| # taz.de -- Queere Spaces in Brandenburg: Bunt umzingelt von Braun-Blau | |
| > Der „Queer SafeSpace“ Falkensee ist ein geschützter Raum für queere | |
| > Menschen. Angesichts des Rechtsrucks sind solche Anlaufstellen wichtiger | |
| > denn je. | |
| Bild: Projektinitiator Bjarne Herke mit der queeren Community: ihre Gesichter b… | |
| Berlin taz | Bjarne Herke tastet nochmal seine Taschen ab. Er hat den | |
| Schlüssel vergessen. Herke zückt sein Telefon. „Kannst du den Schlüssel | |
| mitbringen?“, fragt er einen Teilnehmer des „Queer SafeSpace“. Herke ist | |
| Initiator des Projekts in Falkensee, einer Kleinstadt am Rand von Berlin. | |
| 45.000 Menschen leben dort – doppelt so viele wie noch 1990. | |
| Falkensee boomt, wie der ganze Berliner Speckgürtel. Hier reihen sich | |
| Neubaugebiete aneinander, die Plätze in den Schulen und Kitas werden knapp. | |
| Einerseits Kleinstadt in Brandenburg, andererseits alles andere als | |
| Provinz. Und trotzdem, findet Herke, fehlte etwas in der Stadt: Orte, an | |
| denen sich queere Menschen geschützt austauschen können. | |
| Insbesondere für junge Menschen sei bisher nicht ausreichend Angebot in der | |
| Stadt vorhanden, so Herke. Deshalb hat er den Queer SafeSpace ins Leben | |
| gerufen. Hier kann man sich über Probleme und Sorgen austauschen, ohne sich | |
| rechtfertigen zu müssen, auf Unverständnis oder gar Anfeindungen zu stoßen. | |
| Neben dem Queer SafeSpace gibt es in der Stadt noch eine weitere | |
| Anlaufstelle für die queere Community: Das Regenbogencafé am Bahnhof. | |
| Herke trägt Schiebermütze und Dreitagebart. Er ist 49 Jahre alt, | |
| verheiratet, arbeitet hauptberuflich bei einem Radiosender in Berlin. Seit | |
| 25 Jahren engagiert er sich ehrenamtlich für queere Rechte. Im | |
| Brandenburger Landesverband der Grünen ist er Ansprechpartner für | |
| Betroffene sexualisierter Gewalt. Herke versteht sich selbst als queer. Vor | |
| rund neun Jahren hat er eine Transition vollzogen. Trans* Menschen | |
| ergreifen in dieser Zeit Maßnahmen, um sich der eigenen | |
| Geschlechtsidentität anzugleichen. Dazu gehören Hormoneinnahme und | |
| Operationen. | |
| ## Hasskriminalität gegen die LSBTIQ*-Community verzehnfacht | |
| Nach einem kurzen Spaziergang sind fünf Teilnehmende des SafeSpace | |
| eingetroffen, mitsamt Schlüssel. Herke schließt auf. Öffentlich bekannt | |
| soll der Ort ihres Treffens nicht werden. Zu groß ist die Sorge vor | |
| Anfeindungen. Rund 20 Menschen sind derzeit Teil des Queer SafeSpace. Sie | |
| wollen queere Menschen ermutigen, sich zusammenzuschließen, sagen sie. | |
| Zeigen, dass man als queere Person nicht allein ist. | |
| Mit ihren Klarnamen möchten sie nicht in der Zeitung genannt werden. | |
| Manche, weil sie bei ihren Verwandten nicht geoutet sind. Andere, weil sie | |
| nicht in der Stadt wiedererkannt werden möchten. Wieder andere befürchten, | |
| dass plötzlich Leute vor ihrer Tür stehen könnten, die ihnen nicht | |
| wohlgesonnen sind. | |
| Das hat Gründe: [1][Polizeiliche Statistiken verweisen auf eine zunehmende | |
| Bedrohungslage für queere Menschen]. Laut Jahresbericht 2024 des | |
| Bundesinnenministeriums und des Bundeskriminalamts gab es eine | |
| Verzehnfachung der Hasskriminalität gegen die LSBTIQ*-Community seit dem | |
| Jahr 2010. Von insgesamt rund 17.000 erfassten Fällen im Bereich der | |
| Hasskriminalität richteten sich 1.785 gegen LSBTIQ*-Personen. Im | |
| polizeilichen Lagebericht wird zudem von einer hohen Dunkelziffer | |
| ausgegangen. | |
| In Brandenburg ist die Situation ähnlich: Waren es im Jahr 2022 noch 29 | |
| Straftaten gegen LSBTIQ*-Personen, stieg die Zahl auf 61 im Jahr 2023 und | |
| noch einmal auf 84 im vergangenen Jahr. Das geht aus einer Antwort des | |
| Innenministeriums in Potsdam auf eine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten | |
| Andreas Noack hervor. | |
| ## AfD schürt Hass gegen Queer Community | |
| Stundenlang könnte sich Herke über die Situation für die queere Community | |
| im Land in Rage reden. Die Ergebnisse der vergangenen Bundestagswahl | |
| empfindet er als „desaströs“. In Brandenburg gewann die AfD in neun von | |
| zehn Wahlkreisen, mit Ergebnissen zwischen 30 und 42 Prozent. Insgesamt ist | |
| die AfD hier mit rund 22 Prozent die zweitstärkste Kraft nach der Union. | |
| Bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr wurde die rechtsextreme Partei | |
| mit 32,5 Prozent sogar stärkste Kraft. | |
| Die AfD Brandenburg wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremer | |
| Verdachtsfall geführt. Queerfeindliche Parolen gehören beim | |
| AfD-Landesverband zur politischen Praxis. So äußerte sich unter anderem der | |
| AfD-Abgeordnete Hans-Christoph Berndt im vergangenen Landtagswahlkampf | |
| queerfeindlich. Er sprach von einer „kranken Ideologie des Regenbogens“. | |
| Als Ministerpräsident wolle er Regenbogenfahnen verbieten, so Berndt. | |
| Diese menschenverachtende Fantasie stieß in Falkensee auf Zustimmung. Im | |
| Dezember vergangenen Jahres versuchte die dortige AfD-Fraktion, das Hissen | |
| der Regenbogenflagge an öffentlichen Plätzen und Gebäuden zu verbieten. Die | |
| Stadtverordnetenversammlung lehnte den Antrag jedoch geschlossen ab. | |
| Emily ist eine von fünf jungen Queers, die an diesem Abend zum SafeSpace | |
| gekommen sind. Neben ihr sitzen Izzy, Justus, Tobi und Toni. Sie sind | |
| zwischen 17 und 28 Jahre alt, studieren, arbeiten, machen eine Ausbildung | |
| oder ein Freiwilliges Soziales Jahr. „Die Wahlergebnisse sind ein fatales | |
| Zeichen für die queere Community“, sagt Emily. Sie ist 19 Jahre alt und | |
| studiert Politikwissenschaft in Berlin. Zusammen mit Tobi und Toni spielt | |
| sie in einer Band, mit der sie auch auf dem diesjährigen Christoper Street | |
| Day (CSD) in Falkensee auftreten möchten. | |
| ## CSDs in Brandenburg trotz Neonazi-Aufmärsche | |
| Die Sichtbarkeit der queeren Community steige seit ein paar Jahren, sagt | |
| Emily mit Blick auf die zahlreichen CSDs in Brandenburg. Im vergangenen | |
| Jahr wurde in vielen Städten für queere Rechte demonstriert. Darunter | |
| Potsdam, Cottbus, Eberswalde und auch Falkensee. In manchen Städten fand | |
| der CSD im vergangenen Jahr zum ersten Mal statt, in Falkensee gibt es ihn | |
| seit 2019. [2][Vielerorts kam es dabei auch zu Bedrohungen durch | |
| Neonazi-Aufmärsche]. In Zwickau etwa versammelten sich rund 150 | |
| Rechtsextreme der Kleinstpartei Der Dritte Weg. Unter Polizeischutz und | |
| trotz rund 650 extremen Rechten demonstrierten in Bautzen etwa 1.000 | |
| CSD-Teilnehmer:innen für queere Rechte. | |
| In Falkensee sei die queere Community vergleichsweise noch gut aufgestellt, | |
| sagt Emily. Doch in weiten Teilen Brandenburgs sei man inzwischen „umringt | |
| von Blau“. Auch hinter der Stadtgrenze von Falkensee, in den kleinen | |
| Städten und Dörfern im brandenburgischen Umland. „Vielerorts gibt es keine | |
| aktiven queeren Repräsentant:innen.“ Queere Menschen seien dort im Alltag | |
| oft auf sich allein gestellt. | |
| „Für queere Menschen in ländlichen Regionen ist die nächste Anlaufstelle | |
| teilweise bis zu 80 Kilometer weit entfernt“, berichtet Lars Bergmann, | |
| Leiter des Vereins Andersartig in Potsdam. Der Verein ist der Dachverband | |
| der LSBTIQ*-Community in Brandenburg und bietet unter anderem Beratung und | |
| Workshops für Schulen und Unternehmen an. | |
| [3][Anlaufstellen brauche es in jedem Landkreis], sagt Bergmann. „Lokale | |
| Initiativen und Engagierte benötigen mehr langfristige kommunale | |
| Unterstützung aus der Politik.“ Fördergelder und auch die Vergabe von | |
| Räumen, seien wichtig, um queeren Initiativen Teilhabe im ländlichen Raum | |
| zu ermöglichen. | |
| ## Zunahme von Antifeminitsmus und Queerfeindlichkeit | |
| Bergmann beobachtet seit einigen Jahren einen Anstieg an Beratungsbedarf. | |
| „Mit dem Aufstieg der AfD und dem Erstarken rechter Narrative haben Gewalt | |
| und Übergriffe gegen queere Menschen zugenommen“, stellt er fest. Seine | |
| Beratungsstelle registriere einen Anstieg physischer Übergriffe, | |
| queerfeindlicher Sachbeschädigungen und Bedrohungen sowie | |
| Einschüchterungsversuche. | |
| Auch Studien zeigen: Antifeministische und queerfeindliche Einstellungen | |
| haben zugenommen. Die Autor:innen der Leipziger Autoritarismus-Studie | |
| von 2024 stellen fest, dass rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung ein | |
| geschlossen antifeministisches und sexistisches Weltbild vertrete – sich | |
| also gegen feministische Bestrebungen wie die Selbstbestimmung von Frauen, | |
| Gleichberechtigung und die Bekämpfung von Sexismus stellt. Bei der | |
| Transfeindlichkeit sind die Werte mit 37 Prozent sogar noch deutlich höher. | |
| Aufgeben will Herke trotzdem nicht. „Ich kann nicht einfach still dasitzen | |
| und nichts tun“, sagt er. Zusammen mit einem Teilnehmer des Queer SafeSpace | |
| hat er Anfang des Jahres eine Beratungsstelle in Falkensee ins Leben | |
| gerufen. Damit wollen sie den verbreiteten Vorbehalten gegenüber queeren | |
| Menschen entgegenwirken. Ob bei Fragen zum Coming-out oder zum Umgang mit | |
| dem queeren Enkelkind – die Beratungsstelle will sich an alle Menschen | |
| richten. | |
| Juliane Wutta-Lutzmann, Gleichstellungs- und Integrationsbeauftrage der | |
| Stadt Falkensee, begrüßt die Beratungsstelle, die nun auch auf der Webseite | |
| der Stadt beworben werden soll. „Die Stadtverwaltung ist auf die | |
| Unterstützung einer aktiven Zivilgesellschaft angewiesen“, erklärt | |
| Wutta-Lutzmann gegenüber der taz. | |
| Für Emily ist vor allem eines wichtig: „Es wäre gut, wenn sich viel mehr | |
| Menschen mit Queerfeindlichkeit auseinandersetzten.“ Man müsse sich auch an | |
| die eigene Nase fassen und fragen: Welche Vorurteile habe ich denn | |
| eigentlich? | |
| 28 Mar 2025 | |
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| Nicolai Kary | |
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