| # taz.de -- Integrative Bäckerei in Brandenburg: Wir backen das | |
| > In Eberswalde ist die AfD stärkste Kraft, das politische Klima ist für | |
| > Geflüchtete wenig einladend. Bäcker Björn Wiese will sich damit nicht | |
| > abfinden. | |
| Bild: Sumeia (Mitte) arbeitet seit 2024 als Verkäuferin in der Bäckerei | |
| Eine Bäckerei ist ein guter Ort, um zu arbeiten, wenn man die Sprache noch | |
| nicht beherrscht. „Man braucht gute Augen“, sagt Björn Wiese, „die sehen | |
| können, wie man Brot backt. Die Sprache kommt dann später.“ Irgendwann | |
| müsse man die Fachbegriffe lernen. Zum Beispiel, dass das Brotformen | |
| „wirken“ heißt. „Oder dass wir dieses Plastik, mit dem man den Teig | |
| abstecht, einen Teigschaber nennen“, erklärt Wiese. | |
| Björn Wiese, 52, eröffnete seine Bäckerei in Eberswalde in Brandenburg im | |
| Jahr 1998. Seit 2016 arbeiten dort auch viele Menschen mit | |
| Fluchtgeschichte. Bäcker Wiese ist zudem eines von 4.000 Mitgliedern des | |
| [1][Netzwerks „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“]. Dieses Netzwerk ist | |
| die größte Organisation in Deutschland, die sich für die Beschäftigung und | |
| Ausbildung von Geflüchteten engagiert. | |
| Im vergangenen Jahr, so die Projektleiterin Sarah Strobel, traten 500 neue | |
| Unternehmen dem Netzwerk bei. „Wir stellen immer wieder fest, dass gerade | |
| dann, wenn das politische und gesellschaftliche Klima schwieriger wird, | |
| viele neue Mitglieder zu uns stoßen“, sagt Strobel. „Viele Unternehmen | |
| nutzen ihre Mitgliedschaft im Netzwerk, um ein Zeichen zu setzen und zu | |
| zeigen, dass sie offen für die Beschäftigung und Ausbildung von | |
| Flüchtlingen sind.“ | |
| In Eberswalde ist eine solche Offenheit gegenüber Geflüchteten nicht | |
| selbstverständlich. Bei den letzten Bundestagswahlen erzielte die AfD hier | |
| mit über 31 Prozent die meisten Stimmen. Die Stadt mit ihren 43.000 | |
| Einwohnern (Stand 2023) hat zudem „nicht gerade eine glorreiche | |
| Vergangenheit“, wie Wiese sagt. Anfang der 1990er Jahre war Eberswalde | |
| stark vom Rechtsextremismus geprägt – den sogenannten | |
| „Baseballschlägerjahren“. Eines der ersten Opfer rassistischer Gewalt nach | |
| der Wende war [2][der 28-jährige Amadeu Antonio aus Angola], der 1990 nach | |
| einem brutalen Angriff von Neonazis in Eberswalde starb. | |
| Als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, seien Menschen aus | |
| Eberswalde auf die Straße gegangen, um zu protestieren, erinnert sich | |
| Wiese. „Wir wollen diese Busse mit Geflüchteten hier nicht haben“, hätten | |
| sie gerufen. „Ich weiß, sie hatten Angst vor Fremden und dachten, jemand | |
| würde ihnen etwas wegnehmen“, sagt Wiese. „Aber ich fand das wirklich nicht | |
| in Ordnung. Das hat mich, auch wegen der Vergangenheit, schon berührt.“ | |
| Er und ein Freund überlegten damals: Was könnten wir dagegen tun? „Ich | |
| hatte keine Lust, dass in Eberswalde wieder so etwas passiert“, sagt Wiese. | |
| Also schmiedeten die beiden einen Plan. Sie luden Menschen mit | |
| Fluchtgeschichte ein, in ihrer mobilen Bäckerei mitten in der Stadt Brot zu | |
| backen. Später stellte Björn Wiese auch Geflüchtete in seiner Bäckerei ein | |
| oder bot ihnen Ausbildungsplätze an. Im Laufe der Jahre haben etwa 25 | |
| Personen mit Fluchtgeschichte bei ihm gearbeitet, einige davon haben eine | |
| Ausbildung in der Bäckerei absolviert. Alle haben einen von der Bäckerei | |
| finanzierten Deutschkurs besucht. | |
| Seitdem habe sich das [3][politische Klima noch einmal deutlich verändert], | |
| erzählt Wiese. „Jetzt, [4][wo die AfD so groß geworden ist]“, sei es | |
| manchmal schwierig, Menschen mit Flüchtlings- oder Migrationshintergrund | |
| langfristig in der Stadt zu halten. | |
| Trotz des Personalmangels, der in ganz Deutschland spürbar ist, kann Wiese | |
| prinzipiell genügend Arbeitskräfte finden, um seine Bäckerei am Laufen zu | |
| halten. Doch die Personalfluktuation, vor allem bei Menschen mit | |
| Migrationshintergrund, sei hoch. Viele zögen zum Beispiel nach | |
| Nordrhein-Westfalen. Dort sei das Leben für sie etwas entspannter, meinten | |
| sie. „Ein ehemaliger Mitarbeiter mit Migrationshintergrund erzählte mir, | |
| dass er neulich Geld abheben wollte und von einem Passanten gefragt wurde, | |
| ob er sein,Bürgergeld' abholen wolle“, erzählt Wiese. | |
| ## Die Verkäuferin | |
| Auch die 31-jährige Sumeia aus Libyen merkt, dass einige Leute in | |
| Deutschland sie hier nicht haben wollen. Sie arbeitet seit letztem Sommer | |
| als Verkäuferin bei der Bäckerei Wiese und lebt seit fast drei Jahren in | |
| Deutschland. Sie möchte nicht, dass ihr Nachname in diesem Artikel genannt | |
| wird. Zwei Jahre lang lebte sie in einer Flüchtlingsunterkunft in | |
| Neuruppin. Einige Menschen, denen sie dort begegnete, seien rassistisch | |
| gewesen, erzählt sie. Als sie dort zum Arbeitsamt ging, sei ihr gesagt | |
| worden, dass es keine Arbeit für sie gebe. „,Wir wollen nur Ukrainer', | |
| sagten sie.“ | |
| Durch einen Freund fand Sumeia schließlich einen Job in der Bäckerei Wiese | |
| und eine Wohnung in Eberswalde. Damit hatte sie Glück. Die fehlende | |
| Möglichkeit, eine Wohnung zu finden, ist einer der Hauptgründe, warum | |
| Geflüchtete keine Anstellung bei einem Arbeitgeber finden, wie eine | |
| jährliche Umfrage des Netzwerks „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ | |
| zeigt. | |
| In den ersten Monaten sei sie nervös gewesen, wenn sie zur Arbeit ging, | |
| erzählt Sumeia. In der Bäckerei gingen ihr viele Gedanken gleichzeitig | |
| durch den Kopf. „Wie formuliere ich diesen Satz noch einmal gegenüber einem | |
| Kunden? Ich war aufgeregt, alleine hinter dem Tresen zu stehen. Ein Kollege | |
| ermutigte mich, es trotzdem zu tun. Jetzt stehe ich immer öfter alleine | |
| dort.“ | |
| Am Arbeitsplatz laufe es gut zwischen deutschen und internationalen | |
| Mitarbeitern, sagt Wiese. Natürlich gebe es in jedem Team von Zeit zu Zeit | |
| Spannungen, aber nicht unbedingt aufgrund kultureller oder religiöser | |
| Unterschiede. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Syrer und Afghanen sehr | |
| fleißig sind, aber sich erst daran gewöhnen müssen, dass die Deutschen mehr | |
| Wert auf eine Work-Life-Balance legen.“ Dann müsse man laut Wiese einfach | |
| erklären, was hier in Deutschland üblich sei. | |
| „Vor einiger Zeit hatten wir viele syrische Mitarbeiter, die untereinander | |
| manchmal Arabisch sprachen“, sagt Wiese. „Das ist an sich kein Problem, | |
| aber es kann dazu führen, dass sich andere Mitarbeiter ausgeschlossen | |
| fühlen. Deshalb habe ich sie darum gebeten, ein wenig darauf zu achten.“ | |
| ## Der Koch | |
| Ali Alarib ist seit 2021 Küchenchef im Café der Bäckerei Wiese. Er floh vor | |
| etwa 10 Jahren als 17-Jähriger aus Syrien nach Deutschland. Alarib findet | |
| es schwierig, als syrischer Mann in Deutschland zu leben. Es falle ihm | |
| schwer, Freunde unter den Deutschen zu finden. „Sie sind so verschlossen“, | |
| sagt er. Bis jetzt habe er keine Freunde in seinem Alter. „Ich kenne nur | |
| die älteren Leute, die mir zum Beispiel früher geholfen haben.“ Bei der | |
| Arbeit knüpfte er jedoch glücklicherweise soziale Kontakte, und seine | |
| Kollegen und er gingen regelmäßig gemeinsam essen. | |
| Es war nicht sein Traum, Koch zu werden, sagt Alarib. Als Kind wollte er | |
| eigentlich im medizinischen Bereich arbeiten. Aber in Deutschland sei ihm | |
| sehr schnell klar geworden, wie schwierig der Zugang zu den Studiengängen | |
| oder Ausbildungsplätzen ist, die ihn interessierten. „Ich habe mich überall | |
| beworben – als Elektriker, als Klimaanlagenreparateur. Aber niemand hat | |
| mich eingestellt“, erzählt Alarib. Schließlich bekam er im Jugendzentrum | |
| für Flüchtlinge das Angebot, eine Ausbildung zum Koch zu machen. „‚Wir | |
| geben dir die Chance‘, sagten sie.“ Und er nutzte diese Chance. | |
| Das Wahlergebnis hat Alarib nicht überrascht. „Wir Flüchtlinge in | |
| Brandenburg sind es gewohnt, dass man uns nicht mag. Die Menschen sind | |
| einfach nicht freundlich zu uns.“ Er erinnert sich an eine Situation, als | |
| er mit einem Freund afrikanischer Herkunft an einer Bushaltestelle wartete | |
| und ein Auto vor ihnen anhielt. Der Fahrer, ein weißer Deutscher, habe | |
| ihnen den Mittelfinger gezeigt und sei dann davongefahren. „Daran bin ich | |
| inzwischen gewöhnt“, sagt Alarib.„Ich habe viel für die Deutschen getan. | |
| Ich arbeite freiwillig als Helfer in der Ambulanz und bringe kleinen | |
| Kindern das Schwimmen bei. Aber weil es so offensichtlich ist, dass einige | |
| Leute mich hier nicht haben wollen, habe ich das Gefühl, dass ich dafür | |
| nichts zurückbekomme.“ | |
| Auch Verkäuferin Sumeia hat ähnliche Situationen erlebt. Vor einigen Wochen | |
| habe sie in der Nähe des Bahnhofs in Eberswalde ein Mann verfolgt, der | |
| betrunken war. „,Du musst Deutschland verlassen!', schrie er mich an. Ich | |
| hatte Herzklopfen vor Angst und bin schnell in einen Supermarkt geflüchtet, | |
| um mich sicherer zu fühlen.“ Danach erzählte sie einem Freund, was passiert | |
| war. Es sei besser, nachts nicht allein auf die Straße zu gehen, habe der | |
| zu ihr gesagt. „Es war erst sechs Uhr“, sagt Sumeia. „Aber vielleicht hat | |
| er ja recht.“ Heute geht sie nachts nicht mehr allein auf die Straße und | |
| meidet den Bahnhof. | |
| Trotzdem möchte sich Sumeia eine Zukunft in Deutschland aufbauen. In Libyen | |
| hatte sie Business Management und Design studiert. Ihr Traum ist es, | |
| irgendwann als Innenarchitektin zu arbeiten. | |
| 13 May 2025 | |
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