# taz.de -- Grundeinkommen in Afrika: Menschenwürde und Fernsehen | |
> Grundeinkommen? Ein Dorf in Namibia macht's vor: Neun Euro im Monat | |
> brachten seinen Bewohnern Würde, Arbeit, regelmäßige Mahlzeiten und 30 | |
> Fernseher. | |
Bild: Zwei Jahre lang bekamen die Einwohner von Otjivero 9 Euro monatlich. | |
OTJIVERO taz | Der barfüßige Junge im roten Hemd und mit kurzen Hosen | |
schiebt sein Drahtauto an einem langen Stock durch den staubigen gelben | |
Sand. Seine Freunde winken und laufen davon. Der gemütliche Dorfplatz unter | |
dem mächtigen Kameldornbaum aber bleibt leer. "Die Kinder rannten sonst hin | |
und bettelten, bis sich die Besucher beschämt der Armut erbarmten", sagt | |
Ortsvorsteher Joseph Ganeb. Er macht eine abwehrende Handbewegung. Sie | |
bedeutet: Die Zeiten haben sich verändert. "Aus einem halben Leben ist ein | |
Ganzes geworden", sagt der freundliche Alte auf Deutsch, die Sprache seiner | |
ehemaligen Kolonialherren. "BIG bedeutet Leben." | |
Das kleine Dorf Otjivero liegt in der Gemeinde Omitara. Joseph Ganeb zupft | |
sein Handy am Hosenbund zurecht. "Vor vierzig Jahren bin ich in Goabis | |
geboren, ich kenne die Gegend gut." Und jeder kennt ihn, den großen, Mann | |
mit der Kappe, der jetzt in Otjivero die Fäden in der Hand hält. Die kleine | |
Gemeinde liegt 100 Kilometer östlich der namibischen Hauptstadt Windhoek in | |
einem trockenen Landstrich, weit und breit gibt es lediglich verstreute | |
Farmgehöfte. Otjivero ist eine Ansammlung von Blechhütten, die verarmte | |
Landbevölkerung hat es hierher verschlagen. Das Leben ist billig auf dem | |
staatlichen Land. Und zieht immer mehr Arme an. | |
Jeder kennt in Ojtivero die drei großen Buchstaben [1][BIG, Basic Income | |
Grant], das Grundeinkommen, das vor zwei Jahren in Otjivero allen | |
Dorfbewohnern unter 60 Jahren, auch Kindern, unverhofften Segen von 100 | |
Namibia-Dollar (rund 9 Euro) pro Monat brachte. BIG kann nach Meinung | |
seiner Anhänger nicht nur die bittere Armut lindern, sondern auch genug | |
Motivation und Würde geben, um das Leben in die Hand zu nehmen. | |
Das ist Glaube der evangelisch-lutherischen Kirche in Namibia, die das | |
Pilotprojekt im Namen der BIG-Koalitionspartner zur landesweiten Einführung | |
des Grundeinkommens leitet. Der Kirchenrat, die namibische Gewerkschaft, | |
das unabhängige Organisationsforum und das Aids-Service-Netzwerk arbeiten | |
mit. Auf deutscher Seite trägt überwiegend die Evangelische Kirche des | |
Rheinlandes die Kosten, auch die Friedrich-Ebert-Stiftung und Brot für die | |
Welt engagieren sich. | |
Nach zwei Jahren Probe für BIG ist das Projekt im Dezember 2009 offiziell | |
ausgelaufen. Geld gibt es trotzdem noch: "Wir wollten die Menschen dort | |
nicht hängen lassen", sagt Uhuru Dempers, Mitarbeiter im BIG-Sekretariat in | |
der Hauptstadt Windhoek. Die BIG-Koalition zahlt den Dörflern noch 80 | |
Dollar. "Otjivero kann einige Zeit gefördert werden, aber ein | |
Grundeinkommen in ganz Namibia zu zahlen, das ist die große | |
Herausforderung." Denn die jüngsten Arbeitslosenzahlen schocken die Nation: | |
Sie liegen bei 51 Prozent, ein Anstieg von beinahe zwanzig Prozent | |
gegenüber den Vorjahren. | |
Namibia hat knapp zwei Millionen Einwohner. Die soziale Schere zwischen Arm | |
und Reich klafft laut Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen dort am | |
weitesten auseinander und Dörfer wie Otjivero gibt es viele. Hier hat vor | |
allem die Jugend wenig Perspektiven. "Die Kinder hatten sonst immer Unfug | |
im Kopf, klauten Essen oder lungerten herum", erzählt Joseph Ganeb. "Jetzt | |
haben wir 30 Fernseher im Dorf, und sie haben mehr zu essen als zuvor", | |
meint Ganeb, der mit 61 Jahren kein BIG erhält, aber eine kleine Rente von | |
420 Dollar (40 Euro). | |
In Frieda Nembayas Wellblechhütte fügt ein Elektroofen der namibischen | |
Hitze noch einige Grade hinzu. Sie schwitzt in ihrer schwarzen Jeans und | |
der hellen Schürze. Frieda schaut in den Backofen: Kleine eckige Brote | |
garen da. Frieda verkauft 400 Stück am Tag und es bleiben 3.500 Dollar im | |
Monat übrig. Ihr Mann ist Farmarbeiter und verdient viel weniger, aber mit | |
Brotbacken fast rund um die Uhr können sie ihre sieben Kinder zur Schule | |
schicken, Miete und Strom zahlen und sogar etwas zurücklegen. | |
Die Dorfschule ist in gutem Zustand. Dreihundert Schüler drücken täglich | |
die Schulbank in Otjivero. Mittwochs wird Maisbrei ausgeteilt. "25 Kinder | |
sind in meiner Klasse. Sie können sich besser konzentrieren und erhalten | |
auch gute Noten", sagt die 30-jährige Klassenlehrerin Martha Christiaan. | |
Ihr langes, giftgrünes T-Shirt bedeckt eng ihre zierliche Figur, sie gehört | |
zur Volksgruppe der Nama. Sie sitzt in ihrem großräumigen Steinhaus mit | |
ihren zwei Kindern und Freund zur Mittagspause. In Otjivero wird Zeit | |
gemessen nach dem Motto "vor und nach BIG". Früher konnten die meisten | |
Eltern Schulgeld und Schuluniform nicht bezahlen. "Jetzt kommen sie sogar | |
mit zwanzig Dollar weniger aus, denn sie haben sich eingerichtet." Viele | |
haben über Jahre kaum Geld in Händen gehabt. Martha genießt das Vertrauen | |
der Eltern und fährt in die Stadt, um für die Kinder Schulmaterialien zu | |
kaufen. Vier gespendete Computer sind voll im Einsatz, aber das Fax traf | |
der Blitz. | |
Das Geld habe das Menschsein verändert, ihr Wertgefühl, sagt sie. "Sie | |
können selbst zum Lebenserhalt beitragen, zumal in der extensiven | |
Landwirtschaft nicht mehr so viele Farmarbeiter gebraucht werden. Manche | |
nutzen das Geld zum Transport in die Stadt, um dort nach Arbeit zu schauen. | |
"Das Problem in Otjivero sind eher die Jugendlichen, die schaffen häufig | |
die höhere Schulen nicht und kommen zurück, trinken und stiften Unruhe", | |
sagt Martha, die außer Englisch alle Fächer in Khoegowab, der Dorfsprache | |
lehrt. "Wenn BIG einbricht, gibt es wieder Diebstahl und Einbrüche." | |
Benachbarte Farmer sind nicht gut auf die Dorfbewohner zu sprechen. Sie | |
klagen über Viehdiebstahl und Wilderei. "Wir hatten in unserer Kirche eine | |
Versammlung mit den Farmern", sagt Joseph und kratzt sich leicht am Kopf. | |
"Ich muss noch einiges richten, damit wir besser zusammenarbeiten können." | |
Er ist der Vermittler zwischen den Schwarzen und Weißen in dieser Gegend, | |
man schätzt ihn. Auf einer Farm gibt es neu entdeckte Kupfervorkommen, er | |
hofft auf Arbeit für das Dorf. Ein paar Betrunkene sitzen herum. | |
Alkoholmissbrauch ist dem BIG Dorfkomitee bewusst. Es besteht ein Abkommen | |
mit den Betreibern der kleinen Kneipen, Shebeens genannt, Alkohol nicht am | |
Zahltag von BIG auszuschenken. "Ich kontrolliere das, und wenn ich es doch | |
sehe, hat derjenige keine Mütze mehr auf", schimpft Joseph, kommt aber | |
gegen die Profitgier von Kneipenwirten nicht an. BIG verschulde die | |
Bewohner, heißt es häufig bei den Farmern, denn sie lassen im Dorf jetzt | |
noch mehr anschreiben, um es mit dem nächsten BIG zu bezahlen. Viele Farmer | |
wären froh, wenn es das Dorf nicht gäbe. Die Regierung siedelte 1991 die | |
Bewohner dort an, unter ihnen arbeitslose Farmarbeiter. | |
"Wir wissen, dass BIG nicht die einzige Lösung ist", sagt Pastor Petrus | |
Khariseb im BIG-Sekretariat der lutherischen Kirche. "Aber Namibia sitzt | |
auf einer sozialen Zeitbombe und BIG kostet die Regierung nur 1,4 | |
Milliarden Dollar, rund drei Prozent vom Bruttosozialprodukt - das ist | |
finanzierbar." Es fehle an politischem Willen, Korruption bereichere die | |
Elite. Einzelne Politiker hätten sich zwar positiv zu BIG geäußert, aber | |
der Premierminister sprach von einem "Witz". Der gerade ins Kabinett als | |
stellvertretender Sozialminister gewählte Alpheus Muheua sitzt in seinem | |
Ministerbüro in der Stadt und sagt nur so viel: Die Regierung wird BIG | |
nicht landesweit ausrollen, weil es langfristig nicht durchführbar sei. | |
"Wir wollen das soziale Netz ausbauen und Bedürftige stärken." Namibia | |
sitze auf Diamanten, Uran und anderen Reichtümern, aber Firmen seien in | |
ausländischer Hand. Das Land feierte gerade zwanzig Jahre Unabhängigkeit. | |
Trotz vieler Fortschritte sei es ein langer Weg, Armut zu beseitigen, meint | |
der Minister. Als ehemaliger Gewerkschaftsboss war Muheua wohl für BIG. | |
Viele Gewerkschaftler wollen in die Politik und halten dann den Mund, | |
glauben die BIG-Leute. Die Zivilgesellschaft müsse stärker werden. | |
"In Namibia gibt es noch keine eigenständige Arbeitnehmerschaft und die | |
soziale Basis für politischen Widerstand fehlt", sagt Volker Winterfeldt, | |
Soziologe an der Uni von Namibia. "Viele Menschen essen nur eine Mahlzeit | |
am Tag und BIG gibt eine minimale Chance gegen Armut und für verbesserte | |
Gesundheit." Sein Kollege Rigmar Osterkamp, Volkswirt und Dozent für | |
Wirtschaft an der Uni, sieht es so: "BIG macht eher abhängig und entbindet | |
die Regierung von ihrer Verantwortung. Um es zu finanzieren, müssten die | |
Steuern um 12 Prozent erhöht werden." Aber er bezweifelt die | |
Erhebungsmethode in den überaus positiven Studien. "Es fehlt die | |
Beweiskette, dass BIG wirklich langfristig Unterschiede macht." Er sieht im | |
BIG-Projekt mit der deutschen Unterstützung das Ziel: Für die Forderung | |
nach einem Grundeinkommen in Deutschland soll es ein konkretes Beispiel | |
geben. | |
31 Mar 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bignam.org/ | |
## AUTOREN | |
Martina Schwikowski | |
Martina Schwikowski | |
## TAGS | |
Grundeinkommen | |
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