# taz.de -- Roman von David Diop: Der Kriegswahnsinnige | |
> David Diops Buch „Nachts ist unser Blut schwarz“ handelt von den | |
> sogenannten „Senegalschützen“. Es erzählt ein unbekanntes Kapitel | |
> Kolonialgeschichte. | |
Bild: Es war auch ein familiärer Bezug, der David Diop zu seinem Thema gebrach… | |
Gerüchte über Alfa Ndyaye machen die Runde in der Kompanie. Irgendetwas | |
stimmt nicht mit dem „Schokosoldaten“, wie sie jemanden wie ihn hier | |
nennen. Er ist nicht nur normal grausam wie die anderen Kämpfer, nein, er | |
hackt getöteten Feinden die Hände ab, kehrt mit der abgetrennten Hand und | |
dem Gewehr des Gegners in den Schützengraben zurück. | |
Die ersten zwei, drei Male wird er für die Trophäen noch gefeiert, aber | |
„mit der siebten abgetrennten Hand reichte es ihnen“. Der Hauptmann will | |
ihn in Fronturlaub schicken. Und „die anderen“ glaubten, „ich wäre ein | |
dëmm, ein Seelenfresser“. | |
Alfa Ndyaye ist der Ich-Erzähler in [1][„Nachts ist unser Blut schwarz“], | |
dem neuen Roman des franko-senegalesischen Schriftstellers David Diop. Er | |
erzählt darin vom Schicksal zweier senegalesischer Jugendfreunde, die als | |
Kolonialsoldaten im Ersten Weltkrieg auf der Seite der Franzosen kämpfen. | |
Der Kriegseinsatz der sogenannten [2][Senegalschützen („Tirailleurs | |
sénégalais“)], wie man alle Kolonialsoldaten aus Französisch-Westafrika | |
unterschiedslos nannte, war weder besonders gut dokumentiert noch hat er | |
viel Beachtung in der Literatur gefunden. Diop, der in Pau im Südwesten | |
Frankreichs lebt und dort als Literaturwissenschaftler lehrt, wollte dies | |
zumindest für die Belletristik nachholen – und hat einen Roman als fiktiven | |
Brief verfasst. | |
Diop spielt darin geschickt mit den Ebenen. Zum einen zeigt er die | |
(rassistische) Instrumentalisierung der Kolonialsoldaten, die dem deutschen | |
Feind als „blutdürstige Wilde“ und „Naturgewalt“ einen Schrecken einja… | |
sollten. Und er erzählt vom Grauen des industrialisierten Krieges generell. | |
Aber er belässt es eben nicht dabei, er rückt zugleich die starren, | |
autoritären Familienstrukturen im Senegal jener Zeit in den Fokus, indem er | |
die Herkunftsgeschichte der beiden Jugendfreunde, die aus unterschiedlichen | |
Clans stammen, nacherzählt. | |
So kommt die Hauptfigur Alfa Ndyaye, gerade zwanzig Jahre alt, aus einem | |
patriarchalischen Stammessystem, wird dann hineingeworfen in den Wahnsinn | |
des Krieges und erlebt dort, dass sein Jugendfreund Mademba Diop auf üble | |
Weise getötet wird. | |
## Eine Litanei | |
Nach und nach versteht man, wie aus dem jungen, hoffnungsfrohen Alfa Ndyaye | |
der kriegswahnsinnige Alfa Ndyaye wird. Bittere Ironie steckt darin, dass | |
man von ihm, dem Schwarzen, zivilisatorische Mindeststandards einfordert in | |
einem Krieg, der kaum mehr Reste zivilisierten Verhaltens kennt. Alfa endet | |
verstört im Lazarett. | |
Stilistisch arbeitet Diop mit Wiederholungen, die er in den inneren Monolog | |
Alfas einstreut: „bei der Wahrheit Gottes“ ist eine dieser Formeln, die den | |
Text wie eine Litanei erscheinen lassen. Der Roman lebt vom Sprachrhythmus: | |
„Niemand kann mir erzählen, auf dem Schlachtfeld brauchte es keine | |
Verrückten. Bei der Wahrheit Gottes, ein Verrückter hat vor nichts Angst. | |
Die anderen, Weiße wie Schwarze, geben den Wahnsinn vor, spielen blindwütig | |
Verrückte, wenn sie anstandslos in die Kugeln der Feinde von drüben | |
rennen.“ | |
Es war auch ein familiärer Bezug, der Diop zu seinem Thema gebracht hat, | |
wie er bei einer Buchvorstellung in Berlin berichtete – allerdings nicht, | |
wie man erwarten könnte, aus dem senegalesischen Teil seiner Familie. Sein | |
französischer Großvater habe im „Grande Guerre“ gekämpft, aber zeit sein… | |
Lebens über die Geschehnisse geschwiegen. Mit der Geschichte von Alfa | |
Ndyaye bringt Diop nun ein anderes, unterbelichtetes Kapitel des Ersten | |
Weltkriegs überzeugend zur Sprache. | |
29 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.aufbau-verlag.de/index.php/nachts-ist-unser-blut-schwarz.html | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Tirailleurs_s%C3%A9n%C3%A9galais | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Kolonialismus | |
Schwerpunkt Erster Weltkrieg | |
Französische Literatur | |
Literatur | |
Krieg | |
Roman | |
Roman | |
Dystopie | |
Literatur | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Roman von David Diop: Pathos und Abenteuer | |
Der franko-senegalesische Schriftsteller David Diop macht es sich in seinem | |
aktuellen Roman „Reise ohne Wiederkehr“ in vielerlei Hinsicht zu einfach. | |
Vergessene Kolonialgeschichte: Eskalation in Neukaledonien | |
Den Unterdrücker dazu bringen zu verstehen, warum er unterdrückt: Joseph | |
Andras’ Buch „Kanaky“ arbeitet mit den Stimmen von Zeitzeugen. | |
Das englische Biopic „Tolkien“: Giftgas speiender Dämon | |
Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs hat das Werk des „Herr der | |
Ringe“-Autors maßgeblich geprägt. Das Biopic „Tolkien“ zeigt dies | |
eindrucksvoll. | |
Alternativer Literaturnobelpreis: Schreiben, um sich zu befreien | |
Einmalig wird 2018 statt des regulären der alternative Literaturnobelpreis | |
vergeben. Den bekommt die Schriftstellerin Maryse Condé. | |
Kolumne Globetrotter: Frankofone Literatur in Frankfurt | |
Französischsprachige Verlage aus Afrika versuchen Lesen als | |
Freizeitbeschäftigung zu fördern, auch indem sie Werke in Lokalsprachen | |
übersetzen. |