| # taz.de -- Datenschützer über Gesichtserkennung: „Einstieg in die absolute… | |
| > Hamburgs Polizei soll ihre Gesichtserkennungs-Datenbank löschen. Das hat | |
| > der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar am Dienstag angeordnet. | |
| Bild: Gegen was hat Lisa demonstriert? Gesichtserkennung-Software ermöglicht �… | |
| taz: Herr Caspar, Sie sprechen beim Einsatz von | |
| [1][Gesichtserkennungssoftware durch die Hamburger Polizei von einer „neuen | |
| Dimension der Kontrolle“]. Fürchten Sie einen Überwachungsstaat? | |
| Johannes Caspar: Ja, in der Tat. Sowohl die Gesichtserkennung in Echtzeit, | |
| wie sie am Bahnhof Südkreuz in Berlin getestet wurde, als auch die | |
| retroaktive Gesichtserkennung zur Aufklärung begangener Straftaten, wie sie | |
| in Hamburg im Echtbetrieb stattfindet, schaffen Möglichkeiten der | |
| Verknüpfung von Information und einer umfassenden Kontrollmöglichkeit des | |
| Individuums. Das Beispiel in Hamburg zeigt, dass es möglich ist, Profile | |
| über Standort, Verhalten und soziale Kontakte von Personen über einen | |
| örtlich und zeitlich nicht näher festgelegten Zusammenhang zu erstellen, zu | |
| verknüpfen und auszuwerten. | |
| Das [2][Pilotprojekt am Südkreuz wurde vom Bundesinnenministerium als | |
| Erfolg gewertet] und soll wohl ausgeweitet werden. Ist eine solche | |
| Echtzeit-Gesichtserkennung aus Sicht eines Datenschützers denn nicht | |
| deutlich schlimmer als eine Video-Auswertung im Nachhinein wie in Hamburg? | |
| Nein, das kann man so nicht sagen. Denn wenn die Daten von Unbeteiligten im | |
| Nichttrefferfall sofort gelöscht werden, ist die Echtzeiterkennung für | |
| Personen, die nicht zur Fahndung ausgeschrieben wurden, weniger intensiv | |
| als für jemanden, der Monate oder Jahre in einer Datei gespeichert ist, die | |
| immer wieder erneut abgeglichen werden kann, und zwar auch zu ganz | |
| unterschiedlichen Delikten. Das Problem der „False Positives“, also | |
| Verwechslungen von Personen, stellt sich sowohl bei der Echtzeit-Detektion | |
| als auch bei der retroaktiven Gesichtserkennung. Prinzipiell vermittelt die | |
| staatliche Herrschaft über Bilder die Kontrolle über Menschen. | |
| Sie haben ein ganz neues Schwert der Gesetzgebung bemüht und am | |
| Dienstagmorgen gegenüber dem Hamburger Innensenator die Löschung der | |
| kompletten biometrischen Referenzdatenbank angeordnet. Muss die Polizei | |
| jetzt auf der Stelle aufhören, solche Daten zu verarbeiten? | |
| In diesem Zusammenhang ist dies die erste rechtsverbindliche Anordnung auf | |
| dieser Grundlage gegen eine Polizeibehörde in Deutschland. Ich bin froh | |
| über dieses Instrument, da man sieht, dass [3][eine bloße Beanstandung | |
| allein nicht ausreicht]. Sie führt weder zum Umdenken, noch kann sie | |
| Rechtssicherheit schaffen. Die Innenbehörde hat nun einen Monat Zeit und | |
| kann prüfen, Klage zu erheben oder der Anordnung Folge zu leisten. | |
| Die Polizei hat es mit einer Flut von Bildern zu tun. Viele Menschen können | |
| nachvollziehen, dass diese nicht einzeln ausgewertet werden können und | |
| wünschen sich auch eine erfolgreiche Strafverfolgung. Ist das nicht ein | |
| guter Grund, die Technik einzusetzen? | |
| Die Polizeiarbeit ist bisher auch ohne automatisierte Gesichtserkennung | |
| ausgekommen. Der Staat war auch bisher nicht wehrlos. In der derzeitigen | |
| Diskussion hat es häufig den Anschein, als wäre früher keine effektive | |
| Polizeiarbeit möglich gewesen, ohne über alle erdenklichen technischen | |
| Neuerungen zu verfügen. Jetzt gibt es eine neue Technologie, die im Prinzip | |
| die Möglichkeiten von Fahndungen revolutioniert und nun auch eingesetzt | |
| wird. Wir stehen am Anfang einer neuen Ära. Die Frage ist aber: Darf man im | |
| Rechtsstaat alles machen, was technisch möglich ist und zur Zweckverfolgung | |
| geeignet erscheint? Die neuen Techniken sind eine Herausforderung für das | |
| Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung und die Privatsphäre. Hier | |
| brauchen wir eine grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, die auch | |
| die Rechte von Betroffenen klar formuliert. Das kann nicht dem Ermessen der | |
| Strafverfolgungsbehörden überlassen bleiben. Es ist allein Sache des | |
| Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, in welcher Weise eine biometrische | |
| Vermessung Betroffener durch Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden | |
| zulässig sein soll. Dabei sind die Grundrechte und der | |
| Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu achten. | |
| Von wie vielen Menschen in Hamburg wurden denn nun überhaupt die Gesichter | |
| gescannt, vermessen und gespeichert? | |
| Als wir zuletzt im August nachgefragt haben, sprach die Polizei von 32.000 | |
| Video- und Bilddateien. Man hat keine Auskunft geben können, wie viele | |
| Gesichtstemplates erstellt wurden, das ließ sich aus dem System nicht | |
| auslesen. Man kann davon ausgehen, dass eine Videosequenz jeweils eine | |
| Vielzahl von Menschen zeigt, man denke etwa an Nutzer der S-Bahn, | |
| Teilnehmer an Versammlungen und Passanten vor Ort. Solange wir keine | |
| konkreten Angaben haben, gehen wir mindestens von einer sechsstelligen Zahl | |
| aus. | |
| Bei der Bilddatenbank dreht es sich aber immer noch um den G20-Gipfel? | |
| Die zeitliche Zuordnung lässt sich über die Tage des G20-Gipfels | |
| konkretisieren und ist daher von ziemlich langer Dauer. Bei der örtlichen | |
| Zuordnung gibt es eine breite Streuung, da Material aus vielen | |
| unterschiedlichen Quellen zusammengetragen wurde. Hier ist zum Teil | |
| überhaupt fraglich, wie nachträglich ein zeitlicher Zusammenhang | |
| hergestellt werden kann. Die Polizei verfügt insgesamt über Daten von mehr | |
| als 100 Terabyte, die nach ihren Angaben nur aufgrund technischer | |
| Beschränkungen nicht komplett eingespielt wurden. | |
| Sie haben erklärt, der Polizei sei es mit der Software möglich, Profile | |
| auch über soziale Kontakte und sogar das Verhalten von Menschen zu | |
| erstellen. Wie kann ich mir das vorstellen? | |
| Über eine Gesichts-ID wird es möglich, die Bewegungen, das Verhalten und | |
| die sozialen Kontakte einer Person über mehrere Tage im überwachten Bereich | |
| in Hamburg zu verfolgen. So lässt sich rekonstruieren, an welchen | |
| Veranstaltungen jemand teilgenommen hat, welche Läden und Restaurants er | |
| besucht hat. Grundsätzlich kann im Nachhinein ein lückenloses | |
| Bewegungsprofil über einen längeren Zeitraum erzeugt werden. | |
| Was ist daran so gefährlich? | |
| Aufgrund fehlender gesetzlicher Vorgaben lassen sich Grenzen der | |
| Überwachung nicht trennscharf ziehen. Kontrollen durch unabhängige Stellen | |
| laufen ohne Melde- und Informationspflichten ins Leere, da für derartige | |
| Datenbanken keine besonderen gesetzlichen Vorgaben existieren. Ein | |
| Richtervorbehalt zur Anordnung und Begrenzung solcher Maßnahmen besteht | |
| nicht. Das alles steht allein im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden. | |
| Vertrauen ist im Rechtsstaat keine tragfähige Kategorie. Wenn dies zur | |
| Standardmaßnahme würde, wäre das der Einstieg in die absolute Kontrolle der | |
| öffentlichen Bereiche. | |
| Hamburgs Innensenator Andy Grote hält Ihnen entgegen, er hat die Kompetenz, | |
| die Daten aufzunehmen. | |
| Das bedeutet nicht, sie auch biometrisch auszuwerten. Das ist ein anderer | |
| Schritt. Aus der Ermächtigung zur Videoüberwachung folgt nicht die | |
| Zulässigkeit der biometrischen Verarbeitung. Das Bundesverfassungsgericht | |
| hat im Übrigen für die Videoüberwachung bereits eine bestimmte | |
| Rechtsgrundlage gefordert. Das muss daher erst recht für die biometrische | |
| Verarbeitung personenbezogener Daten gelten. | |
| Aus der Innenbehörde heißt es auch, der Einsatz erfolge nur bei „einer | |
| einzelfallbezogenen staatsanwaltschaftlichen Verfügung“, insofern richte | |
| sich die Maßnahme nur gegen Beschuldigte. | |
| Wir haben nichts dagegen, dass die Bilder existieren und sagen auch nicht, | |
| dass alle Bilder gelöscht werden müssen. Sondern es geht um die Templates | |
| der Gesichter, die allesamt von der biometrischen Software errechnet | |
| werden. Die Staatsanwaltschaft kommt erst in einem nächsten Schritt ins | |
| Spiel, wenn Verdächtige gesucht werden sollen. Ein Abgleich anhand einer | |
| rechtswidrigen Datenbank ist jedoch nicht zulässig. | |
| Die Innenbehörde beruft sich wie Sie auf das Bundesdatenschutzgesetz, auf | |
| Paragraf 48, und sagt: Die Verarbeitung besonderer Kategorien | |
| personenbezogener Daten sei zulässig, wenn sie zur Aufgabenerfüllung | |
| unbedingt erforderlich ist. | |
| Das ist eine zu allgemeine Norm, die keine derartigen intensiven | |
| Grundrechtseingriffe ermöglicht, insbesondere nicht bei Unbeteiligten. Das | |
| haben wir über mehrere Seiten unserer Anordnung ausgeführt. | |
| 18 Dec 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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