# taz.de -- Zahl der Kirchenasyle drastisch gesunken: Verschärfung zeigt bitte… | |
> Die Regeln für Kirchenasyl wurden im vergangenen Jahr verschärft. Nun | |
> gewähren immer weniger Gemeinden abgelehnten Asylsuchenden Schutz. | |
Bild: Im Januar verhinderte die evangelische Kirchengemeinde Solingen die Absch… | |
BERLIN taz | Seitdem die Innenminister*innen von Bund und Ländern im | |
vergangenen Jahr die [1][Regeln für das Kirchenasyl verschärft haben], ist | |
die Zahl der Fälle, in denen Gemeinden abgelehnten Asylsuchenden Schutz | |
gewähren, drastisch gesunken. Wie aus einer Antwort des | |
Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag | |
hervorgeht, sank die Zahl der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge | |
(Bamf) zwischen August und Ende 2018 gemeldeten Fälle auf 341. Bis Ende | |
Juli vergangenen Jahres waren es noch 1.180 Fälle. | |
Die Verschärfung des Kirchenasyls hatten die Innenminister*innen bei ihrer | |
Frühjahreskonferenz im Juni 2018 in Quedlingburg beschlossen, nachdem sie | |
den Kirchen zuvor mehrfach vorgeworfen hatten, sich nicht an | |
Verfahrensabsprachen zu halten. So bemängelten sie unter anderem, dass in | |
vielen Fällen keine „Dossiers“ zur Begründung von Härtefällen abgegeben | |
wurden oder das Kirchenasyl auch dann nicht verlassen wurde, wenn das Bamf | |
ein Asylbegehren bei nochmaliger Prüfung abgelehnt hatte. | |
Seit August 2018 können die Behörden nun die Frist für den sogenannten | |
Selbsteintritt, durch den ein Asylverfahren in Deutschland eröffnet wird, | |
von sechs auf 18 Monate erhöhen. Das führt im Ergebnis dazu, dass die | |
Asylsuchenden länger mit einer Ausweisung aus Deutschland rechnen müssen. | |
Bei vielen Fällen von Kirchenasyl handelt es sich um sogenannte | |
Dublin-Fälle, bei denen eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig wäre. | |
Deutschland hat nach geltendem Recht die Möglichkeit, die Geflüchteten | |
innerhalb von sechs Monaten in das entsprechende EU-Land zurückzuschicken, | |
ist aber nach Verstreichen dieser Frist selbst für das Asylverfahren | |
zuständig. Durch das Kirchenasyl wird die Frist oftmals überschritten. Mit | |
der Verlängerung auf anderthalb Jahre soll erschwert werden, dass sich | |
Menschen unter kirchlicher Obhut der EU-Regelung entziehen. | |
## Kritik von Gemeinden und Kirchenverbänden | |
Die Gemeinden und Kirchenverbände verurteilten die Neuregelungen schon nach | |
dem Beschluss der Innenminister*innen. Martin Dutzmann, der Bevollmächtigte | |
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, kritisierte die | |
erschwerten Umstände sowohl für die Gemeinden als auch die Geflüchteten: | |
„Für die Betroffenen heißt das, dass sie anderthalb Jahre extrem in ihrer | |
Bewegungsfreiheit eingeschränkt und auf Unterstützung angewiesen sind. Die | |
Kirchengemeinden wiederum müssen Begleitung und Versorgung der | |
Schutzsuchenden über einen viel längeren Zeitraum hinweg gewährleisten.“ | |
Auch die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) | |
kritisierte die Regelverschärfung damals bereits scharf: „Wir fordern nach | |
wie vor eine Würdigung jedes Einzelfalls und eine Diskussion über Qualität | |
im Flüchtlingsschutz, nicht Quantität von Abwehr“, sagte Pastorin Dietlind | |
Jochims, Vorstandsvorsitzende der BAG. Die Zurückweisungen an der Grenze | |
würden auch diejenigen treffen, die in einzelnen EU-Mitgliedstaaten | |
potenziell von Zwangsprostitution, Misshandlungen, Obdachlosigkeit und | |
Verelendung betroffen seien. Das Kirchenasyl greife in solchen Härtefällen. | |
Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen Luise Amtsberg verweist vor | |
diesem Hintergrund auf die Verschärfungen für Flüchtlinge in Italien: „Den | |
zurückgeschickten Asylsuchenden droht damit de facto die Obdachlosigkeit in | |
Italien – ein unhaltbarer Zustand, auf den die Kirchengemeinden durch die | |
Gewährung von Kirchenasylen zu Recht hinweisen.“ Setze man die gemeldeten | |
Kirchenasyle in Relation zu den Zugangszahlen der Asylsuchenden, „kann man | |
wohl nicht von einem Massenphänomen sprechen.“ | |
Die Zahl aktiver Kirchenasyle beläuft sich aktuell auf 532, davon sind 486 | |
sogenannte Dublin-Fälle. Während das Bundesamt der Statistik zwischen | |
Januar und August 2018 monatlich rund 150 bis 200 Fälle von Kirchenasylen | |
verzeichnete, lagen die Zahlen ab August nur noch im zweistelligen Bereich. | |
Im August waren es 57, im September 76 Fälle. Im Januar dieses Jahres gab | |
es einen Tiefststand mit 47 Fällen. | |
22 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Leonie Schöler | |
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