# taz.de -- Bürger*innenasyl auf dem Land: Letzte Zuflucht Wohnzimmer | |
> Die Initiative Barnimer Bürger*innenasyl will Menschen vor Abschiebungen | |
> schützen. Sie ist eine der Ersten, die dies in einem Landkreis umsetzt. | |
Bild: Fania Taeger und Philipp Grunwald bei der tschetschenischen Familie, die … | |
Ein Zimmer in einer Eberswalder Wohnung wurde für Salina Chadjieva* und | |
ihre Familie für einige Monate zu einer richtigen Zuflucht. „Wir sind dort | |
zur Ruhe gekommen, wir konnten wieder durchschlafen und haben den | |
Geburtstag unserer Tochter richtig als Fest gefeiert“, sagt die junge Frau, | |
die mit ihrer Familie aus Tschetschenien nach Deutschland geflohen ist. | |
Der Familie drohte die Abschiebung nach Polen, weil Polen nach der | |
Dublin-Regelung für ihr Asylverfahren zuständig gewesen wäre. Da sie | |
übergangsweise außerhalb der ihnen zugewiesenen Unterkunft lebten, konnten | |
sie nicht abgeholt und abgeschoben werden. Inzwischen sind sie länger als | |
sechs Monate im Barnim, damit ist nun Deutschland für ihr Asylverfahren | |
zuständig. | |
„Im Heim hatten wir immer Angst“, sagt Chadjieva. „Wir haben mitbekommen, | |
wie andere abgeschoben wurden.“ Einmal habe ihr Mann einen Polizist beim | |
Heim gesehen. „Er dachte, dass die Polizei bestimmt in der Nacht kommt, und | |
uns abholt. Jede Nacht sind wir gegen drei, vier Uhr aufgewacht, die Zeit, | |
wenn sie meistens kommen, um einen abzuholen.“ Auch deshalb sei die Zeit, | |
in der Eberswalder Privatpersonen sie in ihrer Wohnung aufgenommen hatten, | |
so erholsam gewesen. | |
## Öffentliche Unterstützung | |
Vermittelt hatte ihnen das Zimmer die Initiative Barnimer Bürger*innenasyl, | |
die Menschen vor Abschiebung bewahren möchte. Neben Chadjieva haben sie in | |
den vergangenen Monaten bereits zwei weitere Geflüchtete unterstützt. Nun | |
wollen sie ihre Arbeit öffentlich machen. Eine am Freitag veröffentlichte | |
entsprechende Erklärung unterzeichneten mehr als 50 Menschen aus dem Barnim | |
– darunter Ärzt*innen, Lehrer*innen, Student*innen und Rentner*innen. | |
„Mit der öffentlichen Erklärung wollen wir der Stimmungsmache von rechts | |
etwas entgegensetzen, die behauptet, dass es viel zu wenig Abschiebungen | |
gibt“, sagt Philipp Grunwald von der Initiative, der in der Umweltbildung | |
arbeitet und sich bereits länger gegen Abschiebungen einsetzt. „Wir | |
verstehen unsere Erklärung als Akt des zivilen Ungehorsams.“ Darüber hinaus | |
wollen sie von Abschiebung bedrohte Menschen auch praktisch unterstützen – | |
wie, hänge vom Einzelfall ab. | |
Solche Hilfe hält Grunwald in den meisten Fällen für legal. „Wir gucken, | |
welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt. Allerdings finden wir es darüber | |
hinaus legitim, Menschen davor zu beschützen, abgeschoben zu werden“, sagt | |
er. Oft gehe es darum, Zeit zu gewinnen. Jemanden außerhalb des Heims | |
unterzubringen sei der letzte Schritt. „Unser Ziel ist, dass Menschen ihren | |
gültigen Aufenthaltsstatus behalten“, sagt Grunwald. „Sie sollen nicht als | |
untergetaucht gelten, sondern ihr Leben weiterleben, so dass Kinder weiter | |
in Schule oder Kita gehen können und Erwachsene zum Sprachkurs, zur Arbeit | |
oder Ausbildung.“ | |
Nach zahlreichen Bürger*innenasyl-Initiativen in deutschen Städten ist die | |
Barnimer Gruppe eine der ersten in einem Landkreis. Ein besonderes Problem | |
in Brandenburg sei, dass sich die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes an | |
sehr abgelegenen Orten befänden und es dort kaum Zugang zu Rechtsberatung | |
oder zu Anwälten gäbe, sagt Grunwald. „Dort sind sehr viele Menschen von | |
Abschiebungen bedroht oder werden direkt aus der Erstaufnahme abgeschoben | |
und es ist besonders schwer, sie zu unterstützen.“ | |
## 31 Abschiebungen 2017 | |
Laut dem Kreistag sind 2017 aus dem Barnim 31 Menschen abgeschoben worden, | |
in anderen Brandenburger Landkreisen waren es deutlich weniger. Die | |
Initiative fordert daher, dass die lokale Ausländerbehörde ihren | |
Ermessungsspielraum mehr als bisher im Sinne der Asylsuchenden auslegt. | |
„Ich hoffe, dass unser Engagement dazu führt, dass wir Abschiebungen aus | |
der Perspektive der Betroffenen diskutieren“, sagt Fania Taeger, eine der | |
Unterzeichnerinnen der Barnimer Bürger*innenasyl-Erklärung, die in | |
Eberswalde studiert hat und sich seit 2015 mit Sprachkursen und | |
Jugendarbeit in der Flüchtlingsarbeit engagiert. „Die Abschiebegesetze sind | |
unmenschlich“, sagt sie. „Menschen werden aus dem Schlaf gerissen, sie | |
können oft schon Wochen vorher nicht schlafen, es ist mehrfach passiert, | |
dass Menschen sich in dieser Situation das Leben genommen haben, oder es | |
versucht haben“, sagt Taeger. | |
Salina Chadjieva hat durch ihre Zeit im Bürger*innenasyl wieder Mut | |
gefasst. Sie hofft, dass sie mit ihrer Familie eine Chance in Deutschland | |
bekommt. „Hier ist das Leben sicher“, sagt sie. „In Tschetschenien konnte | |
ich mit niemandem über die Dinge reden, die mein Herz beschäftigt haben, es | |
ist zu gefährlich.“ Hier habe sie Freundinnen gefunden. „Auch mein Mann hat | |
sich hier geöffnet.“ Früher hätte er immer gesagt, alles sei OK, „aber i… | |
wusste, es ist nicht OK.“ | |
Deutsch hat Chadjieva bereits gelernt, sie möchte eine Ausbildung beginnen. | |
„Wir konnten nun den Asylantrag stellen, aber wir wissen natürlich nicht, | |
wie es ausgeht. Viele Anträge von Tschetschenen werden abgelehnt“, sagt | |
sie. Dann droht ihnen die Abschiebung zurück in die Russische Föderation. | |
„Sie sagen, Russland ist groß. Aber wir wissen, dass wir auch in Moskau | |
nicht sicher sind.“ | |
*Der Name wurde zum Schutz der Familie geändert | |
15 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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