| # taz.de -- Grundeinkommen in Kenia: 20 Euro für ein besseres Leben | |
| > In Dörfern in Kenia wird das bedingungslose Grundeinkommen getestet. | |
| > Leute, die immer arm waren, können jetzt Träume verwirklichen. | |
| Bild: Endlich abgesichert: Die 80jährige Witwe Dorcas Rauda vor ihrem Haus | |
| Siaya taz | Dorcas Rauda glättet die blauen Stickdeckchen auf der Rücklehne | |
| ihres Sofas. „Ich habe sie auch in grün“, erzählt die alte Frau. „Das s… | |
| die Geschenke, die ich mir aus meinem monatlichen Einkommen erlaubt habe.“ | |
| Ihr Wohnzimmer hat keine Decke, beim Blick nach oben sieht man die | |
| Holzbalken sichtbar , auf denen das Wellblechdach ruht. „Den Rest des | |
| Geldes investiere ich und spare auch.“ | |
| Die kenianische Witwe hat ihr Leben lang in Armut gelebt. Jetzt bekommt sie | |
| jeden Monat rund 20 Euro von der US-Nichtregierungsorganisation | |
| GiveDirectly im Rahmen einer weltweiten Studie über die Auswirkungen eines | |
| „bedingungslosen Grundeinkommens“ – sie ist eine von rund 21.000. | |
| Die Idee: Aufgrund des Bevölkerungswachstums und der technologischen | |
| Entwicklung wird es in Zukunft zu viele Menschen für zu wenige | |
| Arbeitsplätze auf der Welt geben. In den reichen Industrienationen gibt es | |
| Arbeitslosenunterstützung, aber in ärmeren Ländern nicht, es droht eine | |
| Verstetigung von Armut. | |
| Das bedingungslose Grundeinkommen könnte eine einfache Lösung darstellen. | |
| An zahlreichen Orten auf der Welt wird das nun getestet, auch in Kenia. | |
| 20 Euro scheint wenig, aber in Siaya im Westen Kenias, wo Rauda lebt, macht | |
| es viel aus. Viele Einwohner müssen von umgerechnet einem Euro pro Tag | |
| leben. Rauda, Analphabetin und wahrscheinlich über achtzig Jahre alt, | |
| steckt einen Teil ihres Geldes als Anteil in eine Tontine. Eine Gruppe von | |
| zehn Frauen in ihrem Dorf trifft sich jeden Monat und alle geben zehn Euro. | |
| Der gesamte Betrag geht an ein Mitglied, die damit machen kann, was sie | |
| will. Im nächsten Monat ist dann die nächste an der Reihe. | |
| „Ich habe unter anderem ein paar Ziegen gekauft“, erzählt Rauda. „Die ha… | |
| Junge bekommen und jetzt habe ich eine kleine Herde zusammen. Ich habe | |
| sogar einen Hirten für ein paar Stunden am Tag gemietet, der mit den Ziegen | |
| nach Gras und Wasser sucht.“ | |
| Rauda und ihr verstorbener Mann mussten sich früher mit den Erträgen ihres | |
| spärlichen Feldes begnügen und manchmal als Tagelöhner verdingen. | |
| Altersversorgung gibt es in Kenia eigentlich nur für Beamte, und selbst die | |
| oft nicht. „Nach dem Tod meines Mannes haben meine drei Kinder mir manchmal | |
| etwas Geld gegeben, aber auch sie hatten Schwierigkeiten, über die Runden | |
| zu kommen.“ | |
| Die Auswirkungen des Grundeinkommens in Siaya werden von den | |
| US-Universitäten Princeton und MIT untersucht. Es machen 295 Dörfer in der | |
| Region mit, unterteilt in vier Gruppen. In einer Gruppe erhalten alle | |
| Personen ab 18 Jahren monatlich 20 Euro für einen Zeitraum von zwölf | |
| Jahren. Eine zweite Ansammlung von Dörfern erhält denselben Betrag für zwei | |
| Jahre. Eine dritte Gruppe erhält eine einmalige große Summe. Eine vierte | |
| Gruppe bekommt nichts. | |
| Die Namen der Dörfer werden nicht veröffentlicht, um zu verhindern, dass | |
| die Bewohner zum Ziel von Dieben werden. Rauda lebt in einem Dorf der | |
| ersten Gruppe, in der alle Erwachsenen zwölf Jahre lang 20 Euro erhalten. | |
| ## Impuls von Barack Obama | |
| Dass Kenia einen der größten Testläufe des Grundeinkommens ausführt, ist | |
| kein Zufall. US-Expräsident Barack Obama war interessiert an dem Thema, die | |
| Familie seines Vaters stammt aus Kogelo, einem Dorf in Siaya, das aber | |
| nicht an dem Prozess teilnimmt. | |
| Obama wird von den Einwohnern der Region als einer von ihnen betrachtet. In | |
| Raudas Wohnzimmer hängt ein Poster mit Barack Obama, seiner Frau Michelle | |
| und dem prominenten lokalen Oppositionspolitiker Raila Odinga und seiner | |
| Frau. „Die königlichen Ehepaare“ steht auf dem Plakat. | |
| Die alte Frau weiß, dass der monatliche Betrag nicht ewig fließt, aber sie | |
| glaubt, dass sie genug investiert und gespart haben wird, um ohne die 20 | |
| Euro leben zu können. „Ich hoffe, dass es zu dieser Zeit eine Regierung | |
| geben wird, die denen, die es brauchen, Renten zahlt“, sagt sie. Aber ihre | |
| Stimme verrät Zweifel. | |
| Im Dorf von Rauda, wo Ochsen auf den Feldern die Pflüge ziehen, gibt es | |
| eine kleine Klinik. Daneben steht das kleine Haus der Krankenschwester. Im | |
| Wohnzimmer blättert deren Tochter Effie Achieng in einer alten Zeitschrift, | |
| neben sich ein Korb mit einer Henne, die auf ihren Eiern sitzt. Es ist | |
| Achiengs Geburtstag. Sie ist jetzt 24 Jahre alt. | |
| „Dieser monatliche Betrag gibt mir Unabhängigkeit“, freut sie sich. „Obw… | |
| ich keinen Job habe, kann ich Dinge für mich und mein Baby kaufen und ich | |
| muss meinen Mann nicht immer um Geld bitten. Deshalb streiten wir uns auch | |
| weniger“, sagt sie fröhlich. | |
| Achieng hat auch gespart und hat jetzt genug für einen Catering-Kurs, der | |
| in einem Monat beginnt. Sie möchte in die Gastronomie gehen. | |
| In Kenia sind Beerdigungen Großereignisse, zu denen Hunderte von Menschen | |
| von weit her kommen und tagelang mit frischem Fleisch und vielen Litern | |
| Bier und Erfrischungsgetränken gefüttert werden wollen. Achieng setzt auf | |
| dieses Geschäft. „Ich hoffe, dass es so gut läuft, dass ich sogar jemanden | |
| anstellen kann. Dann hilft dieser monatliche Betrag nicht nur mir, sondern | |
| indirekt auch jemand anderem.“ | |
| ## „Wir bezahlen damit den Fernseher“ | |
| Eine Rundfahrt durch das Dorf liefert viele unterschiedliche Beispiele | |
| dafür, was die Leute mit ihren 20 Euro machen. Bei Wycliff Ochieng, 23, und | |
| seiner Mutter läuft der Fernseher. „Mit unserem monatlichen Einkommen | |
| zahlen wir diesen Fernseher und das Solarpanel, das den Strom liefert“, | |
| sagt der Mathematiklehrer. | |
| Also eine Konsumausgabe für Luxus? „Überhaupt nicht“, verteidigt sich | |
| Ochieng. „Ich habe keinen Computer, möchte aber auf dem Laufenden bleiben, | |
| was in meinem Land und auf der Welt passiert. Ich kann die Nachrichten | |
| sehen, aber auch Dokumentarfilme, von denen ich etwas lerne. Ich bin | |
| Lehrer, ich muss Wissen haben, das ich mit den Schülern teilen kann.“ Er | |
| schaltet die Livedebatte im kenianischen Oberhaus aus und setzt sich auf | |
| einen der vier Plastikstühle in seinem Wohnzimmer. | |
| Ochiengs Gehalt als Lehrer ist gering. Lehrkräfte an staatlichen Schulen in | |
| Kenia verdienen wenig und können sich das Schulgeld für ihre eigenen Kinder | |
| oft nicht leisten. „Ich spare auch einen Teil des monatlichen Betrags, weil | |
| ich in unserem Dorf ein Geschäft für gebrauchte Kleidung öffnen möchte. | |
| Menschen brauchen dann nicht in die Großstadt zu fahren, und ich habe eine | |
| zusätzliche Einnahmequelle“, sagt er. „Oder vielleicht bin ich bis dahin | |
| verheiratet und dann kann meine Frau den Laden machen.“ | |
| Der Lehrer stellt fest, dass sich die Atmosphäre im Dorf durch das | |
| Grundeinkommen geändert hat. Einwohner sagen, es gebe weniger Stress und | |
| man könne jetzt besser schlafen. | |
| „Die Leute sind freundlicher und hilfsbereiter. Es ist friedlicher | |
| geworden“, bilanziert Ochieng, als er mit seinem gebrauchten Fahrrad zur | |
| Schule fährt. „Auch das Fahrrad habe ich vom Geld gekauft. Jetzt fahre ich | |
| in 15 Minuten zur Schule. Vorher musste ich eine Stunde laufen.“ | |
| 13 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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