# taz.de -- Rückblick auf die Buchmesse: Themensatt und untergründig | |
> Debüt, Skandalaufregung, Genieverdacht und, zack, da ist die | |
> Aufmerksamkeit? Die Frankfurter Buchmesse hat gezeigt, dass das so nicht | |
> mehr läuft. | |
Bild: Hat das Buch seine Stellung als Leitmedium verloren? | |
Den schönsten Ort der Buchmesse – und zugleich einen guten Ort, um sich zu | |
überlegen, was von dieser Messe in Erinnerung bleiben wird – bot eine | |
Videoinstallation im Pavillon des diesjährigen Gastlandes Georgien. Es war | |
ein guter Gastlandauftritt, engagiert, fröhlich. Um die Installation herum | |
wurde viel diskutiert, über Georgien und Europa, Georgien und Russland, die | |
Rolle der Kultur in einem Transformationsland am Kaukasus. | |
In der Installation aber schwebten nur Gesichter um einen herum. Freundlich | |
lächelnd, neugierig schauend, unnahbar blickend, wurden sie auf die Wände | |
projiziert, untermalt von entschleunigter Ambient-Musik. | |
Diese Installation gewährte einen Moment der Ruhe inmitten des dieses Jahr | |
vom atemberaubenden spätsommerlichen Wetter geradezu bestrahlten | |
Messetreibens. Die Bilder und Themen, die einen in den Messehallen sonst | |
geradezu ansaugten, konnte man ruhig an sich vorbeiziehen lassen. | |
Da war die allgemeine Freude über die flammende Eröffnungsrede der | |
Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, die eins zu eins auch auf der | |
Unteilbar-Demo am Samstag in Berlin hätte verlesen werden können. Ein | |
Plädoyer für Vielfalt. Sätze wie: „Es ist an der Zeit für Männer, Bücher | |
von Frauen zu lesen.“ | |
Und dann war da aber auch dieser traurige Blick einer deutschen Autorin im | |
Gespräch hinterher, die alles, was Adichie sagte, begeistert unterschreiben | |
würde, aber dann doch anmerkte: Wenn eine deutsche Schriftstellerin so | |
etwas sagte, würde man ihr nur vorwerfen, Plattitüden von sich zu geben. | |
## Nichts gegen den literarischen Porno | |
Lange im Hinterkopf behalten wird man auch, ganz andere Baustelle, die halb | |
entgeisterten, halb belustigten Gesichter, mit denen TeilnehmerInnen vom | |
schwergewichtigen 30er-Jahre-Porno „Weltpuff Berlin“ berichteten. | |
Geheimnisvoll waren die Kritikerkollegen vom Rowohlt Verlag zur | |
Präsentation von Rudolf Borchardts 1000-seitigen Roman gelockt worden, der | |
nun erst veröffentlicht wird. Sie wurden Zeugen einer männerlastigen | |
Veranstaltung, samt roten Bäckchen vor Aufregung über die im Roman | |
anzutreffende Kopulationshäufigkeit. | |
Nichts gegen einen literarischen Porno, aber es war wohl nicht gelungen, | |
ihn ohne Schlüpfrigkeit vorzuführen. Schlagend die Anmerkung der Kritikerin | |
Marie Schmidt in der SZ: „Es passiert einem in letzter Zeit gar nicht mehr | |
so oft, dass man erlebt, wie über Frauen in einem Ton gesprochen wird, als | |
seien keine im Saal.“ | |
Außerdem gab es die [1][Guerilla-Marketingaktionen von Neurechten wie Götz | |
Kubitschek], deren sicher mindestens halb gefakter Verkauf des Antaios | |
Verlags an das Quengeln eines Kleinkinds erinnerte, das unbedingt bei der | |
Buchmesse auf den Schoß will. | |
Es gab den alternativen Literaturnobelpreis für die Schriftstellerin Maryse | |
Condé, der gut aufgenommen wurde, den Stockholmer Nobelpreis aber natürlich | |
nicht ersetzen konnte. Es gab dafür die entspannte Souveränität, mit der | |
Maxim Biller darauf reagierte, dass der Buchpreis nicht an ihn ging. Und | |
als Gegenstück dazu wirkte die ganz unprofessionelle Freude, die die | |
Preisträgerin Inger-Maria Mahlke ausströmte, wenn man ihr begegnete. Es gab | |
Martin Sonneborns Verkleidung als Hitler-Attentäter Stauffenberg, mit der | |
er einen Auftritt Björn Höckes irritieren wollte. | |
## Debüt, Skandalaufregung, Genieverdacht | |
Und es gab die vielen [2][Diskussionen rund um Literatur und soziale | |
Medien], die inzwischen ein neues Level erreicht haben. Wer immer noch | |
meint, die digitale Welt insgesamt mit Begriffen wie Zerstreuung und | |
Konzentrationsverlust diskreditieren zu können, hat die konzentrierten | |
Diskussionen, die etwa die Plattform Mojoreads in Frankfurt auf die Beine | |
stellte, nicht wahrgenommen. | |
So zog das alles an einem vorbei, während in der Installation die Gesichter | |
vorbeischwebten. Alles in allem war es eine gute, themensatte Messe. Zumal | |
auch noch ein untergründiges Thema manifest wurde, das einen als Kritiker | |
noch länger beschäftigen wird. | |
Denn es scheinen viele Mitglieder des Literaturbetriebs weiterhin dieses | |
jungmännerhafte Autorenmodell im Kopf zu haben, mit dem etwa Günter Grass, | |
Peter Handke, Rainald Goetz und Clemens Meyer einst an die Öffentlichkeit | |
traten: Debüt, Skandalaufregung, Genieverdacht und, zack, fertig ist die | |
Aufmerksamkeit. Genau so aber läuft es eben keineswegs mehr. | |
Hatte man Allgemeinthemen durch, [3][etwa dass das Buch seine Stellung als | |
Leitmedium verloren hat], wurde in Vieraugengesprächen gern darüber | |
gesprochen, wie langsam und vor allem langfristig man Autorenkarrieren | |
heute aufbauen muss. Für Inger-Maria Mahlke kam der Erfolg erst mit dem | |
vierten Roman. Für eine Autorin wie Lucy Fricke und ihren Bestseller | |
„Töchter“ auch. Anke Stelling, die in „Schäfchen im Trockenen“ so etw… | |
den heimlichen Erfolgsroman dieses Herbstes geschrieben hat, musste | |
ebenfalls erst Durststrecken überwinden, bevor sie mit ihren Themen | |
durchkam. | |
Den langen Atem brauchen aber auch die Verlage. Auch das konnte man dieses | |
Jahr in Frankfurt sehen. | |
14 Oct 2018 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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