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# taz.de -- Schriftsteller und Politiker Aimé Césaire tot: Zeuge der Dekoloni…
> Aimé Césaire hat die "Négritude" mitbegründet, den stolzen Rekurs auf die
> afrikanische Herkunft in Literatur und Kultur. Der Schriftsteller und
> Politiker ist auf Martinique gestorben
Bild: Was bedeutet Unabhängigkeit? Diese Frage ließ Césaire nicht mehr los.
Aimé Césaire ist tot. Am 17. April 2008 hat uns der letzte große Zeitzeuge,
der die Dekolonisierungsprozesse des 20. Jahrhunderts als moralistischer
Kommentator, aber auch als Beteiligter begleitete, für immer verlassen.
Geboren wurde er 1913 in Basse-Pointe auf der damals wie heute
französischen Karibikinsel Martinique, einem Dorf, das - Peripherie in der
Peripherie - damals nur Zucker und heute nur Bananen für die Europäische
Union produziert.
Ärmliche Verhältnisse prägten seine Kindheit; die Erinnerung daran
begleitete sein Leben: seine Mutter, die nachts noch an der Nähmaschine
sitzt; die Erfahrungen, die er während seiner Ausbildung in Europa und
Nordamerika sammelte; seine Rückkehr nach Fort-de-France, der Hauptstadt
von Martinique, die ihm nun als eine "platte", das heißt geduckte Stadt
ohne Willen und Stimme erscheint.
Das lange, ebenso episch wie surrealistisch geprägte Gedicht "Retour au
pays natal" ("Zurück ins Land der Geburt", auf Deutsch 1956 veröffentlicht)
ist das einzige Dokument, in dem er über sich und seine frühen Erfahrungen
berichtet. Es begründete seinen Ruf als einer der großen "französischen"
Autoren der Moderne, obwohl es erst Jahre nach seiner ersten
Veröffentlichung 1939, dank einer von dem Surrealisten-Papst André Breton
selbst begleiteten Neuausgabe aus dem Jahr 1947, bekannt wurde. Es war der
- inoffizielle - Gründungstext der Doktrin der "Négritude", in dem sich
erstmals dieser Begriff findet und der ihn, zusammen mit Léopold Sédar
Senghor, dem späteren senegalesischen Präsidenten, so bekannt machte, dass
er jetzt zur Pflichtlektüre in den meisten frankofonen Ländern der Dritten
Welt geworden ist.
Seltsamer-, aber auch bezeichnenderweise wurde Césaire in seiner
karibischen Heimat kaum als Dichter wahrgenommen: Er war und blieb der
Bürgermeister von Fort-de-France, Abgeordneter der Französischen
Nationalversammlung und, ironischerweise, auch der Vertreter der
politischen Interessen Frankreichs, als er 1946 zusammen mit der
Kommunistischen Partei Frankreichs die "Departementalisierung" der
Französischen Überseegebiete, das heißt ihre endgültige Aufnahme und
Eingliederung in das Mutterland vertrat und erreichte. Das tat seinem Ruf
keinen Abbruch, denn Martinique und die "französische" Karibik fuhren so
gut mit ihrem Sonderstatus, dass von nun an der Ruf nach Unabhängigkeit nur
noch von einer trotzkistischen Minderheitspartei vertreten wurde. Césaire
selbst tat ein Übriges, indem er die kommunistische Partei der Antillen von
der französischen Mutter abnabelte und als Parti Progressiste zu einer
regional selbständigen Partei machte.
Unabhängigkeit - was bedeutete dies in der Zeit der Entstehung der vielen
armen Staaten? Diese Frage ließ Aimé Césaire nicht mehr los und führte ihn,
in den 1960er-Jahren, nach der Poesie und dem Surrealismus zu einem neuen
Genre: dem Theater, das nun - ganz im Sinne des klassischen Dramas - zur
Tragödie der Dekolonisierung wurde. Sein erstes Stück,"La Tragédie du Roi
Christophe", beschreibt die Tragödie des haitianischen "Königs", der sich
zwischen dem Freiheitsstreben seines Volkes und der Suche nach Ordnung
aufreibt und zugrunde geht. Das zweite behandelt die Tragödie des
kongolesischen Freiheitshelden und ersten Präsidenten Patrice Lumumba ("Une
Saison au Congo", 1966). 1969 folgte noch ein drittes, das Césaires Ruf als
Theaterautor krönte: "Ein Sturm", eine Bearbeitung des klassischen
Shakespeare-Dramas "Der Sturm", das, angepasst an ein "schwarzes" Theater,
sich als wichtigstes Beispiel des Emanzipationsdramas präsentiert.
Damit beendete Césaire - wohl im Konflikt zwischen Realpolitik und ihrer
philosophischen Überhöhung - seine glänzende literarische Karriere
frühzeitig und widmete sich seitdem vor allem der Politik als der
Möglichkeit, jenseits aller politisch-philosophischen Dispute wirksam zu
sein.
19 Apr 2008
## AUTOREN
Ulrich Fleischmann
## TAGS
Literatur
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