# taz.de -- EuGH fällt zwei Grundsatzurteile: Abschiebung in „große Armut�… | |
> Schlechte Lebensbedingungen sprechen nur in Ausnahmen gegen Abschiebung, | |
> so das Gericht. Es müsse mindestens „Verelendung“ drohen. | |
Bild: Um eine Abschiebung nach Italien zu verhindern genügt erwartete „groß… | |
Freiburg taz | Deutschland darf Asylantragsteller, für die andere | |
EU-Staaten zuständig sind, dorthin abschieben, auch wenn sie dann in | |
„großer Armut“ leben müssen. Dies entschied jetzt der Europäische | |
Gerichtshof (EuGH) in zwei Grundsatzurteilen. Ausgeschlossen ist eine | |
Rückführung nur, wenn im Zielland „extreme materielle Not“ droht. Ob das | |
für Länder wie Italien oder Bulgarien gilt, müssen nun wieder die deutschen | |
Verwaltungsgerichte prüfen. | |
Der erste Fall betraf einen heute 26-jährigen Gambier, der 2014 zuerst | |
einen Asylantrag in Italien und dann einen zweiten in Baden-Württemberg | |
stellte. Nach den [1][Dublin-Regeln der EU] war Italien für das | |
Asylverfahren zuständig. Der Gambier wollte jedoch seine Überstellung nach | |
Italien verhindern und berief sich auf [2][ein Gutachten der renommierten | |
„Schweizerischen Flüchtlingshilfe“], wonach Asylberechtigten in Italien das | |
Risiko drohe, „am Rande der Gesellschaft obdachlos zu werden und zu | |
verelenden“. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim legte den Fall beim EuGH | |
in Luxemburg vor. | |
In dem zweiten Fall ging es unter anderem um mehrere staatenlose | |
Palästinenser aus Syrien, die 2013 in Bulgarien als | |
[3][Bürgerkriegsflüchtlinge „subsidiären Schutz“] erhalten hatten. Sie | |
wurden in Bulgarien jedoch nicht als politisch Verfolgte nach der Genfer | |
Flüchtlingskonvention anerkannt. Dies nahmen die Palästinenser zum Anlass, | |
nach Deutschland weiterzureisen und dort neue Asylanträge zu stellen. Diese | |
Anträge wurden aber als „unzulässig“ abgelehnt, weil ja schon Bulgarien | |
„internationalen Schutz“ gewährt habe. Auch hier ging es um die Frage, ob | |
die schlechten Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Bulgarien Grund für ein | |
neues Asylverfahren in Deutschland sind. Diese Vorlage stammte vom | |
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. | |
Der EuGH entschied, dass eine Überstellung des Gambiers nur ausgeschlossen | |
ist, wenn diesem in Italien „extreme materielle Not“ drohe. Die Richter | |
sprechen von einem „Zustand der Verelendung“, in dem es Flüchtlingen nicht | |
möglich ist, „sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu | |
finden“. Das EU-Recht schütze vor „unmenschlicher und erniedrigender | |
Behandlung“, so die EuGH-Richter. | |
## Die deutschen Gerichte sind gefragt | |
„Große Armut“ oder eine „starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse… | |
allein genügten jedoch noch nicht, um eine Abschiebung nach Italien zu | |
verhindern. Nicht ausreichend sei auch der Hinweis auf mangelhafte | |
Integrationsprogramme in Italien. | |
Anhand dieses Maßstabs müssen nun die deutschen Verwaltungsgerichte | |
einschätzen, wie die Situation in Italien derzeit zu werten ist. Sie müssen | |
dabei beurteilen, ob entsprechend schwerwiegende „systemische Mängel“ in | |
den Lebensbedingungen der Flüchtlinge bestehen. Der gleiche Maßstab gilt | |
laut EuGH auch für die staatenlosen Palästinenser, die nicht nach Bulgarien | |
zurück wollen. | |
## Weitere Entscheidungen zum Dublin-System | |
Neben dieser Grundsatzfrage entschied der EuGH noch drei weitere praktisch | |
relevante Fragen zum Dublin-System: Erstens muss schon bei der Überstellung | |
in ein Asylverfahren geprüft werden, wie die Lebensbedingungen im Falle | |
einer Anerkennung wären. In vielen Staaten sind nämlich die | |
Lebensbedingungen während des Asylverfahrens besser, weil es | |
EU-Mindeststandards gibt. Dagegen dürfen Flüchtlinge nach der Anerkennung | |
nur nicht schlechter behandelt werden als Einheimische – die aber meist auf | |
familiäre Netze zurückgreifen können. | |
Zweitens gilt ein Ausreisepflichtiger dann als „flüchtig“, wenn er sich bei | |
einer versuchten Abschiebung nicht in seiner Wohnung aufhält, obwohl er | |
dazu verpflichtet und entsprechend informiert war. Folge: Deutschland muss | |
dann erst nach 18 Monaten (statt schon nach sechs Monaten) das | |
Asylverfahren übernehmen. Wer sich der Abschiebung entzieht, soll nicht | |
dafür belohnt werden. | |
Drittens darf sich Bulgarien nicht mehr weigern, eine beantragte | |
Anerkennung als GFK-Flüchtling zu prüfen. Dies gilt auch dann, wenn der | |
Staat dem Ausländer bereits subsidiären Schutz gewährt. | |
19 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Asylsuchende-in-Deutschland/!5566677 | |
[2] https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/news/2016/160815-sfh-bericht-italie… | |
[3] /Familiennachzug-fuer-subsidiaer-Geschuetzte/!5576810 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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