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# taz.de -- Schock in der Nacht: Abschiebung abgebrochen
> Eine irakische Familie mit fünf Kindern soll nach Portugal ausgeflogen
> werden. Stattdessen kommen mehrere Familienmitglieder ins Krankenhaus –
> wegen des Schocks.
Bild: Sind für die Geflüchteten mit großem psychischem Druck verbunden: näc…
HANNOVER taz | „Die Familie ist in Panik.“ Diesen Satz sagt Barbara
Erhardt-Gessenharter von der Bürgerinitiative Menschenwürde im Landkreis
Stade mehrfach. In der Nacht zum vergangenen Donnerstag sollte in Hedendorf
eine irakische Familie mit fünf Kindern nach Portugal abgeschoben werden.
Dort wird das Asylverfahren der Jesiden geführt. Doch Mitarbeiter der
Ausländerbehörde und die Polizei brachen den Abschiebeversuch nach nur elf
Minuten ab. Über das, was danach passierte, gibt es unterschiedliche
Versionen.
Denn nachdem die Polizisten abgerückt waren, riefen Unterstützer einen
Notarzt. Die Mutter, ihr zwölfjähriger Sohn und eine Verwandte, die
ebenfalls in der Unterkunft lebt, wurden ins Krankenhaus eingeliefert. „Sie
lagen auf dem Boden, die Augen geschlossen und waren nicht ansprechbar“,
sagt Erhardt-Gessenharter. Sie selbst war nicht vor Ort, habe jedoch mit
Augenzeugen gesprochen. „Sie machten ruckartige Bewegungen und haben
heftigst geatmet.“ Die drei hatten hyperventiliert.
Die Beamten kamen gegen ein Uhr nachts und hatten einen Arzt dabei, der die
Familie bis nach Portugal begleiten sollte. Nach Darstellung des
Landkreises haben die Mitarbeiter geklopft und ihnen wurde geöffnet. „Die
Tür ist nicht beschädigt oder mit einem Schlüssel geöffnet worden“, sagt
Dezernentin Nicole Streitz. Erhardt-Gessenharters Version klingt anders:
„Plötzlich standen fremde Männer vor ihrem Bett und redeten auf sie ein.“
Die Eltern seien von den Polizisten wachgerüttelt worden. Ein Dolmetscher
war nicht dabei.
„Ihnen wurde sofort das Handy abgenommen“, sagt Erhardt-Gessenharter. Die
Mutter habe dann eine Panikattacke bekommen. Auch Dezernentin Streitz
berichtet davon, dass der Hintergrund für die Entscheidung, die Abschiebung
abzubrechen, war, dass „sich neben Frau M. auch zwei ihrer Kinder sehr
stark aufregten.“ Aus Sicht der Anwesenden sei es „höchst zweifelhaft“
gewesen, ob sie den Flug hätten antreten können.
Die Polizisten verließen die Räume, warteten aber noch draußen vor der
Unterkunft. Die Situation habe sich hörbar beruhigt, sagt Streitz. Auch der
anwesende Arzt habe „keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen
festgestellt“. Den Vorwurf von Unterstützern, die Polizei habe den
Rettungswagen nicht gerufen, obwohl das nötig gewesen wäre, weist sie
zurück. „Es ist in keiner Form denkbar, dass wir über am Boden liegende,
hilflose Personen hinweg gestiegen wären“, sagt Streitz.
## Psychologisches Gutachten lag vor
Unterstützerin Erhardt-Gessenharter kritisiert jedoch auch noch einen
anderen Punkt. Dem Landkreis habe das Gutachten einer Psychologin
vorgelegen, das belege, dass die Mutter nicht reisefähig sei. Die Jesidin,
die mit ihrer Familie aus dem Irak vor dem IS habe fliehen müssen, leide
unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, heißt es dort. „Die
Symptomatik im Einzelnen besteht jetzt aus Angst- und Schmerzzuständen,
Bluthochdruck, Herzrasen, Schlaflosigkeit uns Flashbacks.“
Dezernentin Streitz bestätigt, dass ihr das Gutachten vorgelegen habe. Und
obwohl es zu spät gekommen und qualitativ nicht ausreichend sei, habe sie
einen Arzt hinzugezogen, der auf dieser Grundlage beurteilt habe, dass die
Mutter reisefähig sei. Untersucht hat der Arzt die Frau nicht. „Wir haben
damit mehr getan, als wir gemusst hätten“, sagt Streitz.
Doch nicht nur für die Mutter, auch für die Kinder seien Abschiebeversuche
„jedes Mal ein neuer Horrortrip“, sagt Erhardt-Gessenharter. Sie seien
während der vierjährigen Flucht nicht zur Ruhe gekommen. „Man kann nicht
absehen, was passiert, wenn es noch einen Abschiebeversuch gibt.“ Der
13-jährige Sohn habe schon angedroht, dass er aus dem Fenster springen
werde. „Ich hätte den Kindern gerne die Belastung einer Abschiebung
erspart“, sagt Streitz. Mehrfach habe man der Familie eine freiwillige
Ausreise nach Portugal nahe gelegt. Diese lehnte aber ab.
In Europa hatte die Familie zunächst griechischen Boden betreten. Nach rund
eineinhalb Jahren in Flüchtlingscamps kamen sie über das europäische
Verteilungsprogramm nach Portugal. Dort blieben sie nicht, sondern reisten
nach Deutschland weiter. Laut ihren Unterstützern leben dort
Familienmitglieder. „Sie hätten ihren Kindern eine weitere Entwurzelung
ersparen können, wenn sie in Portugal geblieben wären“, sagt Streitz. Es
sei Aufgabe des Landkreises, die Entscheidungen des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge (Bamf) umzusetzen. Zu einem weiteren
Abschiebeversuch sagt die Dezernentin noch nichts.
Erhardt-Gessenharter sorgt sich. „Die Familie schläft fast nicht mehr. Das
Licht ist an und einer schiebt immer Wache.“ Für die Betroffenen sei die
drohende Abschiebung ein enormer Druck.
8 May 2018
## AUTOREN
Andrea Scharpen
## TAGS
Abschiebung
Jesiden
Posttraumatische Belastungsstörung
Polizei
Asylsuchende
Irak
Irak
Schwerpunkt AfD
Ellwangen
Abschiebung
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