# taz.de -- Bürger*innenasyl in Brandenburg: Weitermachen, trotz alledem | |
> Im brandenburgischen Barnim setzen sich Aktivisten für den Schutz von | |
> abschiebebedrohten Personen ein. Über Aktivismus in Zeiten des | |
> Rechtsrucks. | |
Bild: Anti-Abschiebe-Demo vom Bürger*innenasyl Barnim im März 2024 | |
Eberswalde taz | Stell dir vor, es soll abgeschoben werden und keiner macht | |
mit. Stell dir vor, es gibt eine Stadt, in der alle Menschen Schutz und | |
Zuflucht finden. Das ist nicht eine utopische Wunschvorstellung von | |
Menschenrechtsaktivist*innen, sondern Realität – zumindest im Kleinen und | |
in Ansätzen. | |
Die Rede ist von Eberswalde im Brandenburger Landkreis Barnim, rund 50 | |
Kilometer nordöstlich von Berlin. Ausgerechnet in Barnim, wo die AfD bei | |
der Bundestagswahl im Februar die meisten Stimmen geholt hat, hat die | |
Initiative [1][Bürger*innenasyl Barnim] im vergangenen Jahr 28 | |
Abschiebungen verhindert, darunter die von 10 Kindern. | |
„Unsere Erfahrung ist, dass in diesem kleinen Landkreis auch Kleines viel | |
bewirken kann“, sagt Miguel Moreno*. Er ist Aktivist und Mitgründer der | |
Initiative, die von Abschiebung bedrohten Menschen Schutz gewährt. Sie ist | |
Teil des bundesweiten Netzwerks Bürger*innenasyl, das sich 2016 als | |
Reaktion auf die Verschärfungen der europäischen und deutschen Asyl- und | |
Migrationspolitik gründete. | |
Ihre Forderung nach einem Bleiberecht für alle Menschen, unabhängig von | |
Herkunft oder Aufenthaltsstatus, ist verbunden mit dem internationalen | |
Städtenetzwerk [2][Solidarity Cities, dem auch Berlin angehört]. | |
Gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe darf keine Frage des Passes | |
oder des Geldbeutels sein, so die Idee. | |
Das Problem: „In einem Brandenburger Landkreis darauf zu hoffen, dass wir | |
Institutionen auf unsere Seite kriegen, ist nicht so leicht“, sagt Ilka | |
Seeger*, die wie Moreno von Anfang an dabei ist in der Barnimer Gruppe und | |
ebenfalls nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen möchte. „Wir haben | |
diskutiert, ob wir das im ländlichen Raum überhaupt machen wollen.“ | |
## Der Bedarf ist groß | |
Die anfänglichen Zweifel waren jedoch schnell verflogen. Vor allem, weil | |
der Bedarf an konkreten Unterstützungsmaßnahmen für abschiebebedrohte | |
Menschen so groß ist. Bereits vor der Gründung der Initiative im Februar | |
2019 setzten sich Seeger und Moreno gegen Abschiebungen ein, indem sie | |
Schutzsuchende in Kirchenasylen unterstützten. „Das war ab 2017. Irgendwann | |
haben wir dann festgestellt, es gibt gar nicht genug Kirchengemeinden, die | |
das abdecken können“, erinnert sich Seeger. | |
Die Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden, die im Landkreis Barnim | |
abschiebebedrohten Personen Asyl gewähren, ist bis heute wichtiger | |
Bestandteil der Arbeit des Bürger*innenasyls. Es sieht sich als Ergänzung | |
zu den bestehenden solidarischen Strukturen. Konkret sieht das so aus, dass | |
Aktivist*innen wie Moreno und Seeger private | |
Unterbringungsmöglichkeiten organisieren und die anfallenden | |
Lebenshaltungskosten abdecken, Beratungen durchführen und öffentliche | |
Aktionen veranstalten. Zurückgreifen können sie dabei auf Spenden und ein | |
breites Unterstützer*innennetzwerk. | |
Ohne dieses wäre die Arbeit nicht zu stemmen, sagen sie. Inzwischen werde | |
das Barnimer Bürger*innenasyl auch von Personen außerhalb des | |
Landkreises kontaktiert. „Wir hatten lange Zeit das Gefühl, dass wir bei | |
allen, die sich in Not an uns wenden, tendenziell Lösungen finden. Seit ein | |
paar Monaten haben wir eine Riesenliste von Leuten und wir können sie gar | |
nicht versorgen“, sagt Seeger. Daran allein lasse sich zwar noch nicht | |
ablesen, ob die Zahl der Abschiebungen zugenommen habe, ergänzt Moreno. | |
Schutzsuchende seien allerdings panischer geworden, auch aufgrund des | |
gesellschaftlichen Rechtsrucks. | |
## Stabile Solidarität | |
Solidarität aus der Zivilgesellschaft habe es in den vergangenen Jahren | |
stets gegeben, das habe sich über die Jahre auch nicht geändert, sind sich | |
die beiden einig. Ein öffentlicher Aufruf des Barnimer | |
Bürger*innenasyls 2019 zum Schutz von abschiebebedrohten Geflüchteten | |
etwa wurde von rund 100 Personen aus der Region mit vollem Namen | |
unterzeichnet. | |
„Da haben sogar einige mitgemacht, die das anfangs noch zu radikal fanden, | |
aber irgendwann das Gefühl hatten, dass wir jetzt zusammenstehen müssen“, | |
sagt Moreno. „Wir sehen die Erklärung als einen Akt zivilen Ungehorsams. | |
Nicht nur heimlich mitzumachen, sondern gemeinsam öffentlich für eine Sache | |
einzustehen.“ | |
Grund für Heimlichkeit gibt es auch nicht, schließlich ist es nicht | |
illegal, Menschen privat einen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen. Zumal | |
das Barnimer Bürger*innenasyl vornehmlich Personen mit Duldungsstatus, | |
denen eine Dublin-Abschiebung droht, Schutz gewährt. Das betrifft | |
Geflüchtete, die vor ihrer Ankunft in Deutschland bereits in einem anderen | |
EU-Staat registriert wurden und in diesem auch Asyl beantragen müssen. | |
Dass im öffentlichen Bewusstsein die Darstellung von abschiebebedrohten | |
Personen als Straftäter*innen und Kriminelle verfängt, gehört für die | |
Barnimer Gruppe zum Alltagsgeschäft: „Das hören wir immer wieder, dabei | |
betreffen die meisten Abschiebungen Menschen allein aufgrund ihres Status | |
und ihres Herkunftspasses“, sagt Seeger. | |
## Geschürte Ressentiments | |
Die Schuld an der verkürzten Darstellung von Abschiebungen sehen die | |
Aktivist*innen bei der Politik und zum Teil auch bei der medialen | |
Berichterstattung. Statt über die Verbesserung von Ankunftsinfrastrukturen | |
zu sprechen und die Inklusion von Geflüchteten zu stärken, würden | |
Ressentiments geschürt, kritisieren sie. „Diese Diskursverschiebung ist | |
schwer auszuhalten“, findet Seeger. | |
Das Spiel mit der Angst beherrscht besonders die AfD. Wenngleich sich das | |
Erstarken der Rechten nicht unmittelbar auf die Arbeit der Barnimer | |
Aktivist*innen auswirkt, bekommen auch sie Einschüchterungsversuche zu | |
spüren: „Die hatten uns schon auf dem Kieker, bevor sie so stark wurden und | |
haben sich schlau gemacht, ob sie uns rechtlich belangen können“, erinnert | |
sich Seeger. | |
Ohne Erfolg. Und mit der öffentlichen Solidaritätserklärung 2019 sei man | |
dann sichtbarer geworden in Barnim „Wenn wir zum Beispiel eine | |
[3][Kundgebung] mit 80 Leuten machen, kommt das auch mal in die | |
Lokalzeitung und wird von den Institutionen wahrgenommen“, sagt Moreno. | |
Mit zunehmender Sichtbarkeit steigt allerdings auch die Gefahr für Angriffe | |
und Anfeindungen. Bislang sei zwar noch nichts passiert, sagen die beiden – | |
noch nicht. Würde die Barnimer Gruppe heute wieder einen öffentlichen | |
Aufruf starten, wie noch vor sechs Jahren? „Wir würden es wieder machen. | |
Aber vielleicht würden aus Angst vor Repressionen und Anfeindungen weniger | |
Leute ihren Namen darunter setzen“, sagt Seeger. | |
Wie man in diesen durchaus entmutigenden Zeiten mutig bleibt? Darüber | |
müssen Moreno und Seeger nicht lange nachdenken: durch die Erfahrung von | |
Wirksamkeit durch konkrete Handlungen und die Verbindung mit Menschen, die | |
über das langjährige Engagement entstanden sind, sind sie sich einig. Und | |
dann ist da noch die Überzeugung, dass es vor allem im ländlichen Raum | |
solidarische Strukturen braucht – schließlich seien große | |
Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete vorwiegend in der Peripherie | |
anzutreffen. | |
Dem Rechtsruck tatenlos zusehen, ist für Moreno und Seeger keine Option. | |
Gerade jetzt brauche es solidarische gesellschaftliche Gegenentwürfe. Die | |
Arbeit im Bürger*innenasyl Barnim sei dafür ein wichtiger Baustein. | |
„Wir machen genau so weiter.“ | |
*Name geändert | |
16 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Nina Schieben | |
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