| # taz.de -- Neuer Roman von David Diop: Pathos und Abenteuer | |
| > Der franko-senegalesische Schriftsteller David Diop macht es sich in | |
| > seinem aktuellen Roman „Reise ohne Wiederkehr“ in vielerlei Hinsicht zu | |
| > einfach. | |
| Bild: In David Diops Roman geht es auch um Senegal und seine Kolonialgeschichte | |
| Der Blick von Michel Adanson ist leer, sein Geist wendet sich in seinen | |
| letzten Stunden einer Hoffnung zu. Der Hoffnung, dass seine Tochter Aglaia | |
| seine Mitschriften finden möge, die er für sie versteckt hat. Denn selbst | |
| sprechen kann er nicht mehr, um sich ihr zu erklären. Das wäre aber | |
| dringend nötig, denn ihre Beziehung war nie die beste, wie man zunächst aus | |
| Aglaias Perspektive erfährt. | |
| Mit Schmerz erinnert sie sich an ihre Kindheit, in der der Vater kaum | |
| anwesend war. Manisch war er von der Idee besessen, eine | |
| Universal-Enzyklopädie von Flora und Fauna zu verfassen. Aglaia war ihrem | |
| Vater dennoch immer verbunden, wenngleich er ihr ein Rätsel blieb. Erst als | |
| sie die versteckten Hefte ihres Vaters entdeckt, wird sie erfahren, was ihn | |
| zu dem gemacht hat, der er war. | |
| Die Leser:innen von David Diops neuem Roman „Reise ohne Wiederkehr“ | |
| haben es da leichter, Michel Adanson ist eine historische Person. Der | |
| Botaniker lebte im Frankreich des 18. Jahrhunderts und machte sich mit | |
| seiner Naturgeschichte des Senegal einen Namen, die Gattung der | |
| Affenbrotbäume ist nach ihm benannt. Im deutschsprachigen Raum fand sein | |
| Reisebericht „Michael Adansons Nachricht von seiner Reise nach Senegal und | |
| in dem Innern des Landes“ Verbreitung. | |
| An diesem hat sich der [1][franko-senegalesische Schriftsteller Diop] für | |
| seinen dritten Roman großzügig bedient. Schauplätze, Personal und tropische | |
| Atmosphäre hat er der Vorlage entnommen. Denn die Hefte, die Aglaia findet | |
| und die den zweiten Teil der Erzählung bilden, enthalten Adansons Bericht | |
| einer Forschungsreise in den Senegal, um die dortige Flora und Fauna zu | |
| erkunden. | |
| ## International bekannt geworden | |
| David Diop ist im vergangenen Jahr international bekannt geworden, als er | |
| für seinen Roman [2][„Nachts ist unser Blut schwarz“ den International | |
| Booker Prize] gewann. Die Geschichte versetzt die Leser:innen in den | |
| Kopf von einem der etwa 30.000 senegalesischen Soldaten, die als | |
| „Senegalschützen“ im Ersten Weltkrieg in der französischen Armee dienten. | |
| Der von Andreas Jandl großartig übersetzte Roman, der auch den Prix | |
| Goncourt des lycéens erhielt, führt in die finstersten Kammern des Krieges. | |
| Er rollt die lyrische Anklage einer zerstörten Seele aus, die nach dem | |
| Verlust des besten Freundes auf den Schlachtfeldern von Verdun den Boden | |
| unter den Füßen verliert und in ein Dunkel gleitet, das nur noch die nackte | |
| Gewalt kennt. | |
| Diops Roman, der aus den Gräben in den Senegal und wieder nach Europa | |
| führt, sei exemplarisch für „eine Literatur, die es uns ermöglicht, in die | |
| Köpfe anderer Menschen zu schauen“, hieß es in der Begründung zum Booker | |
| Prize. | |
| In seinem neuen Roman, der ebenfalls für den Prix Goncourt nominiert war, | |
| lässt Diop in den Kopf eines Wissenschaftlers aus dem 18. Jahrhundert | |
| schauen. Das klingt vielversprechend, bietet das Zeitalter der Aufklärung | |
| mit seinem neugierigen Blick auf die vielerorts noch unbekannte Welt und | |
| der Erkundung des Menschen als vernunftbegabtes Wesen doch zahlreiche | |
| Anknüpfungspunkte, die eine spannende Lektüre erwarten lassen. | |
| ## Rousseaus „Bekenntnisse“ | |
| In der heimlichen Hinterlassenschaft der Hefte klingen Rousseaus | |
| „Bekenntnisse“ an, die Einbettung in den kolonialen Kontext verspricht neue | |
| Erkenntnisse auf diesen unterbelichteten Teil der Geschichte. | |
| Leider hat sich Diop nicht für aufklärerische Aspekte wie die Erkundung des | |
| menschlichen Wesens in der Fremde oder den Blick auf die westliche | |
| Sklavenhaltergesellschaft aus erkenntnisreicher Distanz entschieden, | |
| sondern für das Klischee einer Liebesgeschichte, mit der er Adansons | |
| Reisebericht fiktionalisiert. | |
| Denn auf der senegalesischen Insel Gorée, die ein zentraler Hotspot für die | |
| Verschiffung von afrikanischen Sklaven nach Amerika war, gerät Adanson in | |
| den Bann von Maram Seck, einer „antiken Königin“, die von ihrem Onkel an | |
| die französischen Kolonialherren verkauft wurde. Sie wird ihm ihre | |
| abenteuerliche Geschichte erzählen, die mit männlicher Gewalt und | |
| Missbrauch, Unterwerfung und Sklaverei, aber auch mit Geisterglaube, | |
| Schamanismus und Emanzipation verbunden ist. | |
| Die tragisch endende Amour fou zwischen Adanson und Maram steht im | |
| Mittelpunkt seiner Bekenntnisse, was den Text in vielerlei Hinsicht | |
| schwierig macht. Allein in den drei Erzählperspektiven – Aglaia, Adanson, | |
| Maram – wird die Inkonsistenz der Erzählung deutlich. | |
| ## Frei von Ironie | |
| Aglaias intime Erinnerung bricht beispielsweise abrupt ab und wird dann | |
| auch nicht mehr aufgegriffen. Als hätte der Autor plötzlich die Idee für | |
| ein anderes Buch gehabt. Das folgt dann mit Adansons fiktiven | |
| Aufzeichnungen, die sich in kompliziert-akademischen und kitschigen | |
| Wendungen verlieren. Mal ist Diop zu nah an der historisch-naturkundlichen | |
| Vorlage (nebst Verwendung des N-Worts), dann wieder verfällt er dem Pathos | |
| der Bekenntnisliteratur. Ohnehin ist der Roman nahezu vollkommen frei von | |
| Ironie und Leichtigkeit. | |
| Statt den kolonialen Blick des Botanikers aus heutiger Perspektive zu | |
| brechen, trieft der Text vor pathetischem Exotismus und männlicher Gier. | |
| „Sie ging nun in völliger Nacktheit frei und bildschön umher wie eine | |
| schwarze, von Gott noch nicht aus dem Paradies vertriebene Eva“, erinnert | |
| sich Adanson an eine heimliche Beobachtung. | |
| Diop wiederholt allerdings nicht nur den lüsternen und abwertenden Blick | |
| seines weißen Protagonisten, sondern nimmt Maram auch noch die Sprache. Das | |
| verwundert, denn er unterrichtet an der Universität in Pau | |
| französischsprachige afrikanische Literatur. Als Akademiker und Autor weist | |
| er immer wieder auf blinde Flecken der Kolonialgeschichte hin. Hier erzählt | |
| aber nicht Maram ihre Geschichte, sondern Adanson. | |
| Zwar wird das im Roman markiert – „Eine erdachte Landschaft trat an die | |
| Stelle der realen“ –, die Entmündigung afrikanischer Frauen durch männlic… | |
| Gewalt und Sklaverei wird dennoch literarisch erneuert. Warum er seine | |
| versklavte Protagonistin nicht selbst sprechen lässt, so wie es etwa Djaïli | |
| Amadou Amal in ihrem ausgezeichneten Roman „Die ungeduldigen Frauen“ tut, | |
| bleibt schleierhaft. Statt wirklich erhellender Eindrücke bleibt nach der | |
| Lektüre dieses Romans leider nur ein bitterer Nachgeschmack. | |
| 28 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/David_Diop_(Schriftsteller,_1966) | |
| [2] /Booker-Literaturpreis-fuer-David-Diop/!5772055 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Hummitzsch | |
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