# taz.de -- Kommentar Kein Literaturnobelpreis 2018: Eine tragische Krise | |
> Es ist richtig, dass der Preis in diesem Jahr nicht vergeben wird. Eine | |
> Auszeichnung durch diese diskreditierte Jury hätte jeden Preisträger | |
> beschädigt. | |
Bild: Beträchtlicher Imageschaden: Ein Missbrauchsskandal um den Mann einer Ju… | |
Die Notbremse in Stockholm zu ziehen ist richtig, wahrscheinlich war es | |
sowieso die einzige Möglichkeit. Was das im Oktober für Kommentare geworden | |
wären! Ach, siehste, ausgerechnet in diesem Jahr der Korruptions- und | |
Vertuschungsvorwürfe nehmen sie eine Frau als Literaturnobelpreisträgerin – | |
es gehört wenig Prophetie dazu, sich das als gängige Kommentarlinie | |
auszumalen, wenn im Herbst eine Autorin ausgezeichnet worden wäre, und zwar | |
egal welche Autorin mit egal was für einem noch so guten literarischen | |
Renommee. | |
Und jeder männliche Autor hätte sich rechtfertigen müssen, ob er den Preis | |
wirklich annehmen will – von dieser Jury, die offenbar vertuscht hat, dass | |
dem Ehemann einer Jurorin sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde, und die | |
[1][keinen überzeugenden Umgang damit gefunden hat]. | |
Als Notlösung oder Beschwichtigungsversuch wäre die Preisvergabe gelesen | |
worden, wenn sie denn in Stockholm einen Entscheidungsprozess, der den | |
eigenen Statuten genügt, überhaupt noch hinbekommen hätten. Und jeder | |
Preisträger hätte den Makel gehabt, von einer diskreditierten Jury gewählt | |
worden zu sein. | |
Nein, [2][die Literaturnobelpreisvergabe muss 2018 ausfallen]. Interessen | |
des Buchhandels, der Verlage und auch der AutorInnen, die teils schon | |
Jahrzehnte auf diesen Preis warten, müssen dieses Jahr zurückstehen; sie | |
sind bei dieser im Idealfall rein nach künstlerischen Kriterien gefällten | |
Entscheidung sowieso sekundär. | |
## Ein Jahr Zeit für die Reform | |
Die Akademie in Stockholm hat jetzt ein Jahr Zeit, sich zu reformieren. Das | |
wird schwer genug. Mit ein paar Anpassungen in den Statuten ist es nicht | |
getan. Das schwedische Honoratiorenmodell bei der Jury setzt immer noch auf | |
die altertümliche Vorstellung, dass man edle Menschen, genauer: edle | |
Schweden finden kann, die die Weisheit gepachtet haben und prinzipiell ohne | |
Rücksicht auf eigene Interessen entscheiden. | |
Man sollte aber, das sollte nach den Skandalen klar sein, zumindest mit der | |
Möglichkeit rechnen, dass die Privilegien der Akademiemitgliedschaft auch | |
ausgenutzt werden, und Selbstreinigungsmöglichkeiten in die Statuten | |
einbauen; bei anderen großen Literaturpreisen wie dem Booker-Preis oder dem | |
Deutschen Buchpreis sind sie allein schon durch die zeitliche Begrenzung | |
der Jurymitgliedschaft gegeben. Außerdem müssen in Stockholm überzeugende | |
Personen für einen Neuanfang gefunden werden. Klar, das alles ist leichter | |
gesagt als getan. | |
Der Imageschaden ist in jedem Fall beträchtlich. In einer besseren Welt, in | |
der es Literaturdebatten von selbst weltweit auf die Titelseiten der | |
Zeitungen und in die Hauptnachrichtensendungen schaffen, könnte man jetzt | |
darüber nachdenken, ob es nicht eh besser wäre, den Literaturnobelpreis | |
ganz abzuschaffen. Aber in der realen Welt wird er gebraucht, und sei es | |
nur als jährlicher weltweiter Hinweis darauf, dass Literatur wichtig ist. | |
Alice Munro, Patrick Modiano, Swetlana Alexijewitsch, [3][Bob Dylan], | |
[4][Kazuo Ishiguro] – so heißen die PreisträgerInnen der vergangenen fünf | |
Jahre. Das ist eine gute, vielfältige literarische Möglichkeiten | |
repräsentierende Auswahl. Es ist fast tragisch, dass ausgerechnet in einer | |
Zeit, in der die Preisentscheidungen wieder interessanter wurden, der | |
Literaturnobelpreis in seine bisher größte Krise geriet. | |
4 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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