# taz.de -- Ein armenisches Festtagsessen: Alle unter einem Dach | |
> Die Küche Armeniens ist Jahrtausende alt. Zu Weihnachten am 6. Januar | |
> wird ein Kürbis serviert, gefüllt mit Rosinen und Aprikosenreis. | |
Bild: Der Kürbis der Weltreligionen: Ghapama umgeben von weiteren Köstlichkei… | |
Wie bekocht man ein neues Jahr? „Süß!“, sagt Zara Müller-Safaryan und | |
streicht eine dicke Schicht goldenen Honig in einen ausgehöhlten Kürbis. | |
„In Armenien verabschieden wir das alte Jahr mit dem Hauptgericht Ghapama, | |
einem mit Rosinen und Aprikosenreis gefüllten Kürbis.“ | |
Das Gericht wird traditionell zum Jahreswechsel oder zu Weihnachten | |
zubereitet, das in Armenien nach dem julianischen Kalender am 6. Januar | |
gefeiert wird. Aber Ghapama hat auch noch eine andere Bedeutung: Der runde | |
Kürbis soll die Welt symbolisieren, die Reiskörner die Menschen, die | |
Rosinen und Aprikosen die unterschiedlichen Glaubensrichtungen. | |
Die Autorin Zara Müller-Safaryan ist gebürtige Armenierin, ihr Mann ist | |
Deutscher. Vor Kurzem ist ihr Buch „Die essbare Lust – Kochbuch Armenien“ | |
(Verlag Casanomade) erschienen, nun steht die 37-Jährige in ihrer Küche in | |
einer Altbauwohnung in Berlin-Moabit. Sie hat Reis aufgesetzt, schwenkt | |
klein geschnittene Aprikosen und Rosinen in Butter. | |
Heute kocht sie mit ihrer Mutter, der Fotografin Rose Eisen. Die Frauen | |
stammen aus Jerewan, der Hauptstadt. Eisen bricht Kerne aus einem | |
Granatapfel und erzählt, wie sie nach Deutschland kam, damals, 1992. Vor | |
allem, sagt sie, um nach der Perestroika die neue Freiheit zu genießen. | |
Ihre Tochter kam sechs Jahre später nach Berlin. | |
## Fleischspieße, Weinblätter und getrocknete Früchte | |
Eisen schwärmt von den zuckersüßen Aprikosen und den geschmackvollen | |
Auberginen, die das trockene Klima und der armenische Boden hervorbringen. | |
Die Kochkunst Armeniens ist jahrtausendealt. „Die Römer haben damals was | |
völlig anderes gegessen als die Italiener heute“, sagt Müller-Safaryan, | |
„aber die Armenier essen noch immer die alten Gerichte.“ Etwa Khorovats, | |
gegrillte Fleischspieße, Tolma, mit Hackfleisch gefüllte Weinblätter, oder | |
getrocknete Früchte. | |
Zara Müller-Safaryan verstreicht eine Schicht Butter in die Innenwand des | |
Kürbisses. Sie mischt Reis, Aprikosen und Rosinen und füllt die Masse in | |
den Kürbis. Dann setzt sie den Deckel auf den Kürbis und schiebt ihn in | |
einer Auflaufform für 40 Minuten in den Ofen. | |
Ghapama wurde früher im traditionellen armenischen Erdofen zubereitet, dem | |
Tonir, der aussieht wie ein im Boden eingelassenes Steinfass. In ihm wird | |
auch Lavash gemacht, das armenische Fladenbrot, das seit 2014 zum | |
immateriellen Unesco-Weltkulturerbe gehört. | |
## Ein Brot mit Bedeutung | |
Lavash auf traditionelle Art zu backen ist eine Arbeit für viele Hände. | |
Jenseits der Stadt ist dies noch immer die Arbeit der Großmütter, | |
unterstützt von Töchtern und Enkelinnen. Der Teig wird geknetet, zu Kugeln | |
geformt, ausgerollt, zu hauchdünnen einen Meter lange Fladen gewirbelt. Das | |
Brot wird vertikal an der Wand des Tonir gebacken; damit es kleben bleibt, | |
muss die Mischung des Teigs stimmen, der nur aus Mehl, Wasser und Salz | |
besteht: Im Sommer wird er härter, mit weniger Wasser zubereitet als im | |
Winter. | |
Kann man so eine Tradition einfach nach Berlin übertragen? Müller-Safaryan | |
lacht. „Ich habe das Lavash ehrlich gesagt im orientalischen Supermarkt | |
gekauft, traditionell backen wir es zu Hause in Berlin nicht.“ | |
Das Brot hat in Armenien eine tiefe Bedeutung. Das Wort für Brot, hats, | |
bedeutet gleichzeitig Essen an sich. Das lässt sich auf die christliche | |
Tradition des Brotbrechens zurückführen. Bei einer Hochzeit bekommen Braut | |
und Bräutigam je ein Lavash über die Schulter gehängt, damit sie zu allen | |
Zeiten ihr „täglich Brot“ haben. Zum Abendmahl wird es in den Kirchen als | |
Hostie gereicht. | |
Kann kochen und essen ein heiliger, gar heilender Akt sein? „Das Essen hat | |
in Armenien immer eine christliche Komponente“, sagt Rose Eisen. Bereits im | |
4. Jahrhundert wurde das Christentum in Armenien als Staatsreligion | |
eingeführt, so früh wie nirgends sonst. Noch immer ist das Volk stark mit | |
dem Urchristlichen verbunden, man erzählt sich Geschichten aus der Bibel, | |
als wären sie gestern passiert. | |
Über 500 Jahre lang – bis ins 20. Jahrhundert – gab es keinen armenischen | |
Staat, das kleine Land wurde besetzt, erobert, aufgeteilt. Die Kirche wurde | |
zum Schutz- und Fluchtort. Heute leben mehr als die Hälfte aller Armenier | |
im Ausland. „Wir sind weltweit vernetzt“, sagt Rose Eisen, „verstreut dur… | |
den Genozid 1915.“ Damals wurde versucht, die armenische Identität | |
auszulöschen. Sprache und Religion verbinden das Volk. „Und die Küche | |
natürlich! Die armenische Kultur ist unsere Wirbelsäule, unser Rückgrat.“ | |
## Schnippeln, schneiden, reden | |
Essen ist wichtig, weil man teilt und sich mitteilt, sagt Eisen. „Der Gast | |
kommt von Gott“, sagen man in Armenien. „Einfach nur essen macht zwar den | |
Körper satt, aber die Seele bleibt hungrig.“ Die beiden Frauen schnippeln | |
und schneiden und reden durcheinander. „Auch das ist Teil unserer | |
Kochkultur, wir reden und singen beim Kochen!“ Manchmal sind sie dabei so | |
laut, dass Zara Müller-Safaryans Mann denkt, die beiden streiten. „Dabei | |
erzählen wir nur“, sagt sie und lacht. | |
Sie reden über den neu gewählten Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan. Rose | |
Eisen sucht an ihrem Handy einen Artikel über die Wahlen heraus: „Sie | |
nennen ihn den Messias!“, sagt sie. Sie ist sehr glücklich über die | |
„samtene Revolution“, die ohne Blut und mit Respekt abgelaufen ist, sagt | |
sie. „Wir freuen uns, die alten Oligarchen sind weg! Mal sehen, wie es | |
jetzt weiter geht.“ | |
Derweil macht sie die Vorspeise, gebratene Auberginen. „Eine frische | |
Aubergine erkennt man am grünen Stil und am schweren Gewicht“, sagt sie. | |
Sie schneidet die Früchte in dünne Scheiben, lässt sie für einige Minuten | |
in Olivenöl ziehen. Dann brät sie die Auberginen an, schmeckt sie mit Salz | |
und Gewürzen ab und schmückt die Scheiben mit Walnuss- und | |
Granatapfelkernen. | |
„Unter einem Dach“ oder „unter einem Deckel“, das bedeutet Ghapama | |
ursprünglich im Armenischen. Das sind dann wohl wir alle: süße | |
Reiskörnchen, die unter einem Kürbisdach in Honig und Butter schmoren. | |
6 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Jana Petersen | |
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