# taz.de -- Bezieherin eines Grundeinkommens: Das große Los | |
> Thaïs Bendixen bezieht seit einem knappen Jahr bedingungsloses | |
> Grundeinkommen. An ihrem Alltag hat das eigentlich wenig geändert. | |
Bild: Thaïs Bendixen bei sich zuhause, arbeitend | |
BERLIN taz | Thaïs Bendixen sitzt am Laptop auf dem Sofa ihres | |
Friedrichshainer WG-Zimmers, das sie gemeinsam mit ihrem Freund bewohnt, | |
und tut das, was sie den größten Teil des Tages tut: arbeiten. Mails | |
checken für den neuen Job in einem Start-up zum Beispiel. Einen Text | |
schreiben. Recherchieren. | |
Gearbeitet hat sie, bevor sie im Sommer 2019 erfuhr, dass sie ein Jahr lang | |
Grundeinkommen bekommen wird. Sie hat auch in den vergangenen zehn Monaten | |
gearbeitet, in denen alle vier Wochen 1.000 Euro einfach so auf ihrem Konto | |
auftauchen. Und sie hat auch an dem Tag im August gearbeitet, als sie von | |
ihrem Gewinn bei der Verlosung so eines Grundeinkommens erfuhr. Während | |
sich andere von einem solchen Geschenk vielleicht eine Weltreise, ein neues | |
Auto oder einen Sprachkurs kaufen würden, hat Thaïs Bendixen einfach | |
weitergemacht. Und doch kam das Grundeinkommen zu einem Zeitpunkt, der | |
nicht besser hätte sein können, meint sie. | |
Vor vier Jahren meldete sich Thaïs Bendixen für die Verlosung von [1][„Mein | |
Grundeinkommen“] an, dem Verein, der von Michael Bohmeyer im Juli 2014 in | |
Berlin gegründet wurde und durch Spenden und Crowdfunding bis heute 627 | |
bedingungslose Grundeinkommen verlost hat. 1.000 Euro für jeden. Egal, wie | |
sehr oder wie wenig er es braucht. Keiner, der teilnimmt, muss spenden, | |
aber alle, die spenden, nehmen an der Auslosung teil. Bei der Anmeldung | |
kann man einen Partner wählen, der dann auch das Grundeinkommen bekommt. | |
Oder mehrere, unter denen der Verein dann noch einmal auslost. | |
Thaïs Bendixen wurde von ihrem Freund als Partnerin gewählt. Sie wurden | |
gelost, kurz bevor Bendixen plötzlich kein Einkommen mehr hatte, aber | |
trotzdem ihr Studium beenden wollte. | |
Thaïs Bendixen ist als Tochter einer Spanierin und eines Deutschen in | |
Portugal aufgewachsen, besuchte dort eine deutsche Schule und kam danach | |
zum Studium nach Deutschland, weil hier, wie sie sagt, die Unis besser | |
seien. Sie studierte Geowissenschaften. Am Anfang ihres Studiums bekam sie | |
noch Bafög, sagt sie, doch dann schlug sie sich selbst durch. | |
Die zierliche Frau mit dem energischen Blick klappt ihren Laptop zu und | |
setzt sich zum Gespräch an einen riesigen Tisch aus Europaletten, der das | |
Berliner Zimmer, in dem sie lebt, dominiert. „Also, ich habe es immer | |
hinbekommen“, sagt sie. „Wenn Geld fehlte, habe ich an Marktforschungen | |
teilgenommen oder auf Events gearbeitet.“ Und dann, nach einer kleinen | |
Pause: „Ich bin nicht ängstlich, ich habe immer das Gefühl, ich werde schon | |
irgendwie überleben. Eher würde ich sagen, dass ich vorsichtig bin.“ | |
Draußen ist Sommer, also schlägt Thaïs Bendixen vor, das zu tun, was sie | |
immer tut, wenn sie dann doch endlich einmal genug gearbeitet hat. Wir | |
verlassen die Wohnung, raus zum Späti, Radler und Limo, ran ans nahe | |
Spreeufer. Es ist manchmal ein wenig schwer, Thaïs Bendixen nahe zu kommen, | |
es ist manchmal aber auch ganz einfach, sie zu verstehen, wenn man die | |
Dinge nur zusammenzählt. | |
Bei der Weltfinanzkrise 2008 war die junge Frau ein Teenager. Während diese | |
Zeit in Deutschland auch dank Sozialstaat an manchen Gleichaltrigen einfach | |
vorübergegangen sein mag, muss das in Portugal unmöglich gewesen sein. | |
Bendixens Eltern arbeiten beide im Tourismus – und der Tourismus ist immer | |
eine der ersten Branchen, in denen es knirscht. Da galt vor 12 Jahren, das | |
gilt auch wieder in diesem Jahr, in der Coronakrise. „Meine Mutter war im | |
April einen ganzen Monat lang mit den Stornierungen beschäftigt“, sagt sie. | |
Am Anfang, als sie an der ersten Verlosung teilnahm, interessierte sie sich | |
nicht so sehr fürs Grundeinkommen, auch politisch nicht. „Aber je | |
erwachsener man wird, desto mehr denkt man über die Sachen nach, die man | |
macht.“ Heute hält Bendixen das Grundeinkommen für eine der | |
interessantesten Ideen, unsere Gesellschaft vom Kopf auf die Beine zu | |
stellen. Das wird ihr besonders im Augenblick wieder sehr deutlich, wo | |
viele Menschen in eine tiefe Krise schlittern, weil sie nicht mehr arbeiten | |
können, weil ihre Läden noch immer geschlossen sind, weil sie entlassen | |
oder auf Kurzarbeit sind. | |
Ist es nicht ungerecht, dass beim bedingungslosen Grundeinkommen auch | |
Millionäre Geld bekämen? All jene also, die es nun wirklich nicht nötig | |
haben? „Vielleicht sähe so ein Mensch die Welt anders, wenn er auch mal | |
Geld geschenkt bekäme“, sagt Thaïs Bendixen. Wie soll das Grundeinkommen | |
finanziert werden? „Deutschland gibt sehr viel Geld aus fürs Jobcenter.“ | |
Und: „Der Reichtum in diesem reichen Land könnte wirklich gerechter | |
verteilt sein.“ | |
Zu Geld, so kristallisiert sich immer mehr heraus, hat Bendixen ein maximal | |
funktionales Verhältnis. Sie hat auch schon von 500 Euro im Monat gelebt – | |
Miete inbegriffen. Markenkleider? Andere Statussymbole? Braucht kein | |
Mensch. Besser man legt was beiseite, um später weniger Stress zu haben. | |
„Es ist nicht gut, wenn man nicht weiß, ob man die nächste Miete bezahlen | |
kann.“ | |
Kurz nachdem Thaïs Bendixen das erste Grundeinkommen aufs Konto bekommen | |
hatte, berichtet sie, wurde ihr der Studentenjob gekündigt. Dabei hatte sie | |
tolles Feedback bekommen, sogar gehofft, dass sie übernommen würde. | |
Innerhalb von zwei Wochen hatte sie kein eigenes Einkommen mehr, die | |
Ersparnisse hatte sie kurz zuvor für ein Auslandssemester ausgegeben. Und | |
nun musste sie auch noch die Masterarbeit schreiben. „Ich habe mich | |
natürlich sofort beworben und auch gleich eine Zusage bekommen. Aber das | |
Grundeinkommen hat es mir ermöglicht, mich weiterzubewegen und auf etwas | |
Sinnvolleres zu warten. Ich hatte einfach Zeit.“ | |
Thaïs Bendixen fand damals einen Studentenjob, der ihr Spaß machte. Dieser | |
wiederum half ihr dabei, in dem Traumjob zu landen, den sie vor Kurzem | |
angenommen hat. „Ich arbeite im Bereich Fernerkundung“, berichtet sie | |
stolz. Ihr Arbeitgeber betreibt eine Plattform, über die man | |
Satellitendaten bekommt und auch gleich auswerten lassen kann. „Es ist neu | |
und superspannend“, sagt sie, „ich lerne gerade wahnsinnig viel dazu.“ | |
Michael Bohmeyer, der Gründer des Vereins „Mein Grundeinkommen“, hat 2018 | |
mit seiner Mitautorin Claudia Cornelsen einen Teil derer, die das „große | |
Los“ gewonnen haben, besucht – und dann haben sie darüber das Buch „Was | |
würdest du tun?“ geschrieben, das vergangenes Jahr erschienen ist. Alle, | |
die das Geld bekommen hatten, stellten damit Unterschiedliches an. Nicht | |
alle litten vor dem Grundeinkommen an mangelnder finanzieller Sicherheit. | |
Nicht alle gehören zu jenen 50 Prozent aller Deutschen, die keine Rücklagen | |
haben, die auf Sicht fahren und immer und immer ihren Mut beweisen müssen. | |
Manche wollten einfach mehr kulturelle Teilhabe oder öfter schön essen | |
gehen. | |
Und trotzdem haben sie alle etwas gemeinsam, schreibt Bohmeyer, auch jene, | |
die auf den ersten Blick blöd konsumierten. Sie alle hatten das Gefühl, | |
etwas geschenkt bekommen zu haben. Sie alle meinten, das blinde Vertrauen, | |
das ihnen plötzlich entgegengebracht wurde, zurückgeben zu müssen. Sie | |
meinten, endlich entfalten zu können, was in ihnen steckt. Sie investierten | |
in nicht weniger als in sich selbst – selbst dann, wenn sie einfach nur | |
viele Konzertkarten kauften. | |
Genau so hat es auch Thaïs Bendixen gehalten – nur dass sie nicht in | |
Materielles investiert hat. Wir sind inzwischen in einem kleinen Park | |
angelangt, wo sie sich zum Tischtennis verabredet hat. Hier geht sie oft | |
hin, genießt ihren Feierabend. Damals, als sie ihren Studentenjob verlor, | |
sagt sie, war das ein Schock. Sie war traurig, wusste nicht mehr, was sie | |
kann. „Ich bin manchmal etwas unsicher“, lächelt sie und meint damit wohl | |
auch, dass damals wie bei vielen in diesem Lebensabschnitt nicht wenig auf | |
dem Spiel stand. Durch das Grundeinkommen habe sie nicht nur Zeit gewonnen, | |
sondern auch ein ganz anderes Standing. Ein Selbstbewusstsein, das sie aus | |
der Kündigung heraus nicht hätte entwickeln können. | |
In zwei Monaten läuft ihr Grundeinkommen aus. „Das ist okay“, sagt sie, sie | |
habe jetzt viel weniger Angst als noch vor einem Jahr, obwohl sie ja noch | |
bei ihrer Arbeit in der Probezeit sei. Außerdem, fügt sie nach einer | |
längeren Pause an: Vielleicht würde man sich zu sehr daran gewöhnen, wenn | |
man es lebenslang bekäme. „Ich fände es toll, wenn es jedem drei Jahre lang | |
zustünde. Und wenn jeder selbst auslösen könnte, wann er es bekommen | |
möchte.“ | |
Was würde das ändern? „Man könnte drei Jahre lang komplett etwas Neues | |
ausprobieren, etwas, das man sich sonst nicht trauen würde und was heute | |
als riskant gilt.“ | |
Zum Beispiel? „Zum Beispiel Fotografieren, Musik, Kunst. Viele hätten nicht | |
nur einfach mehr Sicherheit. Sie würden sich verändern.“ | |
Hat Thaïs Bendixen je mit dem Gedanken gespielt, mal ein Jahr lang nichts | |
zu tun? | |
Seit das Grundeinkommen diskutiert wird, fallen immer wieder zwei | |
Gegenargumente: Die Menschen, so das erste, würden sich nur noch in die | |
Hängematte legen. Die Menschen, so das zweite, würden keine Drecksarbeit | |
mehr machen wollen. Thaïs Bendixen sagt: „Drecksarbeit müsste halt besser | |
bezahlt werden.“ | |
Und: „Ich verstehe es nicht, dass Leute das überhaupt können: Nicht | |
arbeiten. Ich könnte das niemals, einfach ein Jahr gar nicht arbeiten. Ich | |
muss einfach etwas zu tun haben, wenn ich morgens aufwache.“ | |
Auch wenn sie von heute auf morgen für ihre Arbeit nicht mehr bezahlt | |
würde, auch wenn sie nicht mehr für ihren Lohn arbeiten müsste: Man kann | |
ziemlich sicher davon ausgehen, dass sich in ihrem Leben nicht allzu viel | |
verändern würde. | |
Selbst im Berliner Schulsystem hat sich inzwischen herumgesprochen, dass | |
intrinsische Motivation zu besseren Ergebnissen führt. Und große Sorgen | |
eher zu schlechteren. | |
Es gibt aktuelle Umfragen, nach denen 50 Prozent der Deutschen so ein | |
Grundeinkommen befürworten – Tendenz steigend. | |
Ach, übrigens, eine kleine Besonderheit, die hat sich Thaïs Bendixen dann | |
doch geleistet. Man sieht es in ihrem Zimmer nur, wenn man lang danach | |
sucht. Dort stehen da und dort hübsche, kleine Keramikvasen herum. | |
„Ich habe angefangen zu töpfern“, sagt sie ein wenig schüchtern. „Das h… | |
mir einfach gutgetan.“ | |
5 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mein-grundeinkommen.de/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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