doch nur mit sich selbst, anstatt mit den Bürgern zu | |
| reden, ist naheliegend, aber kurzatmig. | |
| „Es gibt keinen Koalitionspartner, es geht hier um SPD pur“, hatte | |
| Klingbeil am Samstag angekündigt. Dass dieser Hinweis auf das | |
| Selbstverständliche nötig ist, zeigt das Dilemma, in dem die ewige | |
| Regierungspartei SPD steckt – ihr Selbstbild ist unklar. Solange die SPD | |
| nicht so genau weiß, wie sie Hartz IV überwinden will und ob ihr | |
| Klimaschutz nun Herzenssache ist oder nicht – so lange nutzen auch | |
| Verkaufsgespräche mit den BürgerInnen nicht viel. | |
| 11 Nov 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hartz-IV-in-der-Reformwerkstatt/!5549459 | |
| [2] /Ausgleich-zum-Arbeits-Alltag/!5549064 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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| Frauenwahlrecht | |
| Der 9. November | |
| Berliner Bündnis gegen Rechts | |
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