# taz.de -- Autobiografie von Maryse Condé: Eine Weltbürgerin aus Guadeloupe | |
> „Das ungeschminkte Leben“ ist die Autobiografie der Schriftstellerin | |
> Maryse Condé. Sie erzählt vom Leben als Intellektuelle im postkolonialen | |
> Afrika. | |
Bild: Maryse Condé musste als junge Frau einen hohen Preis für ihre Unabhäng… | |
Der Titel ihrer bewegenden Biografie „Das ungeschminkte Leben“ zeigt die | |
Schriftstellerin Maryse Condé gemeinsam mit ihren vier Kindern. | |
Misstrauisch fixieren sie auf der Aufnahme die Kamera. An der Seite ihrer | |
alleinstehenden Mutter lebten sie in den 1960er Jahren an den | |
verschiedensten Orten Westafrikas – mit vielen Umzügen und oftmals unter | |
widrigen Umständen. | |
1937 auf Guadeloupe in der Karibik geboren, wurde Maryse Condé schon mit | |
sechzehn Jahren 1953 zum Studium nach Paris geschickt. Als schwarze junge | |
Frau von den Antillen traf sie dort unvorbereitet auf den alltäglichen | |
Rassismus in Frankreich. Gleichzeitig beförderten neue Freundschaften ihr | |
Interesse für Afrika, die Geschichte und postkoloniale Gegenwart des | |
Kontinents. | |
Bald begeisterte sie sich für das damals viel diskutierte Werk von [1][Aimé | |
Cesaire, dem Schriftsteller und Begründer der Négritude-Bewegung]. In Paris | |
verliebte sich Maryse auch in den haitianischen Aktivisten Jean Dominique. | |
Doch als sie von ihm schwanger wird, beschließt er ungerührt, seine | |
politische Mission in der Heimat fortzusetzen. | |
Um allein mit einem unehelichen Kind gesellschaftlich nicht unterzugehen, | |
heiratet Maryse in Paris den wenig talentierten Schauspielstudenten Mamadou | |
Condé aus Guinea. Doch nur wenig verbindet die beiden miteinander. Als | |
Hilfskraft für den Französischunterricht lässt sich Maryse Condé vom | |
französischen Ministerium in einem Entwicklungshilfeprogramm an die | |
Elfenbeinküste nach Bingerville anwerben. | |
Allein mit ihrem Sohn Denis und erneut schwanger reist sie 1959 zum ersten | |
Mal nach Afrika. Es sind bewegende Jahre des politischen Umbruchs in den | |
ehemaligen Kolonien. Vor Ort wird die junge Frau aus Guadeloupe zur | |
aufmerksamen Beobachterin von lokalen Traditionen und gesellschaftlichen | |
Veränderungen. Als Fremde registriert sie im Alltag auch die Vorbehalte der | |
ansässigen Afrikaner gegenüber den „verwestlichten“ Antillanern oder | |
Afroamerikanern. | |
## Umzug nach Guinea | |
Von der Elfenbeinküste zieht Maryse Condé mit Mamadou Condé 1960 nach | |
Conakry, in die Hauptstadt des islamisch geprägten Guineas, wo Sékou Touré | |
nach der Unabhängigkeit des Landes als sozialistischer Präsident die | |
Regierung übernommen hatte. Als sich Tourés Regime immer deutlicher in eine | |
Diktatur wandelt, die Versorgungslage im Land prekärer wird und sie in der | |
Ehe mit Mamadou keine Zukunft mehr sieht, ergreift Maryse Condé das | |
Lehrangebot eines Bekannten in Ghana. Mit ihren inzwischen vier Kindern | |
Denis, Sylvie, Leïla und Aïcha reist sie nach Accra. | |
Untrennbar und folgerichtig verknüpft die belesene Autorin in „Das | |
ungeschminkte Leben“ die gesellschaftlichen Entwicklungen und deren | |
Protagonisten in Afrika mit den eigenen Erfahrungen vor Ort. Aus ihrer | |
transkontinentalen Perspektive analysiert sie das Ringen des Kontinents | |
nach einem eigenen Weg und tritt dabei als scharfsinnige Chronistin auf. | |
Doch genauso schonungslos berichtet ihre Autobiografie auch von dem hohen | |
Preis, den sie als junge Frau unter den vorgefundenen Bedingungen gezwungen | |
war, für ihre Unabhängigkeit zu zahlen. Denn eine Tür öffnete oder schloss | |
sich damals für sie ausschließlich durch das Wohlwollen oder die Ignoranz | |
von Männern, durch aufrichtige Zuneigung oder gewaltsame Übergriffe. | |
In Ghana angekommen, zieht Monsieur Helman sein Angebot, ihr Arbeit zu | |
verschaffen, überraschend zurück. Ein Kollege Helmans, El Duce, taucht in | |
dieser verzweifelten Situation auf und verspricht Condé, sie „da | |
rauszuholen“. „Er bedeckte mich außerdem mit Küssen, gegen die ich mich | |
nicht wehrte. Plötzlich drückte er mich nach hinten, fest in die Kissen, | |
und nahm schlicht und einfach von mir Besitz.“ | |
Nach der Vergewaltigung bringt er Maryse und die Kinder in das Haus von | |
Bankole Akpata, einem wohlhabenden Freund. Dort kann die Familie zunächst | |
unterkommen, bis die Mutter schließlich durch Akpatas Vermittlung eine | |
Stelle als Französischlehrerin am Winneba Ideological Institute erhält. | |
## Wende im Senegal | |
In Ghana stürzt sich Condé wenig später in eine leidenschaftliche Beziehung | |
mit Kwame Aidoo, einem stets stilvoll gekleideten und in Oxford | |
ausgebildeten Anwalt, der aus der Königsfamilie eines kleinen Reichs | |
östlich von Accra stammt. Er bedrängt die Geliebte, sich von ihren Kindern | |
zu trennen und verbietet ihnen, die gemeinsamen Wohnräume zu betreten. Doch | |
Maryse Condé widersteht seinem Ansinnen. Ohne Vorankündigung heiratet Aidoo | |
eine andere Frau. | |
Über das Empfinden der Kinder an ihrer Seite mutmaßt die Autorin | |
rückblickend nur vage: „Wegen der Kinder machte ich mir die schlimmsten | |
Vorwürfe. Scheinbar waren sie unbehelligt von den ständigen plötzlichen | |
Veränderungen in ihrem Leben. Aber es war schwer zu glauben, dass sie | |
psychisch nicht darunter litten. Wer kann mit Sicherheit sagen, was hinter | |
der glatten Stirn eines Kindes vorgeht? Alle vier waren Bettnässer.“ | |
Erst mit einer erneuten Versetzung an ein französisches Lycée im Senegal | |
wendet sich für Maryse Condé und ihre Kinder nach vielen Stationen das | |
Schicksal. Dort, im entlegenen Kaolack, begegnet sie im Kollegium | |
unverhofft ihrem zweiten Ehemann Richard Philcox, einem britischen | |
Übersetzer. Mit ihm kehrt sie nach Europa und Guadeloupe zurück, beendet | |
1975 ihr Literaturstudium an der Sorbonne mit einer Doktorarbeit über | |
schwarze Stereotype in der Literatur der Antillen und veröffentlicht im | |
Jahr darauf ihren ersten Roman „Hérémakhonon“. | |
„Leben oder schreiben – für eins muss man sich entscheiden“ – treffend… | |
Maryse Condé Jean Paul Sartres Zitat ihren Erinnerungen vorangestellt. | |
Eindrücklich schildert sie die Anstrengungen und Herausforderungen dieses | |
Lebensabschnitts. In ihrem späteren Leben als Schriftstellerin gelang es | |
ihr, diese Erfahrungen und ihr Wissen von den Antillen und aus ihrer Zeit | |
in Afrika gekonnt in ihr umfangreiches literarischen Werk einfließen zu | |
lassen. Internationale Anerkennung dafür erhielt sie [2][2018 in Schweden | |
mit dem „Alternativen Literaturpreis der Neuen Akademie“]. | |
19 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schriftsteller-und-Politiker-Aime-Cesaire-tot/!5183354 | |
[2] /Alternativer-Literaturnobelpreis/!5557043 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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