Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Protest gegen Flüchtlingspolitik: Abschieben um jeden Preis
> Ausländerbehörden in Brandenburg fallen immer wieder durch schäbiges
> Verhalten auf. Die Initiative Barnim Solidarisch rief zur Demo nach
> Eberswalde.
Bild: Demo in Eberswalde vor der Ausländerbehörde
Berlin taz | Immer wieder gibt es Fälle, in denen der „Abschiebewille“ bei
Behörden so groß ist, dass sie sich in ihrem Handeln weder an
Verhältnismäßigkeit noch Rechtsstaatlichkeit gebunden zu fühlen scheinen.
So geschehen etwa vorigen Freitag in Eberswalde. Die Ausländerbehörde des
Landkreises Barnim hatte den 26-jährigen Latif U. zur Vorsprache gebeten,
seine Duldung war abgelaufen.
Vorsorglich hatte U.s Rechtsanwalt Andreas Eibelshäuser die Behörde um
schriftliche Zusicherung gebeten, dass bei dem Termin keine
„aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“ getroffen werden – und diese auch
bekommen. Der taz liegt das Schreiben vor, das bestätigt, dass die
Ausländerbehörde des Landkreises keine solchen Maßnahmen beim Termin
vornehmen werde. U. kam – und wurde festgenommen.
Noch Tage später ist Eibelshäuser im Gespräch mit der taz hörbar
schockiert. Es sei die „Essenz des Rechtsstaates“, dass sich eine Behörde
an das hält, was sie verspricht. „Es ist kein Wunder, dass viele
Flüchtlinge Angst haben, zur Ausländerbehörde zu gehen. So verspielt man
jedes Vertrauen in den Rechtsstaat“, so der Anwalt. Zwar sei bekannt, dass
Ausländerbehörden Flüchtlinge beim Termin in der Behörde verhaften, weil
sie abschieben wollen – „aber dass sie dies tun, obwohl sie vorher das
Gegenteil zusichern, ist ein starkes Stück“. So etwas habe er noch nie
erlebt, „nicht mal in Bayern“.
Auch der Haftrichter, dem U. noch am selben Tag vorgeführt worden sei, habe
das Vorgehen der Ausländerbehörde „rechtsstaatlich bedenklich“ genannt,
berichtet Eibelshäuser. Der Richter habe U. unter Auflagen auf freien Fuß
gesetzt, weil in seinen Augen keine Fluchtgefahr bestehe. U. sei ja zum
Termin erschienen und habe „aufenthaltsrechtlich gute Chancen“.
## Behörde: „getrennte Zuständigkeiten“
Konfrontiert mit der Beschwerde beruft sich die Ausländerbehörde gegenüber
der taz auf „getrennte Zuständigkeiten“. „Die Ausländerbehörde des
Landkreises Barnim führt keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch“, so
ein Sprecher – dafür sei die Zentrale Ausländerbehörde Brandenburg (ZABH)
zuständig. Dass sie gar nicht zuständig sei, hätte sie in ihrer Zusicherung
erklären müssen, findet Eibelshäuser. Zudem habe wiederum die ZABH ihm
zuvor erklärt, dass sie in diesem Fall nicht zuständig sei – sondern die
Ausländerbehörde Barnim. Auch dieses Schreiben liegt der taz vor.
U. selbst ist nach dem ersten Schock wieder zuversichtlich. „Vor dem Termin
hatte ich große Angst vor der Abschiebung, aber jetzt habe ich Hoffnung“,
sagt er der taz. Vor acht Jahren kam der 26-Jährige aus Pakistan, dort
gehört er der afghanischen Minderheit an, die von den Behörden verfolgt
wird – sein Asylantrag wurde trotzdem abgelehnt.
Am Dienstag hat nun das Landratsamt auch seinen Antrag auf Bleiberecht
abgelehnt – obwohl Eibelshäuser sich gute Chancen für seinen Mandanten
ausgerechnet hatte. Schließlich spricht U. gut Deutsch und hat seit über
zwei Jahren in Berlin Arbeit in einem Restaurant. Mit der Ablehnung habe
die Behörde ihm nun das Arbeiten verboten, berichtet der Anwalt. „Damit
nehmen Sie ihm aktiv seine Chancen auf Integration.“
## Initiative protestiert vor Behörde
Offensichtlich wolle die Behörde U.s Aussichten, etwa auf eine
Beschäftigungsduldung, verschlechtern. Er werde sofort Klage dagegen
einreichen, sagt Eibelshäuser. Auch einstweiligen Rechtsschutz im
Eilverfahren habe er beantragt, damit U. nicht währenddessen abgeschoben
werden kann.
Für die Initiative Barnim Solidarisch ist der Fall von U. ein Beispiel
dafür, wie gnadenlos Behörden bisweilen agieren, um Abschiebungen
durchzusetzen. Die Initiative berichtet auch vom brutalen Vorgehen der ZABH
gegen einen Mann, der im September als Unbeteiligter bei einer versuchten
Abschiebung aus dem fünften Stock eines Hauses gestürzt war und sich schwer
verletzt hatte. „Nach vielen Wochen Krankenhaus war er wieder in einer
eigenen Wohnung, mit schweren körperlichen Einschränkungen und völliger
Abhängigkeit von Hilfe“, heißt es in einer Erklärung von Barnim
Solidarisch.
Am 4. März seien Zivilpolizisten auf der Suche nach jemand anderem in seine
Wohnung gestürmt, hätten „dem schwer verletzten Mann die Arme verdreht“ u…
„ihn mit Gewalt auf den Boden“ gedrückt. Er habe danach Stunden in der
Rettungsstelle verbringen müssen und sei nun retraumatisiert.
Die Fälle zeigten, dass sowohl der ZABH als auch der Ausländerbehörde
Barnim bisweilen „anscheinend jedes Mittel recht“ sei, „um Menschen in
unzumutbare Bedingungen abzuschieben“, so Stephan Müller von Barnim
Solidarisch. „Während die AfD von Remigration fantasiert und Menschen
dagegen zu tausenden auf die Straßen gehen, setzen sich angeblich
demokratische Behörden mit aller Gewalt über Menschenrechte hinweg.“
Die Initiative hatte am Dienstagnachmittag zu einer Demonstration zur
Ausländerbehörde in Eberswalde gerufen. Dazu kamen nach ihren Angaben etwa
100 Menschen. Wegen des GDL-Streiks konnte die taz nicht von vor Ort
berichten.
13 Mar 2024
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Flüchtlingspolitik
Schwerpunkt Flucht
Bleiberecht
Brandenburg
Asyl
Abschiebung
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Flucht
Abschiebung
Cottbus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bürger*innenasyl in Brandenburg: Weitermachen, trotz alledem
Im brandenburgischen Barnim setzen sich Aktivisten für den Schutz von
abschiebebedrohten Personen ein. Über Aktivismus in Zeiten des Rechtsrucks.
Abschiebe-Offensive in Brandenburg: Mehr Geflüchtete inhaftiert
Die Zahl der Schutzsuchenden in Ausreisegewahrsam am Flughafen BER hat sich
verdoppelt. Der Zugang zu Rechtsberatung und -vertretung ist eingeschränkt.
Konferenz der Integrationsminister*innen: Positiver Dreh für Migration
Die Integrationsminister*innen betonen die Chancen von
Zuwanderung. Dem Leitantrag will sich nur Bayern nicht anschließen.
Protest gegen Ausländerbehörde: „Bekannt für Willkür“
Das Bürger*innenasyl Barnim ruft zur Demonstration gegen die
Ausländerbehörde in Eberswalde. Diese sei als besonders schikanös bekannt.
Protestcamp gegen Abschiebungen: Trommeln gegen Terminal 5
Das Camp gegen Abschiebungen am BER ist ein voller Erfolg. Zum Abschluss
fordern 700 Menschen auf einer Demonstration ein Ende aller
Grenzkontrollen.
Illegale Abschiebung aus Cottbus: Eltern ohne Kinder abgeschoben
Anwältin und Flüchtlingsrat werfen der Ausländerbehörde Cottbus Rechtsbruch
vor. Trennung von Eltern und Kindern bei Abschiebungen sei unzulässig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.