# taz.de -- Integration von Geflüchteten: „Habt ihr noch wen?“ | |
> Mehr als 2.400 Unternehmen haben sich zusammengetan, um Flüchtlinge zu | |
> integrieren – und um Arbeitskräfte zu finden. Das ist gar nicht so | |
> einfach. | |
Bild: Angekommen: Almomenbellah Hasan Alahmad im Schlosshotel Fleesensee in Gö… | |
FLEESENSEE taz | Es klackert leise, als Ibrahim Abbara das Metallkännchen | |
mit der aufgeschäumten Milch auf den dunklen Marmortresen klopft. Dann ein | |
Rauschen, als der junge Syrer das Gefäß kreisförmig über die Oberfläche | |
bewegt. Noch ein paar Handgriffe, dann reicht er der strahlenden Sofie | |
Geisel einen Latte macchiato. „Danke“, sagt Geisel, Mitglied der | |
Hauptgeschäftsführung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags | |
(DIHK). | |
2016 kam der heute 20 Jahre alte Abbara mit seinem Bruder nach Deutschland. | |
Seit April 2018 arbeitet er im Service des Schlosshotels Fleesensee, eines | |
Resorts mit Spa und Golfplatz in der Region der Mecklenburgischen | |
Seenplatte. Er möge den Job, sagt er. „Man hat hier viel mit Menschen zu | |
tun, und jeden Tag lernt man noch neue deutsche Wörter.“ Abbara ist einer | |
von acht Geflüchteten, die fester Bestandteil des Teams sind, sagt | |
Hotel-Personalleiter Christian Schröder. | |
Das Schlosshotel Fleesensee ist Teil des „Netzwerk Unternehmen integrieren | |
Flüchtlinge“, das an diesem Tag ins Hotel geladen hat. Dort haben sich mehr | |
als 2.400 Unternehmen ganz unterschiedlicher Branchen und Größe | |
zusammengeschlossen. Sie alle wollen etwas dazu beitragen, | |
[1][Geflüchteten] den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern – und | |
nebenbei selbst [2][dringend gesuchte Arbeitskräfte] finden. | |
Das Netzwerk ist auf Initiative des Deutschen Industrie- und | |
Handelskammertags entstanden und wird vom Bundeswirtschaftsministerium | |
gefördert. Die Mitglieder tauschen sich regelmäßig über die bisherigen | |
Erfahrungen aus und versuchen, Fragen etwa in Bezug auf die rechtlichen | |
Rahmenbedingungen oder zu Fördermöglichkeiten zu klären. „Das ist besonders | |
für kleinere Unternehmen ohne große Personalabteilung eine große Hilfe“, | |
sagt Marlene Thiele, Projektleiterin im Netzwerk. | |
## Hoffen auf das neue Gesetz | |
In Deutschland habe man sich den deutschen Arbeitsmarkt lange vor allem als | |
einen mit deutschen Fachkräften vorgestellt, sagt Sofie Geisel vom | |
Deutschen Industrie- und Handelskammertag. „Und jetzt sprechen wir seit | |
Jahren vom Megatrend des demografischen Wandels, der sich vor allem im | |
ländlichen Raum auswirkt.“ | |
„Fachkräfte?“, fragt Hotelmanager Harald Schmitt. „Ich habe hier sogar | |
einen Arbeitskräftemangel.“ Einige der Geflüchteten machen eine Ausbildung | |
im Hotel. Andere wurden angelernt. Abbara etwa, der hinter der Bar steht, | |
oder Abdo Mohammad Mubarek, der im Restaurant in der ehemaligen Orangerie | |
tätig ist. Er sei eigentlich Schneider, sagt der 28-Jährige. „Aber in | |
Deutschland habe ich keine Chance, als Schneider zu arbeiten.“ | |
Mubarek habe „mit einfachsten Helfertätigkeiten angefangen“, sagt Schröde… | |
„Jetzt managt er seinen eigenen Bereich und spricht sogar Weinempfehlungen | |
aus. Das schafft kein Azubi in drei Jahren Ausbildung.“ | |
Anfangs sei es sehr leicht gewesen, interessierte Geflüchtete zu finden, | |
erzählt Schröder. Doch inzwischen haben laut Institut für Arbeitsmarkt- und | |
Berufsforschung (IAB) fast 50 Prozent derer, die zwischen 2013 und 2018 | |
nach Deutschland kamen, eine Beschäftigung. „Jetzt treten wir proaktiv an | |
die Helfer und Initiativen heran und fragen: Habt ihr noch wen?“, sagt | |
Schröder. Auch deswegen setzt er große Hoffnung in das | |
Fachkräfteeinwanderungsgesetz. | |
## Die „wichtigste Hürde“ bleibt | |
Dieses soll es Fachkräften aus Drittstaaten erleichtern, zum Arbeiten nach | |
Deutschland zu kommen. Bisher war dies in der Regel nur für | |
Akademiker*innen vorgesehen. | |
Während die Bundesregierung das Gesetz als „historisch“ feiert, nennen | |
Kritiker*innen es „mutlos“ und bemängeln weiterhin zu hohe Hürden. Wer als | |
Fachkraft nach Deutschland kommen will, muss ausreichende Deutschkenntnisse | |
nachweisen. Und: Er muss seinen Abschluss als einer deutschen | |
Berufsausbildung „gleichwertig“ anerkennen lassen. | |
Dieser Anerkennungsprozess ist einer der zentralen Fallstricke, den | |
Expert*innen wiederholt kritisiert haben. In Deutschland gebe es die | |
Vorstellung, „dass Migrantinnen und Migranten genauso sein müssten wie | |
deutsche Arbeitnehmer“, hatte etwa der Migrationsexperte Herbert Brücker | |
vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) [3][der taz im | |
Januar gesagt]. | |
Das duale Ausbildungssystem Deutschlands sei aber weltweit ziemlich | |
einmalig. Mit dieser Anforderung bleibe die „wichtigste Hürde“ bestehen. | |
Zudem habe man die Möglichkeit vertan, bessere Integrationschancen für | |
abgelehnte Asylbewerber*innen zu schaffen. | |
Unter den Geflüchteten, die im Schloss Fleesensee arbeiten, sind auch | |
Geduldete. Menschen also, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die derzeit | |
aber aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können. Einmal sei | |
einer seiner Auszubildenden ganz plötzlich abgeschoben worden, sagt | |
Personalleiter Schröder. „Am Donnerstag war er noch auf der Arbeit, am | |
Freitag ist er dann einfach nicht aufgetaucht.“ Erst drei Tage später hätte | |
er von der Abschiebung erfahren. | |
## „Und dann so ein Schlag“ | |
„Wir sind ein großes Unternehmen mit vielen Mitarbeitern. Wenn da mal einer | |
wegbricht, können wir das auffangen“, sagt Schröder. Deswegen hielte ihn | |
die Gefahr einer Abschiebung auch weiter nicht davon ab, Menschen | |
einzustellen. Seine Sorge sei vor allem eine menschliche. „Da hat man | |
jemandem gerade ein Zuhause gegeben und er hat Fuß gefasst“, sagt er. „Und | |
dann so ein Schlag.“ | |
Die SPD hatte gut integrierten Geduldeten über einen sogenannten | |
Spurwechsel den Weg zu einem richtigen Aufenthaltstitel ebnen wollen. Die | |
Union war dagegen. Seit Januar ist nun ein Kompromiss in Kraft: Die | |
sogenannte Beschäftigungsduldung für 30 Monate können Menschen bekommen, | |
wenn ihr Asylverfahren seit mindestens 12 Monaten abgeschlossen ist, sie | |
seit mindestens 18 Monaten sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind | |
und noch eine ganze Reihe weiterer Voraussetzungen erfüllen. | |
Die bereits bestehende Ausbildungsduldung wurde bundesweit vereinheitlicht. | |
Auch hier gilt ab dem Ausbildungsjahr im Herbst eine „Wartezeit“ von drei | |
Monaten ab Ende des Asylverfahrens. | |
Kritiker*innen fürchten, dass die Behörden während dieser Wartezeiten alles | |
daransetzen werden, die Menschen abzuschieben. „Das ist schon eine Gefahr“, | |
sagt Marlene Thiele von Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge. | |
Bedroht seien dann vor allem die, die in Arbeit seien. „Das kann man mit | |
gesundem Menschenverstand wirklich nicht erklären.“ Noch seien ihr aber | |
keine Fälle bekannt. „Und die Bundesländer werden damit wohl | |
unterschiedlich umgehen.“ | |
10 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Flucht/!t5201005/ | |
[2] /Mehr-Fachkraefte-aus-dem-Ausland/!5650840&s=fachkr%C3%A4fte/ | |
[3] /Migrationsexperte-ueber-Einwanderung/!5652161 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Arbeitsmarkt | |
Integration | |
Fachkräftemangel | |
Fachkräftezuwanderungsgesetz | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Flucht | |
Lesestück Interview | |
Araber | |
Zuwanderung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Im Arbeitsmarkt angekommmen: Chemie als Chance | |
Für Sajid aus Bangladesch war das Jahr 2015 eine Chance, in das Berufsleben | |
zu starten. Jetzt denkt er sogar darüber nach, zu studieren. | |
Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt: Waleed macht jetzt Wasser | |
Der Pakistani Waleed Asif arbeitet nun bei den Wasserwerken. Tina | |
Brockstedt von der Arbeitsagentur ist daran nicht unbeteiligt. | |
Einwanderung nach Deutschland: Fachkraft mit Relevanz gesucht | |
Die Migrationsströme nach Deutschland sind fast zum Erliegen gekommen. | |
Braucht es überhaupt noch qualifizierte Arbeiter*innen aus dem Ausland? | |
Migrationsforscher über Systemrelevanz: „Ohne diese Menschen geht es nicht“ | |
Plötzlich sind Branchen wie die Pflege „systemrelevant“. Gerade dort | |
arbeiten viele Migrant*innen unter prekären Bedingungen, sagt Frank Kalter. | |
Abschiebungen nach Afghanistan: Zurück in den Krieg | |
Die Corona-Krise übertönt alles. Fast unbemerkt werden ein Dutzend gut | |
integrierter Afghanen zwangsweise ins Krisengebiet abgeschoben. | |
Berlin hat jetzt ein Einwanderungsamt: „Der Name macht einen Unterschied“ | |
Berlins Ausländerbehörde heißt nun Landesamt für Einwanderung – Engelhard | |
Mazanke ist und bleibt dort Chef. Und erklärt, was künftig anders wird. | |
Diskriminierung: Bitte mehr Araber! | |
Eine E-Mail belegt Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Gut, dass die | |
öffentlich wurde! | |
Anwerbung von Fachkräften: Gekommen, um zu bleiben | |
Mounir Ben Abdallah wurde als Krankenpfleger nach Deutschland geholt. Seine | |
Geschichte zeigt, wie Einwanderung funktionieren kann. |