| # taz.de -- Buchmesse Lissabon mit Hygienekonzept: Bücher unter freiem Himmel | |
| > Umsonst und draußen: Die 90. Feira do Livro fand trotz Corona statt. Ein | |
| > Streifzug durch die portugiesischsprachige Kultur und Literatur. | |
| Bild: Auf der Buchmesse in Lissabon: am Stand des Kinder- und Jugendbuchverlags… | |
| Oberhalb der prächtigen Avenida da Liberdade feierte die Buchmesse Lissabon | |
| im Parque Eduardo VII. fast planmäßig ihr 90. Jubiläum. Um drei Monate | |
| verschoben, öffnete die Feira do Livro nach dem langen Lockdown am 27. | |
| August als erster großer Kulturevent in der portugiesischen Hauptstadt. | |
| Traditionell, nicht erst seit Covid-19, findet die beliebte Publikumsmesse | |
| unter freiem Himmel statt. In diesem Jahr allerdings war am Eingang das | |
| Händedesinfizieren obligatorisch. Mit Maske konnte man dann das Gelände | |
| kostenfrei betreten. | |
| Ein etwas modifiziertes Programm mit täglichen Lesungen und Gesprächen in | |
| luftigen Pavillons begleitete die zweiwöchige Veranstaltung. So | |
| schlenderten Familien, Singles, Teenager und Senioren mit Mindestabstand an | |
| den langen Standreihen der portugiesischen Verlage vorbei. Die boten | |
| Neuerscheinungen sowie Titel der Backlist mit Rabatt im Direktverkauf an. | |
| Willkommene Einnahmen nach den kräftigen Umsatzeinbrüchen während der | |
| Pandemie. | |
| Die Übersetzungen der Romane José Saramagos und António Lobo Antunes’ | |
| machten die portugiesische Literatur ab den 1980er Jahren in Deutschland | |
| bekannt und prägen ihr Bild bis heute. Saramago, der 1998 im Alter von 76 | |
| Jahren den Nobelpreis für Literatur erhielt, stammte aus einer Familie | |
| landloser Tagelöhner. Seine Mutter war Analphabetin. In seinem historischen | |
| Roman „Hoffnung im Alentejo“ berichtet der Schriftsteller und überzeugte | |
| Kommunist von den bedrückenden Lebensverhältnisse jener | |
| Landarbeiterfamilien und ihrem Aufbegehren gegen die Großgrundbesitzer. | |
| Die „Casa dos Bicos“, ein auffällig gestalteten Gebäude der Frührenaissa… | |
| im Zentrum Lissabons, beherbergt heute die Fundação José Saramago mit einer | |
| Ausstellung über den Autor. Seit 1999 prämiert die Stiftung alle zwei Jahre | |
| in Portugal veröffentlichte Literatur von jüngeren Autoren. Im Gespräch | |
| konstatiert Ricardo Viel von der Saramago-Stiftung jedoch, dass die Praxis | |
| portugiesischer Verlage den Nachwuchsschriftstellerinnen kaum Sichtbarkeit | |
| geben würde. | |
| ## Im Mai in Leipzig | |
| Lediglich zweimal seit 1999 ging der renommierte Literaturpreis an | |
| Autorinnen, an Adriana Lisboa und Andréa del Fuego – beide aus Brasilien. | |
| Zuletzt erhielt der dreißigjährige Portugiese Afonso Reis Cabral den Prémio | |
| Saramago für seinen zweiten Roman „Pão de Açúcar“ (Zuckerbrot). Die | |
| deutsche Übersetzung der Außenseitergeschichte, die auf einer wahren | |
| Begebenheit beruht, erscheint nun im Frühjahr 2021 im Carl Hanser Verlag. | |
| Dann nämlich wird Portugal Ehrengast auf der auf Mai verschobenen Leipziger | |
| Buchmesse sein, um aktuelle portugiesischsprachige Literatur und deren | |
| deutsche Übersetzungen den Besuchern zu präsentieren. Über 280 Millionen | |
| Menschen in Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika sprechen portugiesisch. | |
| Durch die Kolonialgeschichte bis ins 21. Jahrhundert miteinander verbunden, | |
| präsentieren sich in Leipzig neben AutorInnen aus Portugal ebenso Dichter | |
| und SchriftstellerInnen aus Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, den Kapverden, | |
| São Tomé und Príncipe. Erst mit der „Nelkenrevolution“, dem Sturz der | |
| Diktatur 1974, endete auch Portugals Kolonialherrschaft in Afrika. | |
| Die jüngste Literatur verhandelt zunehmend und aus unterschiedlichen | |
| Perspektiven diese Vergangenheit. Noch heute erinnern in den Straßen und | |
| auf den Plätzen Lissabons die mächtigen Kautschuk- und die blau blühenden | |
| Jacaranda-Bäume an die Expansion Portugals in Übersee. | |
| ## Postkoloniale Diskussionen | |
| Einer der international bekanntesten [1][angolanischen Schriftsteller ist | |
| José Eduardo Agualusa]. 1960 in Huambo geboren, schreibt er als Angolaner | |
| portugiesischer Herkunft, wie in dem 2017 im C. H. Beck Verlag erschienenen | |
| Roman „Eine allgemeine Theorie des Vergessens“, virtuos über die Geschichte | |
| seines Heimatlandes, über Unabhängigkeit und Bürgerkrieg. | |
| Als 2015 Isabela Figueiredos schonungsloser Bericht „Caderno de Memórias | |
| Colonais“ (dt.: „Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit“, 2017) in | |
| Portugal erscheint, stieß das Buch besonders innerhalb der Gruppe der | |
| „Retornados“, der Rückkehrer aus den Kolonien, auf heftige Ablehnung. | |
| Figueiredo, 1963 im heutigen Maputo geboren, lebte bis 1975 mit ihren | |
| portugiesischen Eltern in Mosambik. | |
| Nach der Unabhängigkeit verbrachte sie ihre Jugend alleine bei Verwandten | |
| in der portugiesischen Provinz. In ihren Kindheitserinnerungen schildert | |
| die Autorin mit beklemmender Direktheit das ambivalente Verhältnis zu ihrem | |
| Vater, einem einfachen Elektriker, den sie im rassistischen Alltag der | |
| Kolonie deutlich als triebhaften Sexisten und eigennützigen Profiteur zu | |
| erleben beginnt. | |
| Schon der portugiesische König João V. verfügte durch zuverlässig | |
| eintreffenden Goldeinnahmen aus Brasilien über die finanziellen Mittel, um | |
| in Mafra, 40 Kilometer nordwestlich von Lissabon, 1717 einen Nationalpalast | |
| größer als das spanische El Escorial errichten zu lassen. In seinem | |
| opulenten Werk „Das Memorial“ von 1982 schildert José Saramago die | |
| Entstehung dieses pompösen Monuments aus der Sicht der geschundenen | |
| Arbeiter, von denen Tausende bei dessen Errichtung ums Leben kamen. | |
| Heute zählt der Palast mit Basilika und ehemaligem Konvent in Mafra zum | |
| Weltkulturerbe. Doch das eigentliche Prunkstück der Anlage ist deren | |
| historische Bibliothek mit etwa 36.000 Bänden aus dem 15. bis 19. | |
| Jahrhundert. Hier versammelte der König umfassendes Wissen über die Welt. | |
| Mafalda Nobre, Bibliothekarin im Palast, führt durch den nur mit Tageslicht | |
| beleuchteten Saal an kunstvoll gearbeiteten Einbauten vorbei. Auf einem | |
| kleinen Tisch deutet sie auf einige kostbare Ausgaben aus dem 17. | |
| Jahrhundert, blättert in einem deutsch-portugiesisches Wörterbuch, einer | |
| botanischen Enzyklopädie Asiens und zeigt Illustrationen in einem ehemals | |
| verbotenen Band über Weltreligionen. Fledermäuse fliegen hier nachts ein | |
| und aus. | |
| Literarischen Stoff gibt es genug. Einer der auffälligsten Stände auf der | |
| „Feira do Livro“ gehörte dem Kinder- und Jugendbuchverlag Planeta | |
| Tangerina. Seine in leuchtenden Farben und klaren grafischen Formen | |
| gestalteten Bücher machen das Programm unverwechselbar. Die Illustratorin | |
| Madalena Matoso und die Autorin Isabel Minhós Martins kennen sich seit der | |
| Schulzeit. Gemeinsam mit dem Zeichner Bernardo P. Carvalho entwickelten sie | |
| die ersten Bilderbücher, die Sie ab 2012 im eigenen Verlag publizierten. | |
| Ein Drittel aller in Portugal verkauften Titel sind Kinder- und | |
| Jugendbücher. Ihr Umsatz beträgt 26 Prozent – vergleichbar dem Marktanteil | |
| der Erwachsenenliteratur. Trotzdem könnte auch Planeta Tangerina ohne den | |
| Verkauf der Rechte nicht existieren. Anders als einigen portugiesischen | |
| Literaturverlagen gelingt ihnen der internationale Austausch gut. | |
| Die deutsche Ausgabe ihres aufmüpfiges Bilderbuchs „Hier kommt keiner | |
| durch“ von Minhós Martins und Carvalho erhielt 2017 den | |
| Jugendliteraturpreis. Risikofreude und Eigenwilligkeit des kleinen | |
| Autorenverlags scheinen belohnt zu werden. | |
| Die Recherche wurde von Visit Portugal unterstützt. | |
| 18 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eva-Christina Meier | |
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