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# taz.de -- Erkrankte Asylbewerberin gefesselt: „Mittelalterliche Verhältnis…
> Eine erkrankte Afghanin, die ärztlich behandelt werden musste, wurde zu
> Unrecht in Abschiebehaft behalten und in der Klinik ans Bett gefesselt.
Bild: Waren es Hand- oder Fußfesseln? Das Klinikum Großburgwedel schweigt
Hamburg taz | Die Abschiebehaft war rechtswidrig. Eine Woche lang wurde die
erkrankte 24-jährige Afghanin Farida Tarzi* auf Weisung der Cuxhavener
Ausländerbehörde während ihres Aufenthalts im Klinikum Großburgwedel rund
um die Uhr von zwei Bediensteten der Justizvollzugsanstalt
Hannover-Langenhagen bewacht. Darüber hinaus, so berichtet ihr Anwalt Peter
Fahlbusch, wurde die 24-Jährige „drei Tage auch mit einem Fuß – und zwar
Tag und Nacht – an das Gestell des Krankenhausbettes gefesselt“. Fahlbusch
spricht von einem „Vollzug, der an mittelalterliche Verhältnisse erinnert“.
Und der fand statt, obwohl es der Ausländerbehörde klar sein musste, dass
überhaupt kein Haftgrund mehr vorlag. Zu diesem vernichtenden Urteil kommt
jetzt das Landgericht Stade. Denn nachdem die Frau am 24. Mai mit
Unterleibsschmerzen und Blutungen aus der Justizvollzugsanstalt in die
Klinik verlegt worden war, wäre es die Pflicht der Behörde gewesen eine
Frage „unverzüglich abzuklären“: Ob aufgrund des „gesundheitlichen Zust…
der Betroffenen noch eine Reisefähigkeit der Betroffenen vorlag und deren
Überstellung nach Schweden bis zum 12. 06. 2018 als letztmöglichem Termin
überhaupt noch durchgeführt werden konnte“.
Dies aber habe die Ausländerbehörde „unter Verstoß gegen ihre Pflicht zur
Amtsermittlung unterlassen“. Denn bereits am 25. Mai lag laut dem
Gerichtsurteil eine Bescheinigung des Ärztlichen Dienstes der
Justizvollzugsanstalt vor, „wonach die Betroffene bis voraussichtlich 14.
06. 2018 nicht reisefähig“ sein würde, und deswegen „eine Überstellung n…
Schweden bis zum 12. 06. 2018 als letztmöglichem Termin nicht mehr in
Betracht kam“. Da eine Abschiebehaft „ausschließlich zur Sicherung der
Durchführung der Abschiebung“ dienen darf, diese aufgrund der Erkrankung
aber nicht mehr realistisch war, habe die „Fortsetzung der Haft einen
unzulässigen Sanktionscharakter“ angenommen und daher Tarzi „in ihren
Rechten verletzt“.
Auch das Landgericht erwähnt in seinem Beschluss, dass die Klägerin vom 25.
bis zum 28. Mai 2018 „mit einem Fuß an das Bettgestell gefesselt“ war, um
ihre Flucht zu verhindern. Das Gericht misst diesem Umstand aber keine
entscheidende Bedeutung zu, weil der Vollzug der Abschiebehaft in dem
Zeitraum der Fesselung insgesamt und nicht nur aufgrund dieser zusätzlichen
Freiheitsberaubung rechtswidrig gewesen sei.
„Den eigentlichen Skandal in diesem Verfahren streift das Landgericht in
seiner Entscheidung nur“, meint Fahlbusch. „Ich war bislang davon
ausgegangen, dass eine solche Fesselungspraxis in Deutschland im 21.
Jahrhundert nicht möglich sei“, so der Rechtsanwalt, „aber möglicherweise
werden demnächst auch wieder Eisenkugeln zum Einsatz gebracht.“ Erst am 1.
Juni wurde die Haftanordnung gegen Tarzi aufgehoben, nachdem ein
Arztbericht der Afghanin eine fehlende Reisefähigkeit aus gesundheitlichen
Gründen attestierte. Die geplante Abschiebung nach Schweden fand deshalb
nicht statt.
Die zuständige Cuxhavener Ausländerbehörde will den Beschluss des
Landgerichts, der ihr Rechtsbruch vorwirft und erst seit Ende vergangener
Woche vorliegt, „jetzt prüfen“ und sich solange nicht äußern, bis die
interne Bewertung abgeschlossen ist. „Zur Art und Weise“ des Haftvollzugs
erklärt Behördensprecher Kai Thomas allerdings, die Stadt habe „die
Fesselung der Frau definitiv nicht angeordnet und auch keine Ahnung, wer
dies veranlasst hat“.
## Die Klinik Großburgwedel schweigt
Die Klinik Großburgwedel möchte sich zu diesem Thema gar nicht äußern. Ihr
Sprecher Steffen Ellerhof sagt, „die Schutzrechte von Patientinnen und
Patienten“ seien „der Grund, warum wir im Moment keine Auskunft zu dem
geschilderten Fall geben können“. Die Frage von Anwalt Fahlbusch, „was denn
die behandelnden Ärzte zu einer derartigen Fesselung sagen“, bleibt damit
unbeantwortet.
2016 war Tarzi nach Deutschland eingereist und hatte einen Asylantrag
gestellt, der 2017 als „unzulässig“ abgelehnt wurde, weil die junge Frau
zuvor schon in Schweden einen entsprechenden Antrag auf den Weg gebracht
hatte. Gleichzeitig wurde ihre „Überstellung“ nach Schweden auf Grundlage
des Dublin III-Abkommens angeordnet, nach dem jenes EU-Land für die
Bearbeitung von Asylverfahren zuständig ist, in dem Schutzsuchende erstmals
EU-Boden betreten haben.
Nachdem die Abschiebung mehrfach misslungen war, weil die Behörden Tarzi
unter ihrer Meldeadresse nicht angetroffen hatten, nahmen sie sie
schließlich am 23. Mai 2018 in Abschiebegewahrsam. Als ein Abschiebeversuch
noch am selben Tag scheiterte, weil der Gefangenentransport zum Hamburger
Flughafen im Stau stecken blieb, erwirkte die Behörde beim Amtsgericht
Stade Abschiebehaft für die Betroffene bis zum 12. Juni 2018. Genau an
diesem Tag endete die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verfügte
Frist für die Abschiebung der Afghanin nach Schweden.
*Name geändert
21 Feb 2019
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Asylsuchende
Abschiebehaft
Abschiebung
Geflüchtete
Cuxhaven
Ausländerbehörde
Dublin-II-Verordnung
Schwerpunkt Flucht
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