# taz.de -- Autorin über Nobelpreis-Akademie: „Literatur gehört der ganzen … | |
> Jila Mossaed ist die erste Exilautorin, die in die schwedische | |
> Nobel-Akademie aufgenommen wurde. Ein Gespräch über Herkunft, Sprachen | |
> und Neuanfänge. | |
Bild: „Ich bin ein Mensch, und die ganze Welt ist mir wichtig“: Jila Mossaed | |
Schwer erschüttert ist die Schwedische Akademie, die den | |
Literaturnobelpreis vergibt. Nach Bekanntwerden der Missbrauchs- und | |
Korruptionsvorwürfe gegen Jean-Claude Arnault, den Ehemann des | |
Akademiemitglieds Katarina Frostenson, legten 6 von 18 Mitgliedern ihre | |
Ämter nieder. [1][Nachdem der Preis 2018 ausgesetzt wurde], steht die | |
Akademie nun vor einem Neuanfang. In der Dichterin Jila Mossaed, 1948 in | |
Teheran geboren, wird zum ersten Mal eine Exilautorin in die Akademie | |
aufgenommen. | |
taz am wochenende: Frau Mossaed, am 20. Dezember werden Sie bei einem | |
Festakt als Mitglied der Schwedischen Akademie aufgenommen. War es eine | |
große Überraschung, als Sie erfuhren, dass Sie als neues Mitglied | |
vorgeschlagen wurden? | |
Jila Mossaed: Ja, das war es. Ich hatte mir tatsächlich nie ausgemalt, dass | |
ich eines Tages auf einem dieser Stühle sitzen werde. Ich kam mit 38 Jahren | |
nach Schweden und begann erst dann, in dieser Sprache zu schreiben. Es ist | |
ein unglaublicher Triumph. Ich bat mir trotzdem eine Woche Bedenkzeit aus, | |
weil ich wusste, dass sich dadurch mein Leben sehr ändern würde. Ich lebe | |
in Göteborg und muss von nun an einmal die Woche nach Stockholm zu den | |
Sitzungen. Es sind viele Aufgaben damit verbunden, unter anderem viel | |
Lesearbeit. Aber ich stimmte zu. Weil ich eine Exilautorin bin, weil ich | |
eine Frau bin, weil ich aus dem Nahen Osten komme. | |
Es werden noch zwei weitere Mitglieder neu aufgenommen: Eric Runesson, ein | |
Richter am Obersten Gerichtshof, und Mats Malm, ein Autor und Übersetzer. | |
Was werden Ihre Aufgaben sein? | |
Wir hatten erst ein Treffen, bei dem uns das Haus gezeigt wurde. Mit der | |
Arbeit beginnen wir noch. In einem oder zwei Monaten werde ich mehr wissen. | |
Es gibt auch eine Reihe von Arbeitsgruppen, die weitere Literaturpreise | |
vergeben. | |
Im November wurde bekannt gegeben, dass ein externes Komitee aus | |
Literaturwissenschaftler*innen und Autor*innen 2019 und 2020 über den | |
Nobelpreis entscheiden wird. Kennen Sie die Hintergründe dieser | |
Entscheidung? | |
Ich wurde bei meinem ersten Besuch ebenfalls gefragt, ob ich Teil des | |
Komitees sein möchte, aber ich will die Akademie erst kennenlernen. Nach | |
den Vorkommnissen übten die Medien und die Gesellschaft einen großen Druck | |
auf die Akademie aus, sich zu verändern. Es hat somit eine gute Seite, denn | |
wir brauchen neue Stimmen. Großartige junge Autor*innen und Kritiker*innen | |
kommen nun neu hinzu. | |
In den vergangenen Jahren sind Sie mit den wichtigsten Literaturpreisen | |
Schwedens ausgezeichnet worden. Ihr Werk umfasst inzwischen über zwanzig | |
Bücher und Theaterstücke. Es wurde in viele Sprachen übersetzt. Bis Mitte | |
vierzig schrieben Sie auf Persisch, seit Anfang der 1990er Jahre auch auf | |
Schwedisch. Können Sie den Prozess beschreiben, wie es war, die Sprache zu | |
wechseln? | |
Es war ein langer Weg. Ich habe zur Sprache meiner Kindheit eine andere | |
Verbindung, das ist normal. Wenn ich auf Schwedisch schreibe, ist es, als | |
ob ich in einen Pool eintauche; wenn ich auf Persisch schreibe, ist es, | |
als ob ich in einem Ozean schwimme. Aber es war am Anfang nicht nur die | |
Sprache … | |
Was noch? | |
In den ersten Jahren sah ich jeden Morgen einen Riesen an meinem Bett, der | |
sich vor mir aufbaute. Dieser Riese war die schwedische Sprache, die | |
Kultur, das Klima, die Natur. Alles, was anders war. Ich habe begonnen, mit | |
ihm zu sprechen. | |
Warum haben Sie sich entschieden, sechs Jahre nach Ihrer Ankunft die | |
Sprache zu wechseln? | |
Ich hatte immer das Gefühl, meine Situation für die zukünftigen | |
Generationen bezeugen zu müssen. Ich war Ende dreißig, als ich mit meinen | |
beiden Kindern nach Schweden kam. Und ich bin nicht freiwillig gekommen. | |
Ich hatte kein Geld, keine Arbeit, keine Zukunft und keine Sprache. So bin | |
ich eine Stimme für Millionen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, | |
um die Welt wandern und versuchen, ein Dach über dem Kopf zu finden. Ich | |
schreibe auf Schwedisch, um gehört zu werden. Wir müssen Teil des | |
Gedächtnisses werden. Und ich glaube, das ist mir ein Stück weit gelungen. | |
Wie ist es, in zwei Sprachen zu arbeiten? | |
Es macht meine Sprache reicher. Ich wusste alles über die Geschichte und | |
die Mythologie Irans. Dann habe ich angefangen, mich mit schwedischer | |
Geschichte, Literatur und Mythologie zu beschäftigen. Heute kann ich beides | |
kombinieren. Ich verbinde die opulente, verspielte Sprache meiner alten | |
Heimat mit der klaren, nüchternen Sprache meiner neuen Heimat. | |
Die Literaturkritikerin Hanna Nordenhök vergleicht Sie mit der Dichterin | |
Nelly Sachs. Sie sagt: „Es ist interessant, wie die Exilpoetiken beider | |
Autorinnen so exakt zwischen grenzenloser Verwundbarkeit und unbeugsamer | |
Unbändigkeit anderseits balancieren.“ In den ersten Jahren haben Sie viel | |
Zeit in der Natur verbracht und schreiben auch in Ihren Gedichten darüber. | |
Ich bin ein Kind des Asphalts, ich bin in Teheran geboren. Bis ich nach | |
Schweden kam, hatte ich noch nie Wald vor meinem Fenster gesehen. Ich | |
begann, mit den Bäumen zu sprechen. Ich erzählte ihnen, wie es war, das | |
Salz der iranischen Wüste zurückzulassen. Ich hatte bald den Eindruck, die | |
Natur wäre offener und freundlicher. Sie umarmte mich, anders als der Rest | |
meiner neuen Welt. Es war gut, in die Natur zu gehen. Ich habe viel von ihr | |
gelernt. Ich sammelte keine Pilze, ich suchte nach Antworten im Leben. | |
Welche literarischen Vorbilder haben Sie in Schweden gefunden? | |
Eine Menge, etwa Edith Södergran, Harry Martinson oder Pär Lagerkvist. | |
Nehmen wir Lagerkvist. Ich habe eine dunkle, melancholische Seite wie er. | |
Und ich lache gern. Lagerkvist bringt mich zum Lachen. | |
Welchen Rat würden Sie jungen Autor*innen mit zwei oder mehr Sprachen und | |
Identitäten geben? | |
Als ich nach Schweden kam, dachte ich viel über mich nach. Zuallererst | |
definierte ich mich als Dichterin. Die Literatur gehört der Welt und ist | |
Teil der Welt. Wenn ich Gedichte schreibe, spielt meine Herkunft keine | |
Rolle, etwa, dass ich aus dem Nahen Osten und aus dem Iran komme, Frau oder | |
Muslima bin. Ich bin ein Mensch, und die ganze Welt ist mir wichtig. Als | |
Mensch schreibe ich über das, was mich glücklich oder traurig macht. Ich | |
nenne mich gern Dichterin im Exil. Es trifft es, denn das bin ich immer | |
gewesen. Im Iran genauso wie in Schweden. | |
Am Göteborger Theater wird gerade das Stück „Upprorets poet“ von Ihnen | |
gespielt. | |
Ja, über die Dichterin Forugh Farrokhzad. Ich halte sie für die | |
bedeutendste zeitgenössische Dichterin Irans. Sie starb 1967 mit nur 32 | |
Jahren bei einem Autounfall. Sie war eine starke und talentierte Frau. Die | |
gesamte, männlich dominierte Literaturszene Teherans hatte sich gegen sie | |
gestellt, doch sie hat sich nicht beirren lassen. Das Stück hatte im | |
November Premiere und wird in sechs anderen Theatern als Gastspiel | |
aufgeführt. | |
Wissen Sie bereits, wie die Aufnahmezeremonie am 20. Dezember ablaufen | |
wird? | |
Jeder von uns hat eine zehnminütige Rede vorbereitet, um sich vorzustellen. | |
Die Sitze sind von 1 bis 18 nummeriert. Sie übernehmen die Nummer 15. | |
Ja, und das bedeutet mir viel. Es ist der Sitz, den die Autorin Kerstin | |
Ekman vorher innehatte. Als Chomeini 1989 die Fatwa gegen Salman Rushdie | |
aussprach, forderte sie von der Akademie, sich für ihn einzusetzen. Das | |
passierte nicht, und Ekman legte, obwohl es damals noch gar nicht möglich | |
war, ihr Amt nieder. Ich werde sagen, wie stolz ich bin, Kerstin Ekmans | |
Sitz zu übernehmen. | |
19 Dec 2018 | |
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[1] /Kommentar-Kein-Literaturnobelpreis-2018/!5501016 | |
## AUTOREN | |
Michaela Müller | |
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