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# taz.de -- Video-Überwachung am Südkreuz: Im Schatten der Technik
> Schon das Modellprojekt für Gesichtserkennung per Video scheiterte. Seit
> Juni laufen Tests für „Verhaltens- und Mustererkennung“ – mit mäßigem
> Erfolg.
Bild: Liegen hier Menschen oder sind das Schatten? Lichteinfall am Südkreuz
Berlin taz | Eine Frau sitzt auf einer Bank in der Wartehalle vom Bahnhof
Südkreuz und verhält sich eigenartig. Zunächst starrt sie nur auf ihr
Handy, doch dann legt sie sich unvermittelt auf eine schwarze Matte, die
vor ihren Füßen auf dem Boden liegt. Wort- und reglos bleibt sie liegen. Um
die Bank ist ein Bereich mit blauem Klebeband auf dem Boden markiert –
ähnlich wie die kleinen Raucher-Inseln auf dem Bahnsteig.
Nur sind diese blauen Rechtecke nicht zum Rauchen, sondern für intelligente
Videoüberwachung reserviert. Hier sollen die Maschinen lernen, bestimmtes
Verhalten von Menschen zu erkennen. Es ist die zweite Phase eines
Modellprojekts zu automatisierter Videoüberwachung der Deutschen Bahn und
der Bundespolizei.
Am Südkreuz, dem Testbahnhof für KI-gestützte Überwachungstechnik, läuft
seit Juni die zweite Testphase des Modellprojekts für die Videoüberwachung
der Zukunft, so wie sie sich Bahn, Innenministerium und Polizei vorstellen.
In der großspurigen [1][Science-Fiction-Ankündigung] hieß es, dass die
Kameras von allein lernen sollen, bestimmte Szenarien zu erkennen. Unter
anderem: liegende Personen, die Hilfe benötigen, einsame Gepäckstücke sowie
schnelle Bewegungen von Personengruppen. Damit rennende Hooligans von einer
[2][zum Zug laufenden Familie] unterscheidbar sind, sollen für die Kameras
bestimmte Szenen mit „Darstellern“ nach einem exakten „Drehbuch“
dargestellt werden: Ein wütender Hooligan-Mob, ein messerschwingender
Krimineller – eine Alien-Invasion?
So jedenfalls die Theorie. In der Praxis lief schon die erste Phase des
Projekts – automatisierte Gesichtserkennung anhand von biometrischen Daten
– sehr schlecht. Und auch die zweite Phase scheint holprig zu starten: Denn
außer der liegenden Frau ist nicht viel am Südkreuz zu sehen. Keine Spur
von Szenarien, Darbietungen und Reenactment. Drehbuchautor*innen braucht
hier jedenfalls niemand.
## Schatten oder Mensch?
Dass es mit den Tests noch nicht so gut läuft, kann man wohl an der
schwarzen Matte erkennen, auf der die Frau liegt. Denn offenbar ist es für
die Maschinen gar nicht so leicht, liegende Personen zu erkennen, wenn sie
sich auf den nackten Boden legen. Die Matte soll wohl dabei helfen, ein
klares Bild zu bekommen – der Schatten fällt dann nicht so auf und die
Kamera muss mit weniger Kontrasten klarkommen.
Tatsächlich bestätigte die Bahn der taz, dass die Tests noch nicht ganz
nach Plan verlaufen. Viel zu sehen sei vor Ort noch nicht, hieß es auf
Nachfrage. Situationen nach einem exakten Drehbuch herzustellen, davon sei
man noch weit weg, sagte ein Sprecher der Bahn. Die Software sei noch nicht
vollständig einsatzbereit. Und das, obwohl die Tests bereits seit Juni
laufen sollten. Ursprünglich waren die ersten Versuche sogar für den
Jahresbeginn geplant. Drei verschiedene Anbieter – IBM, Hitachi und
Funkwerk – sollen ihre Software testen, seien aber noch dabei, ihre Technik
einzurichten.
Die Kameras hätten allein schon damit Probleme, den Schatten einer Person
von einem echten Menschen zu unterscheiden, heißt es. Ein Problem, das am
Bahnhof Südkreuz kein kleines sein dürfte, weil dort bei gutem Wetter die
Sonne durch ein Glasdach fällt. Ein lang werdender Schatten wirke dabei für
die Software schon mal wie eine liegende Person, so der Sprecher. Und bevor
man mit drehbuchartigen Szenen beginnen könne, müsse man wohl erst mal das
mit den Schatten justieren. Also erst mal kein simulierter Alien-Angriff.
Ob sich der offiziell bis Dezember laufende Test am Südkreuz verlängere,
könne man noch nicht abschätzen. Panik habe man aber keineswegs: Es gebe
eine gewisse Anspannung, aber keine Verzweiflung, so der Sprecher. Man
liege noch in der Zeit. Aber vor Anfang August sei noch nichts zu sehen von
Tests mit weiteren Probanden. Nicht mal die Bahn selbst habe bislang die
Technik einsehen können.
## Unwissenschaftliches Debakel
Schon die erste Testphase des Modellprojekts Intelligente Videoüberwachung
[3][am Südkreuz] lief nicht sonderlich gut. Zu unausgereift und ungenau ist
die automatisierte biometrische Gesichtserkennung, wie das einjährige
Modellprojekt ergab, das bis August 2018 lief.
Der [4][Abschlussbericht] versucht das zwar hinter allerhand Floskeln zu
kaschieren und lieferte ein schön gefärbtes Fazit („wertvolle
Unterstüzungsinstrumente für die polizeiliche Fahndung“). Doch kritisierten
Datenschützer*innen die Ergebnisse mit klaren Worten: „Unwissenschaftlich“
sei der Abschlussbericht, die Testergebnisse seien ein „Debakel“ und
deutlich geschönt worden. Die [5][Stellungnahme des Chaos Computer Clubs
(CCC)] ist vernichtend. Nicht einmal technisch einsatzfähig seien solche
Systeme – von ethischen Vorbehalten einer dauerhaften biometrischen
Personenerfassung im öffentlichen Raum ganz zu schweigen, für die zudem
jegliche Rechtsgrundlage fehle, wie [6][Kritiker anmerkten].
Auch Berlins Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk kritisierte in ihrem
Jahresbericht 2018 überdeutlich: Der Trefferquote „stand eine sehr hohe
Falscherkennungsrate, also eine große Zahl ausgelöster Fehlalarme,
gegenüber.“ Während des Projektes seien insgesamt 80.000 bis 100.000
Personen zu Unrecht erfasst worden, schimpft [7][ihr Bericht regelrecht auf
Seite 75]. In einem Ernstfall hätte die Kamera also schnell mal ein paar
10.000 Personen als vermeintliche Terroristen eingestuft. Eine hohe
Fehlerquote berge wiederum das Risiko, „dass ein korrekter Treffer nicht
als solcher erkannt würde, weil ständig viel zu viele Falschmeldungen von
Hand aussortiert werden müssten“, resümierte die Datenschützerin.
Immerhin verzichten Bahn und Bundespolizei bei dieser zweiten Testphase auf
biometrische Erkennungsmerkmale. Das ginge nicht nur anhand biometrischer
Daten für Gesichter, sondern auch etwa anhand des individuellen Gangs einer
Person. Smoltczyk hatte zuvor gefordert, darauf zu verzichten: „Bei einem
Verlust der Daten können Betroffene ein Leben lang Opfer von
Identitätsdiebstahl und Folgekriminalität werden. Die Erhebung
biometrischer Daten ist daher immer mit einem sehr tiefen Eingriff in die
Privatsphäre und einem erheblichen Risiko verbunden.“
23 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.bundespolizei.de/Web/DE/04Aktuelles/01Meldungen/2019/06/190607_…
[2] /Polizei-fixiert-Unschuldige-in-Koeln/!5598162/
[3] /Gesichtserkennung-an-Berliner-Bahnhof/!5436197/
[4] https://www.bundespolizei.de/Web/DE/04Aktuelles/01Meldungen/2018/10/181011_…
[5] https://www.ccc.de/de/updates/2018/debakel-am-suedkreuz
[6] https://netzpolitik.org/2018/ueberwachungstest-am-suedkreuz-geschoente-erge…
[7] https://www.datenschutz-berlin.de/fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/j…
## AUTOREN
Gareth Joswig
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