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# taz.de -- Abschiebung nach Italien: Wille zur Härte
> Unterstützer vor Ort und der niedersächsische Innenminister wollen, dass
> Ben Bakayoko in Gifhorn bleiben kann. Das Bundesamt für Flüchtlinge
> bleibt hart.
Bild: Zukunft ungewiss: Ben und seine Freundin Stefanie in ihrer Wohnung
Gifhorn taz | Vom Sofa aus, auf dem Ben Bakayoko sitzt, fällt sein Blick
durch das Fenster auf die Einfahrt. Seit Wochen hat der 22-Jährige mit
seiner Freundin auf diesem Sofa übernachtet; „um sehen zu können, wenn sie
kommen“. Er meint die Polizeibeamten, die ihn nach dem Willen des
Bundesamts für Migration nach Italien abschieben sollen. Ben Bakayoko ist
angespannt. Die Frist des anhängigen Dublin-Verfahrens läuft noch bis zum
23. April: Danach würde sein Fall unter nationales Recht fallen, er könnte
sein Leben in Gifhorn ganz normal weiterführen.
Am vergangenen Montag klingelte es um 3 Uhr Morgens, die Polizei war da.
Sie hätte es geahnt, sagt Stefanie, Bens Freundin: „Ich wusste, dass sie
diese Nacht kommen würden.“ Ben lässt die vier Beamten in die Stube
eintreten. Sie erfahren, dass Stefanie von Ben Bakayoko ein Kind erwartet.
Er leidet außerdem unter den posttraumatischen Belastungsstörungen seiner
Flucht, die ihn aus dem westafrikanischen Land Elfenbeinküste nach
Norddeutschland führte. Ben zeigt ein ärztliches Attest und ein Gutachten
zur Risikoschwangerschaft seiner Freundin. Der Einsatzleiter bricht die
Abschiebung ab: Es scheint, dass er durch die Ausländerbehörde über die
Lebensumstände des Geflüchteten nicht informiert wurde, vielleicht
empfindet er Skrupel.
Seit mehr als zwei Jahren lebt Ben jetzt schon in Gifhorn. Nach einem Jahr
in der Geflüchtetenunterkunft Clausmoorhof hat er nicht nur eine eigene
Wohnung gefunden, sondern auch eine Praktikumsstelle beim Gifhorner
„PC-Teufel“, einer Reparaturwerkstatt für Elektronikgeräte. Vermittelt hat
sie ihm Manfred Torkler, der viele Jahre in der IG Metall aktiv war. Der
Rentner engagierte sich im kirchlich organisierten Café Aller für
Geflüchtete, gründete im September 2018 den Verein „Gifhorn hilft“.
Mit Manfred Torkler trifft sich Ben, wenn er frei hat. Um die Djembé zu
trommeln oder um gemeinsam schwimmen zu gehen. Auch der Werkstattleiter von
PC-Teufel, Erich Gliemroth, ist eine wichtige Bezugsperson für ihn
geworden. Ben nennt ihn noch immer anerkennend „Chef“. Von mittags bis
abends arbeitete er bei PC-Teufel, vormittags besuchte er den
Integrationskurs, um Deutsch zu lernen. Stolz erzählt er, wie er die
Sprachtests mit hohen Punktzahlen meisterte.
## Einfach nur begeistert
„Ich bin von dem Mann einfach nur begeistert“, sagt Erich Gliemroth. Er
sitzt im Geschäft, auf dem Tisch neben ihm liegt ein großer
Flachbildschirm, dessen Rückseite geöffnet ist. Gliemroth ist ein
lebensfroher Mann, der mit seinen Kunden gerne Späße macht und mit ihnen
lacht, auch wenn sie nur gekommen sind, um ihr Hermes-Paket aus dem
Geschäft abzuholen. „Wenn Ben gesagt hat, er ist um 12.30 Uhr da, dann war
er da, immer.“ Ben habe gleich gewusst, wie man die
Infrarotwellenlötstation bedient. Und er habe sofort erkannt, dass der
Defekt eines Computers auf die Grafikkarte zurückzuführen ist.
Im ivorischen Youpogon, einem Stadtteil der Millionenstadt Abidjan, hat Ben
gelernt, Computer zu reparieren – auf eigene Kosten, denn in der Côte
d’Ivoire garantiert der Staat keine Lehrstelle. „Nach meiner Ausbildung
habe ich eine kleine Firma geöffnet“, erzählt Ben. „Die war nicht groß, …
ein Raum. Ich habe Handys und Computer repariert, eigentlich alles, was
kleine Elektronik ist.“
## Von Rebellen missbraucht
Doch die Elfenbeinküste wird auch nach dem Ende des langjährigen
Bürgerkriegs von [1][gewaltsamen Konflikten heimgesucht], unter denen vor
allem die Bevölkerung leidet. 2015 flüchtete Ben vor den Kriegszuständen in
seinem Land, die ihn prompt wieder einholten: Als er Libyen erreicht, wird
er von Rebellen in einem Camp bei Sabrata interniert. „Das war nicht
einfach“, sagt Ben und hält inne. „Das war sehr, sehr schwer.“ Im Camp
wurden Frauen und Männer von den Rebellen missbraucht, mit Waffen bedroht
und zur Arbeit gezwungen. „In Libyen ist es ganz anders als in Gifhorn. Die
verkaufen die Leute und sind aggressiv, egal wer du bist.“
In Gifhorn hat sich Ben ein geregeltes Leben und soziale Kontakte
aufgebaut. Mit Hilfe von Gliemroth hatte Ben bei der Ausländerbehörde erst
erfolgreich eine Arbeitserlaubnis beantragt, dann im Frühjahr 2018 einen
Ausbildungsvertrag als IT-Systemkaufmann. Das ging, weil sein Anwalt 2017
ein Eilverfahren eingeleitet hatte. Durch das Eilverfahren würden die
Dublin-Regeln, die Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse im Aufenthaltsland
verbieten, außer Kraft gesetzt, erklärt Kai Weber vom Flüchtlingsrat
Niedersachsen – sofern die Abschiebung auf unabsehbare Zeit ausgesetzt ist.
Deshalb war es Ben auch erlaubt, an Integrationskursen teilzunehmen und
Deutsch zu lernen, obwohl er bis heute nicht in das deutsche Asylverfahren
übernommen wurde.
Doch am 30. August 2018 bricht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
Braunschweig in sein neues Leben ein: Seine Klage gegen das
Dublin-Verfahren wird abgewiesen. Weil Ben Bakayoko nach seiner Rettung
durch ein Schiff der britischen Royal Navy im italienischen Brindisi an
Land gelassen wurde, fällt die Zuständigkeit für sein Asylverfahren an
Italien.
In Italien sind die Bedingungen [2][schlecht für Flüchtlinge], sie bleiben
weitgehend sich selbst überlassen. „Bis vor eineinhalb Jahren habe ich fast
alle Italienfälle gewonnen“, sagt Bens Anwalt, Safak Esen, der auf
Migrationsrecht spezialisiert ist. Deutsche Gerichte entschieden sich der
humanitären Defizite wegen zumeist, den Klagen der Geflüchteten
stattzugeben. Im Lauf des Jahres 2018 änderte sich allerdings allmählich
die Rechtsprechung, sagt Esen. Nun hatten die Verwaltungsgerichte einen
größeren Ermessensspielraum und gingen immer mehr dazu über, solche Klagen
abzuweisen.
Hilfsorganisationen warnten aber weiterhin vor den schlechten Bedingungen
in Italien, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Selbst Geflüchtete, die dort
Asyl erhalten haben, müssten oft Betteln gehen.
## Masterplan für Migration
2018 war das Jahr, in dem Innenminister Horst Seehofer seinem
[3][„Masterplan für Migration“] präsentierte, der eine verschärfte
Abschiebepolitik vorsieht. Die Auswirkungen waren auch in Gifhorn spürbar:
Anfang August, im Monat nach der Bekanntgabe des Masterplans, änderte die
örtliche Ausländerbehörde plötzlich ihre Meinung und zog Bens
Arbeitserlaubnis zurück, die noch bis Ende des Monats gültig gewesen wäre.
Ben suchte daraufhin die Ausländerbehörde auf: „Ich habe denen meine Frage
gestellt: Ich hatte eine Arbeitserlaubnis im Dublin-Verfahren, warum habe
ich jetzt keine Erlaubnis mehr?“ Die Ausländerbehörde in Gifhorn sagte Ben,
sie sei einem Irrtum aufgesessen. Er habe weder arbeiten noch einen
Integrationskurs besuchen dürfen. Von einer „Fehlerkorrektur“ sei die Rede
gewesen, erzählt er.
Seit diesen Tagen im August ist er zum Nichtstun verdammt. Das Leben des
jungen Paares hat sich seitdem verändert. Stefanie zog in Bens Wohnung ein,
gab ihre Arbeit als Friseurin in Stadthagen auf und suchte sich in
Wolfsburg eine neue Anstellung. Den alten Friseursalon fand sie schöner,
aber sie möchte für Ben da sein. Die beiden haben sich in Hannover
kennengelernt, sich immer wieder besucht und später verlobt.
Was beide nicht verstehen können, ist die Begründung der Ausländerbehörde.
Wie kann es sein, dass Ben einer Arbeit nachgehen durfte, an den alles
entscheidenden Sprachkursen teilnehmen konnte – und dann wird ihm gesagt,
das alles sei nicht erlaubt gewesen?
Dieser Widerspruch verletzt Bens Gerechtigkeitsempfinden. Im Gespräch mit
einem Sachbearbeiter der Ausländerbehörde weigerte er sich, seiner
Abschiebung schriftlich zuzustimmen: „Ich gehe nicht nach Italien“, sagte
er ihm. Ben forderte, dass die Risikoschwangerschaft seiner Freundin als
Grund beachtet wird, von der Abschiebung abzusehen, doch die
Ausländerbehörde ging darauf nicht ein.
Kai Weber vom [4][niedersächsischen Flüchtlingsrat] meint, dass die
Gifhorner Ausländerbehörde das Ausbildungsverhältnis, für das sie bereits
eine mündliche Zusage gegeben hatte, auch im August noch hätte genehmigen
können, als der Gerichtstermin vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig
nahte. Die vollständigen Unterlagen hatte Erich Gliemroth der Behörde
bereits im Juni zur Verfügung gestellt. Auch sei es unterlassen worden, die
ärztlich attestierte Risikoschwangerschaft von Stefanie Fiedler
amtsärztlich zu überprüfen. Hätte sich der Befund bestätigt, wäre dies ein
Schutzgrund, der genau wie auch ein laufendes Ausbildungsverhältnis die
Duldung verlängert hätte.
## Handlungsspielräume nicht genutzt
Auch eine nachgeordnete Behörde hat Handlungsspielräume, die im Einzelfall
den entscheidenden Unterschied bedeuten können, meint Weber. Die
Integrationsleistung von Ben so mit Füßen zu treten, hält er für zynisch:
„Das trägt den Charakter einer zweiten Vertreibung.“ In dem Verfahren
scheine der unbedingte Wille des Bundesamts für Migration und Flüchtlingen
durch, jede Abschiebung durchzuführen, für die eine rechtliche Möglichkeit
besteht.
Dafür spricht, dass das Nürnberger Bundesamt im März 2019 gegenüber der
Gifhorner Ausländerbehörde wiederholte, dass weder die außerehelichen
Beziehung mit Stefanie Fiedler noch seine absehbare Vaterschaft zum
jetzigen Zeitpunkt eine Schutzwirkung für Ben entfalten würden. Ein
Familiennachzug aus Italien sei zudem zumutbar. Handelt das Bundesamt also,
wie Kai Weber vermutet: „In der Hoffnung, wenn man das Paar zwangsweise
auseinanderreißt, würde aus der Sache nichts werden“?
Zwischenzeitlich hat Ben Bakayoko als seinen mächtigsten Fürsprecher den
niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) für sich gewonnen.
Ben war zusammen mit Manfred Torkler am 26. November letzten Jahres zu
einem Ortstermin des SPD-Politikers in Isenbüttel gegangen, um seinen Fall
zu schildern. Daraufhin wandte sich Pistorius ans Bundesamt. Es könnte den
Selbsteintritt erklären und die Zuständigkeit für das Asylverfahren des
ivorischen Flüchtlings übernehmen.
## Vergebliche Bemühungen
Doch bisher sind auch die Bemühungen des Innenministers vergeblich
geblieben. Auf die negative Antwort aus dem fernen Nürnberg beruft sich
seitdem die Ausländerbehörde in Gifhorn, deren Abteilungsleiter in einer
E-Mail an Manfred Torkler schreib, seine Aufgabe bestände in der „Umsetzung
der Entscheidungen des Bamf“.
An die Spitze des Bundesamts hatte Horst Seehofer im Juni 2018 den
CSU-Politiker Hans-Eckhard Sommer bestellt, der hinter Seehofers
politischem Projekt seiner sogenannten „Asylwende“ steht. Bei einem
möglichen erneuten Abschiebeversuch kommt es nun vielleicht darauf an, ob
die Polizeibeamten von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch machen. Denn über
diesen verfügen nicht nur die Ausländerbehörde und das Bundesamt, sondern
auch die ausführenden Beamten, wie sie am Morgen des 8. April bewiesen
haben.
Bens Nachbarin Gitta hatte die Polizei gar nicht bemerkt. „Die kommen immer
ganz leise“, weiß die 77-Jährige. Sie hat schon einmal eine Abschiebung am
helllichten Tag erlebt, bei Ben Bakayoko wünscht sie sich, dass sie nicht
noch einmal Zeugin dieses Vorgangs werden muss. Gitta findet, dass Ben ein
sehr ordentlicher junger Mann ist. Ihr Sohn Thorsten, der wegen seiner
Behinderung oft in seinem Rollstuhl auf der Veranda sitzt, könne gute
Menschen erspüren. „Ben kommt manchmal zu ihm und hält seine Hand. Seitdem
freut sich Thorsten immer, wenn Ben die Straße heraufgelaufen kommt“,
erzählt Gitta.
Eigentlich ist es ein sehr gewöhnliches Leben, das Ben Bakayoko in Gifhorn
führt. Er könnte seine Ausbildung beginnen, mit seiner Freundin das
gemeinsame Kind groß ziehen. Um die Papiere für eine Heirat
zusammenzubekommen, bräuchten sie fünf bis sieben Monate Zeit. Eine Zeit,
die für das Paar derzeit viel zu schnell verstreicht.
Mehr zu Abschiebungen von Schwarzen nach Italien lesen sie in der taz am
Wochenende oder [5][hier]
12 Apr 2019
## LINKS
[1] /Krise-in-der-Elfenbeinkueste/!5124112
[2] http://www.tagesschau.de/multimedia/video/ts24/schwerpunkt/video-526803.html
[3] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/topthemen/DE/topthema-masterplan-migrati…
[4] https://www.nds-fluerat.org/
[5] /!114771/
## AUTOREN
Marinus Reuter
## TAGS
Abschiebung
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Dublin-System
Dublin-II-Verordnung
Schwerpunkt Flucht
Abschiebung
Matteo Salvini
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