# taz.de -- Initiative versteckt bedrohte Geflüchtete: „Bewusst nicht geheim… | |
> Die Gruppe Bürger*innen-Asyl bietet Geflüchteten Schutz. Eine in diesen | |
> Zeiten notwendige Form zivilen Ungehorsams, sagt die Mitwirkende Katrin | |
> Meyer. | |
Bild: Demonstrieren allein reicht nicht mehr aus, sagt die Initiative | |
taz: Frau Meyer, was ist Bürger*innen-Asyl? | |
Katrin Meyer: Bürger*innen-Asyl ist die zivilgesellschaftliche Antwort auf | |
die deutsche Abschiebepolitik. Wir sind eine neue Initiative, uns gibt es | |
seit etwa einem halben Jahr in Berlin. Unser Ziel ist es, konkret | |
Abschiebungen zu verhindern. Wir ermuntern dafür Berliner*innen, | |
geflüchtete Menschen bei sich aufzunehmen. Es geht zum Beispiel um Leute, | |
deren Asylantrag abgelehnt wurde und die auch keine Duldung mehr haben. Wir | |
wollen die Menschen unterstützen, die ganz akut hier nicht mehr sicher sind | |
und jederzeit abgeschoben werden können. Und die deswegen in privatem | |
Wohnraum untergebracht und versteckt werden müssen. | |
Also ist Bürger*innen-Asyl so etwas wie Kirchenasyl? | |
Ja, wir verstehen uns als Parallelstruktur zum Kirchenasyl. Aber das kann | |
Menschen nur in Kircheneigentum unterbringen und ist total überlastet. Wir | |
denken uns: Wieso soll nur die Kirche Menschen vor Abschiebung schützen | |
können? Auch wir als Bürger*innen können das tun. | |
Das ist natürlich illegal. Auch die Kirchen haben lange verhandelt mit dem | |
Staat, um einen rechtlichen Modus zu finden. | |
Zu Bürger*innen-Asyl gibt es bislang keine rechtliche Praxis, noch hat sich | |
kein Gericht damit beschäftigt. Ob es strafrechtliche Konsequenzen hat, ist | |
auch nicht eindeutig zu sagen, das hängt vom aufenthaltsrechtlichen Status | |
der Betroffenen ab. Was für uns aber wichtig ist: Das ist eine Form des | |
zivilen Ungehorsams. Wir sagen: In diesen Zeiten, wo so viele Menschen | |
zurück ins Elend, in Folter und Tod geschickt werden, ist | |
Bürger*innen-Asyl nötig. Es ist vielleicht nicht legal, aber auf jeden | |
Fall legitim. | |
Also macht es für Sie keinen Unterschied, ob man sich damit strafbar macht | |
oder nicht? | |
Unsere Initiative ist bewusst nicht geheim. Wir stehen dazu, wir wollen | |
Einfluss auf den Diskurs nehmen und zeigen, dass es ganz viele Menschen | |
gibt, die nicht einverstanden sind mit den migrationspolitischen | |
Entscheidungen der Bundesregierung. Gleichzeitig verraten wir aber nicht, | |
wo wer versteckt wird. Das heißt, wir schützen alle Beteiligten, damit die | |
Behörden nicht einfach plötzlich vor der Tür stehen können. | |
Dann gibt es bereits Leute, die in Berlin versteckt werden? | |
Ja, wir haben das erste Bürger*innen-Asyl erfolgreich abgeschlossen. | |
Das heißt? | |
Wir haben die Abschiebung einer Familie verhindert. Sie ist jetzt im | |
deutschen Asylverfahren und hat Hoffnung auf einen Aufenthaltsstatus hier. | |
Wie ging das vonstatten? | |
Die Idee von Bürger*innen-Asyl hat zwei Komponenten: Wir wollen ganz | |
konkret die Abschiebung verhindern, aber wir wollen auch ein langfristiges | |
Bleiberecht ermöglichen. Bei Leuten, die im Dublin-Verfahren sind, für die | |
also ein anderes EU-Land zuständig ist, kann die Aufnahme ins | |
Bürger*innen-Asyl zum Beispiel Zeit schaffen, bis die Überstellungsfrist | |
abgelaufen ist. | |
Was heißt das? | |
Nach sechs Monaten Aufenthalt hier wird Deutschland für Menschen im | |
Dublin-Verfahren zuständig. Die Aufnahme ins Bürger*innen-Asyl kann aber | |
auch einfach den Anwält*innen Zeit geben, die rechtlichen Möglichkeiten zu | |
nutzen, um ein Bleiberecht zu erkämpfen. | |
Wie war das bei Ihrer ersten Familie? | |
Das war eine afghanische Familie, die in Schweden registriert wurde. Was | |
viele vielleicht nicht wissen: Berlin schiebt zwar nicht direkt nach | |
Afghanistan ab – das ist Konsens im Senat. Aber es finden ganz viele | |
Abschiebungen von Berlin in skandinavische Länder statt, die wiederum viel | |
nach Afghanistan abschieben. Das heißt, Berlin ist indirekt an vielen | |
sogenannten Kettenabschiebungen nach Afghanistan beteiligt. Die Familie, | |
die wir unterstützt haben, war so ein Fall. Da konnten wir die Zeit bis zum | |
Ende der Überstellungsfrist überbrücken, sodass die Familie nicht nach | |
Schweden und von dort nach Afghanistan abgeschoben wurde, sondern jetzt im | |
deutschen Asylsystem drin ist. | |
Wie wählen Sie die Familien aus? | |
Wir arbeiten mit einem großen Netzwerk von Beratungsstellen zusammen, die | |
uns Menschen übermitteln, die ganz akut von Abschiebung bedroht sind und | |
für die das Bürger*innen-Asyl eine Möglichkeit darstellt, eine | |
langfristige Bleibeperspektive zu bekommen. | |
Könnte es also sein, dass jemand zwar akut bedroht ist, für ihn aber das | |
Bürger*innen-Asyl nicht infrage kommt? | |
Das klären für uns die Beratungsstellen ab, die haben in dieser Hinsicht | |
viel mehr rechtliche Kompetenz. Sie gucken, ob es noch rechtliche, | |
medizinische oder humanitäre Möglichkeiten gibt. | |
Wie groß ist Ihr Netzwerk? Wie viele Berliner*innen haben erklärt, dass | |
sie jemanden unterbringen würden? | |
Das ist schwierig zu sagen. Wir sind eine kleine Kerngruppe von Menschen, | |
die Veranstaltungen organisieren und die einzelnen Bürger*innen-Asyle | |
begleiten und unterstützen. Aber zu uns gehören auch die, die unseren | |
Aufruf im Internet unterzeichnen und theoretisch damit die Absicht | |
erklären, sie würden eine Person aufnehmen. Der Aufruf ist erst seit gut | |
zwei Wochen online und wurde schon von Dutzenden Leuten unterzeichnet. Dann | |
gehören auch all jene dazu, die unsere Idee mit Geld, Zeit oder auf andere | |
Weise unterstützen. Uns ist es aber auch wichtig, zu sagen, dass wir eine | |
neue Initiative sind und wir uns über jegliche Unterstützung freuen. | |
Können Sie theoretisch schon mehrere Asyle gleichzeitig machen? | |
Können wir. Aber wie viele Menschen wir aktuell verstecken, wollen wir | |
nicht sagen. Das Ziel ist natürlich, daraus eine breite Bewegung zu machen, | |
die laut und sichtbar ist. Wir glauben, dass viele Menschen empört sind | |
über Seehofers Zynismus mit 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag. Über | |
die Berliner Ausländerbehörde, die im Juni eine Abschiebung nach Madrid | |
durchgeführt hat, wo Geflüchtete gefesselt und medikamentös ruhiggestellt | |
wurden. Es gibt viele, die sagen, auf die Straße gehen reicht nicht, wir | |
wollen selbst handeln. All diejenigen laden wir ein mitzumachen. | |
Wie sieht das praktisch aus, wenn ich sage, ich hätte ein Zimmer für diesen | |
Zweck frei? | |
Dann kontaktieren Sie uns einfach über unsere Website oder über Facebook, | |
und wir machen ein persönliches Treffen aus.Wir unterstützen die | |
Beteiligten während des gesamten Prozesses des Bürger*innen-Asyls. Es gibt | |
eine Supportgruppe, die hilft bei Behördengängen, bei Arztbesuchen, bei | |
Anwält*innen. Wir sammeln Spenden, um Essen, Anwält*innen, Transportkosten | |
und so weiter bezahlen zu können. | |
Gibt es Bürger*innen-Asyl auch in anderen deutschen Städten? | |
Bürger*innen-Asyl-Initiativen haben sich vor etwa zwei Jahren in | |
verschiedenen deutschen Städten gegründet. Angefangen hat es in Freiburg, | |
Stuttgart, Hanau und Göttingen. Die Idee hat sich dann ausgebreitet, heute | |
gibt es in zehn deutschen Städten Bürger*innen-Asyl-Initiativen. Oft sind | |
sie in der Auseinandersetzung mit Solidarity Cities entstanden, also mit | |
den Kämpfen für eine solidarische Stadt, zu der das Recht auf Bildung und | |
auf Gesundheit gehört, aber auch das Recht, zu bleiben und Schutz zu | |
bekommen. Auch wir hier in Berlin sind Teil vom Solidarity-City-Netzwerk. | |
13 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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