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# taz.de -- Alternativer Literaturnobelpreis: Schreiben, um sich zu befreien
> Einmalig wird 2018 statt des regulären der alternative
> Literaturnobelpreis vergeben. Den bekommt die Schriftstellerin Maryse
> Condé.
Bild: Erzählen von der Unfähigkeit der Menschen zum Frieden: die Romane von M…
Berlin taz | Westindische Inseln, Frankreich, Afrika: Stationen des Lebens
von Maryse Condé. Insgesamt 30 Romane, verschiedene Theaterstücke und
Essays hat die 81-jährige Schriftstellerin geschrieben – am 9. Dezember
wird Condé dafür [1][mit dem alternativen Literaturnobelpreis geehrt], der
angesichts [2][der fehlenden regulären Auszeichnung] in diesem Jahr
einmalig vergeben wird.
In Pointe-à-Pitre, einem Ort im französischen Übersee-Departement
Guadeloupe, wurde Maryse Condé geboren, gehörte einer afrokaribischen
Mittelschichtsfamilie und hatte sieben Geschwister. Mit 16 ging sie nach
Paris und studierte Englisch an der Sorbonne. 1958 heiratete sie den
guineischen Schauspieler Mamadoun Condé. Zusammen mit ihren vier Kindern
waren sie vorwiegend in Westafrika unterwegs, wo sie an verschiedenen
Sprachinstituten arbeitete. 1973 kehrte sie nach Frankreich zurück,
promovierte über die Stereotype von Schwarzen in der westindischen
Literatur.
Ihre Wanderjahre durch Westafrika liefern den Stoff und die Fragen für
ihren bekanntesten historischen Roman „Segu. Die Mauern aus Lehm“ (1984).
Segu liegt in Mali zwischen Timbuktu und Bamako und war bis zur
muslimischen Eroberung 1861 Hauptstadt des Königreichs Bambara. Der
Animismus der Mehrheit mit seiner sexuellen Freizügigkeit gilt den
Korangläubigen als Sünde, den heranrückenden französischen Kolonialisten
mit ihren Missionaren als barbarisch.
Im Zentrum steht die Familie des Bambara-Patriarchen Dusika Traoré und
seiner Frauen und Konkubinen aus verschiedenen Ethnien. Ein Sohn wendet
sich dem Islam zu, drei weitere treibt es aus Segu fort, durch halb Afrika
– oder im Sklavenschiff bis nach Brasilien.
## Verlorene Sehnsuchtsorte
Condés Roman erzählt von immer neuen historischen Wendungen, Allianzen,
Feindschaften, der Macht der Männer, der Unfähigkeit der Menschen zum
Frieden. Und er erzählt er von der Suche der Menschen nach einem
Sehnsuchtsort, der immer wieder verloren geht. Sei es Afrika für die in der
Karibik gestrandeten Sklaven oder für die Afrikaner Jamaika, wo sich die
scheinbar heldenhaften Maroons von der Sklaverei befreiten.
Die Enttäuschung ist programmiert. Condé entmystifiziert, erzählt sinnlich
und grausam von historischen Schicksalsschlägen. Nur gelegentlich wirkt
dies ob ihrer großen Linien etwas schemenhaft. „Ich hatte vorher eine sehr
romantische Vorstellung von Afrika“, sagt sie in einem Interview, „aber in
Afrika fühlte ich mich oft fremd. Ich erkannte: Ich bin aus der Karibik.“
Als engagierte Schriftstellerin sieht sie sich nicht: „Ich schreibe über
Sklaverei, über Afrika, über den Zustand der schwarzen Menschen in der
Welt, weil ich meine Gedanken ordnen, die Welt verstehen und mit mir selbst
Frieden haben will.“ Dabei ist sie durchaus engagiert: Condé war erste
Präsidentin des Comité pour la mémoire de l’esclavage (Komitee zur
Erinnerung an die Sklaverei). Auf ihre Initiative geht zurück, dass seit
2006 der 10. Mai als Tag des Gedenkens an die Sklaverei begangen wird.
Condé mag in der Tradition afrokaribischer Intellektueller wie Édouard
Glissant und Aimé Césaire stehen. Aus der sie sich befreit hat: „Für mich
war das Schreiben zunächst die Anwendung der Formel von Césaire: Mein Mund
wird der Mund des Unglücks sein, das keine Stimme hat. Das ist ein
ehrgeiziges Projekt und ein bisschen arrogant. Doch dann begann ich für
mich selbst zu sprechen. Ich fühlte mich befreit, als ich mich über Dinge
lustig machte, die als heilig galten.“
## Ein Preis für alle
Den [3][alternativen Nobelpreis] will sie „vor allem mit allen Menschen
Guadeloupes teilen“, sagte sie mit gebrechlicher Stimme in einer
Videobotschaft. Das Land werde sonst „nur erwähnt, wenn es Hurrikane oder
Erdbeben gibt“. Zu ihrer Geburtsinsel Guadeloupe hat die Schriftstellerin,
die an einer degenerativen Krankheit leidet, aber ein gespaltenes
Verhältnis: Man gebe sich paradiesisch und blende Arbeitslosigkeit, Armut,
Landverteilung und Wasserknappheit aus.
Neben der Literatur hat Condé eine zweite Leidenschaft: Kochen. „Eines
Tages wurde mir klar, dass Literatur und Kochen benachbarte Künste waren.
Kochen heißt auch zu erfinden, mit dem zu leben, was man findet, zu
erneuern.“
8 Dec 2018
## LINKS
[1] /Rueckblick-auf-die-Buchmesse/!5542712
[2] /Kommentar-Kein-Literaturnobelpreis-2018/!5501016
[3] /Alternativer-Nobelpreis/!t5027233
## AUTOREN
Edith Kresta
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