Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Prozess um G20-Ausschreitungen startet: Demo-Recht ist in Gefahr
> Mitgefangen, mitgehangen, so die Devise der Anklage im G20-Prozess um
> Ausschreitungen an der Elbchaussee. Vier Mit-Läufern drohen hohe
> Haftstrafen.
Bild: Am Rand des G20-Gipfels 2017 in Hamburg: dunkler Rauch von den Demos
Hamburg taz | Am Dienstag startet vor dem Hamburger Landgericht der erste
Prozess um die schweren Ausschreitungen während des Hamburger G20-Gipfels,
die die Polizei als „Tatkomplex Elbchaussee“ bezeichnet. Vier junge Männer
im Alter von heute 22, 24 und zweimal 18 Jahren stehen vor Gericht, weil
sie zu den rund 220, durchweg vermummten und dunkel gekleideten Personen
gehören sollen, die auf ihrem Weg durch Altona am Morgen des 7. Juli 2017
eine Schneise der Verwüstung hinterließen.
Brisant an dem Verfahren ist Folgendes: Gelingt es der Staatsanwaltschaft,
das, was sie in der Anklageschrift bereits dargelegt hat, in ein
Gerichtsurteil umzumünzen, kann das Rechtsgeschichte schreiben – und das
Demonstrationsrecht entscheidend verändern.
Videos beweisen, dass aus der Gruppe der rund 220 Vermummten heraus schwere
Straftaten begangen wurden. 19 Autos wurden in Brand gesetzt, Scheiben
eingeworfen, AnwohnerInnen mit Gegenständen beworfen. Laut
Staatsanwaltschaft ist insgesamt ein Sachschaden von mehr als einer Million
Euro entstanden. Die martialischen Bilder des „schwarzen Mobs“, wie die
Ankläger sie titulieren, gingen um die Welt.
Den vier aus Hessen stammenden Angeklagten wird jedoch keine dieser
Straftaten konkret zugerechnet. Sie sollen kein Auto angezündet, keine
Schaufensterscheibe zum Bersten gebracht, nicht einmal einen Böller
geworfen haben. Sie sollen einfach nur mitmarschiert sein. Damit hätten die
vier Männer, von denen keiner vorbestraft ist und von denen zwei während
des G20-Gipfels noch nicht volljährig waren, nach bisheriger Rechtsprechung
keine hohen Strafen zu erwarten.
Zwei höchstinstanzliche Urteile sind dabei maßgebend: Im sogenannten
Brokdorf-Urteil, in dem es um das Verbot einer Demo gegen den
schleswig-holsteinischen Atommeiler ging, entschied das
Bundesverfassungsgericht 1985 so: Die Versammlungsfreiheit friedfertiger
Demo-TeilnehmerInnen bleibe auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen
von einigen DemonstrantInnen zu rechnen ist. Seitens der Behörden seien
alle Mittel auszuschöpfen, die auch in diesem Fall den friedlichen
DemonstrantInnen eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte im Mai 2017, dass schon ein
„ostentatives“ – also auf Provokation angelegtes – Mitmarschieren in ei…
gewaltbereiten Menge ausreiche, um den Tatbestand des Landfriedensbruchs zu
erfüllen. Die „konkrete Täterschaft bei der Begehung von Gewalttaten“ sei
dabei nicht erforderlich, um sich strafbar zu machen. Allerdings schränkte
der BGH ein: Dies gelte nicht für politische Demonstrationen, bei denen von
einigen TeilnehmerInnen – nicht von allen – Gewalttaten begangen werden.
## Friedliche von gewaltbereiten Demonstranten trennen
Beide Urteile – und damit die bislang geltende Rechtsprechung – zielen also
darauf ab, bei Polit-Aufmärschen, aus denen heraus Straftaten begangen
werden, friedliche DemonstrantInnen und aktive GewalttäterInnen säuberlich
voneinander zu trennen. Hamburgs Staatsanwaltschaft aber legt es nun darauf
an, Spreu und Weizen bewusst zu mischen. Die Devise der Ankläger lautet:
Mitgefangen, mitgehangen!
In ihrer Anklageschrift ordnet sie über 100 während des
Elbchaussee-Aufmarschs begangene Straftaten – Brandstiftung,
Sachbeschädigung und Körperverletzungen – den Angeklagten strafrechtlich
zu. Nicht weil sie diese Taten aktiv begangen hätten, sondern weil sie
mitmarschierten und damit den EinzeltäterInnen Rückhalt gewährten. Auch der
Tatbestand des Landfriedensbruchs sei erfüllt, weil der Protestzug nicht
unter dem Schutz des Versammlungsrechts stehe. Er habe kein politisches
Anliegen gehabt, sondern sei eine Zusammenrottung Krimineller gewesen, mit
dem Ziel, schwere Straftaten zu begehen.
Was das aus Sicht der Ankläger für die Angeklagten bedeutet, machte die
Staatsanwaltschaft mit ihrem Antrag deutlich, das gesamte Gericht wegen
Befangenheit abzulehnen. Der Grund dafür: Die Strafkammer kam in einer
vorläufigen Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass die Beschuldigten bei
Verurteilung mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren Haft zu rechnen
hätten.
Obwohl schon dieser Strafrahmen für die bloße Teilnahme an einer
Versammlung, aus der heraus Straftaten begangen wurde, beispiellos wäre,
nutzte die Staatsanwaltschaft die Zwischenbilanz, um das gesamte Gericht
wegen Befangenheit abzulehnen – auch das ein beispielloser Vorgang. Die
Begründung: Die RichterInnen hätten bei ihrer Bewertung „die Dimension der
Taten vollständig aus dem Blick verloren“ und damit „die Opfer verhöhnt�…
Statt nur drei Jahre müssten die Angeklagten für sechs bis zehn Jahre
hinter Gittern verschwinden. Der Befangenheitsantrag wurde abgelehnt.
Beim Prozess wird sich nun zeigen, ob das Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit nach den G20-Vorkommnissen noch dasselbe sein wird wie
zuvor.
16 Dec 2018
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
G20-Prozesse
G20-Gipfel
Versammlungsfreiheit
Demonstrationsrecht
Landfriedensbruch
deutsche Justiz
Schwarzer Block
G20-Prozesse
G20-Prozesse
G20-Prozesse
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Rote Hilfe
G20-Prozesse
Rote Flora
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Elbchaussee-Prozess in Hamburg: Haftverschonung für G20-Gegner
Im Elbchaussee-Prozess ist jetzt der letzte der fünf Angeklagten aus der
U-Haft entlassen worden. Der Prozess läuft noch bis April.
Aus Gründen des Jugendschutzes: G20-Prozess ohne Presse
Im Verfahren um die Elbchaussee-Krawall-Demo während des G20-Gipfels in
Hamburg schließt das Gericht die Öffentlichkeit aus.
Wegweisender G20-Prozess in Hamburg: Dabei gewesen sein ist alles
Reicht das Marschieren mit Gewaltbereiten, um für deren Taten verurteilt zu
werden? Ein G20-Prozess in Hamburg klärt diese Frage.
Datenschützer über Gesichtserkennung: „Einstieg in die absolute Kontrolle“
Hamburgs Polizei soll ihre Gesichtserkennungs-Datenbank löschen. Das hat
der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar am Dienstag angeordnet.
Vierte Fahndung seit G20-Protesten: Hamburger Polizei fahndet öffentlich
Zum vierten Mal veröffentlicht die Polizei Fotos dutzender Verdächtiger.
Die Hamburger Linken üben scharfe Kritik an der Fahndungsmethode.
Kommentar zum Verbot der Roten Hilfe: Rechtsstaat auch für Linke
Das Innenministerium erwägt ein Verbot der Roten Hilfe. Das wäre ein Schlag
gegen Linke, der rechten Interessen in die Hände spielt.
Gericht rügt Polizei Hamburg: G20-Knast-Schikane war illegal
Die Ingewahrsamnahme von italienischen G20-Demonstranten war unrechtmäßig.
So urteilte nun das Verwaltungsgericht.
CDU fordert Schließung der Roten Flora: „Terroristische Kommandoaktionen“
In ihrer Bilanz zum G20-Sonderausschuss holt Hamburgs CDU zum Rundumschlag
gegen die linke Szene aus und fordert erneut die Schließung der Roten
Flora.
Ein Jahr nach dem G20-Protest: Was euch kaputt macht
Vor einem Jahr eskalierten die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg.
Wie erging es denen, die damals dabei waren?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.