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# taz.de -- Berichterstattung zu Ellwangen: Deutsches Diskursversagen
> Nach den Vorfällen in Ellwangen ist immer wieder die Rede von
> Staatsversagen. Das zeigt, wie weit sich die öffentliche Debatte nach
> rechts verschoben hat.
Bild: Ellwangen steht anders als oft behauptet nicht für Staatsversagen, wohl …
Nehmen wir mal an, jemand, der gerade aus dem Urlaub zurückgekommen ist,
schlägt gestern zum ersten Mal seit einer Woche die Zeitung auf. Dort liest
er: Alexander Dobrindt (CSU) sieht in Deutschland eine „aggressive
Anti-Abschiebe-Industrie“, die versuche, Abschiebungen von Flüchtlingen mit
Klagen zu verhindern. Er liest, dass der Vorsitzende der Deutschen
Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, über Flüchtlinge sagt: „Wir müssen mit
dem Schlimmsten rechnen.“ Wendt sorgt sich um die Sicherheit von
Polizeibeamten, die in Flüchtlingsheime gehen.
Im Deutschlandfunk hört der Urlauber: „Aufruhr im Flüchtlingsheim. Wie viel
Härte muss der Rechtsstaat zeigen?“. Er beginnt zu googeln, und die Worte
„Staatsversagen“, „Eskalation der Willkommenskultur“, „Kapitulation d…
Rechtsstaates“ laufen über seinen Bildschirm.
Ihm wird mulmig, er schaut aus dem Fenster: Alles wie immer. Kein Wunder,
denn nichts von dem, was nach Kollaps klingt, ist wahr. Aber nach der
zunächst gescheiterten Abschiebung eines Togoers vergangene Woche in
Ellwangen und dem anschließenden Großeinsatz der Polizei ist eine Debatte
in Gang gekommen, die längst nichts mehr mit dem zu tun hat, was in
Ellwangen tatsächlich passiert ist.
Der Rechtsstaat ist nicht in Gefahr, weil 150 Geflüchtete versucht haben,
eine Abschiebung zu verhindern. Im Gegenteil: Der demokratische Rechtsstaat
erlaubt es ihnen doch erst, solidarischen Widerstand zu leisten. Dass der
weniger aggressiv und gewalttätig war als zunächst kolportiert, hat
[1][selbst die Polizei bestätigt]. Der Rechtsstaat ist auch nicht in
Gefahr, weil sich der Anwalt des Togoers weiter gegen die Abschiebung
wehren möchte. „Anwalt des Togoers droht mit Verfassungsklage“,
[2][berichtete Welt.de]. Schon die Wortwahl ist falsch: Eine Klage ist
keine Drohung, sondern ein legitimes Mittel im Rechtsstaat.
Auch der gesellschaftliche Frieden ist nicht, wie Alexander Dobrindt
behauptete, in Gefahr, weil Aktivisten und Anwälte versuchen, mit Klagen
Abschiebung zu verhindern. Wie gesagt: Die Möglichkeit, gegen
vermeintliches Unrecht oder Verfahrensfehler zu klagen, ist eine
Errungenschaft des Rechtsstaats, keine Bedrohung.
## In rechten Gewässern fischen aus Angst vor der AfD
Ellwangen steht nicht für Staatsversagen, wohl aber für ein
Diskursversagen. Die Vorfälle aus dem Flüchtlingsheim zeigen, wie weit sich
die öffentliche Debatte verschoben hat, seit AfD und andere Rechte so laut
geworden sind. Alexander Dobrindt weiß wahrscheinlich, dass seine Klage
gegen die „Abschiebeindustrie“ Quatsch ist. Aber er steht in Bayern vor
einer Landtagswahl und fischt so weit rechts wie möglich, um nicht an die
AfD zu verlieren.
Dabei müsste er nur nach Norden und nach Süden gucken, um zu sehen, dass
diese Strategie nicht funktioniert. In Nordbayern, in Sachsen, ist die
regierende CDU eine der rechtesten überhaupt, und trotzdem hat sich neben
ihr eine starke AfD etabliert. In Österreich ist die konservative ÖVP über
Jahre immer weiter nach rechts gerückt und konnte trotzdem den Aufstieg der
rechtspopulistischen FPÖ nicht verhindern.
Andere, die nach Ellwangen den Staatskollaps herbeireden, tun das womöglich
aus vorauseilendem Gehorsam. Damit ihnen niemand vorwerfen kann, sie hätten
ein unliebsames Thema verschwiegen. Nur zeigt die aktuelle Stimmung eben,
wie diese Strategie ins Gegenteil umschlägt: Wenn die Bild tagelang über
den „Abschiebeskandal“ in Ellwangen berichtet und behauptet, der Staat habe
den „Mob regieren“ lassen, ist es kein Wunder, dass 81 Prozent der
Deutschen in einer Bild-Umfrage sagen, sie glauben, der Staat sei bei
Abschiebungen überfordert.
Das Problematische an dieser Stimmung ist, dass sie den Weg ebnet für ganz
konkrete Politik, nämlich die Verschärfung der Asylgesetze. Sachsens
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schlägt vor, Flüchtlingen wieder
Sachleistungen statt Geld zu geben, und stellt indirekt die
Entwicklungshilfe zur Disposition. Andere wollen schnell die sogenannten
Ankerzentren aufbauen, in denen Flüchtlinge von ihrer Ankunft bis zur
Abschiebung isoliert werden sollen. Als wären all diese Vorschläge eine
Garantie dafür, dass sich in Zukunft kein Flüchtling mehr gegen seine
Abschiebung wehrt. Nein, im Gegenteil: Wer immer weiter an der Festung
Europa baut, der ist die eigentliche Gefahr für den gesellschaftlichen
Frieden.
7 May 2018
## LINKS
[1] /Neuer-Blick-auf-Vorfall-in-Unterkunft/!5500584
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article176106693/Ellwangen-Anwalt-d…
## AUTOREN
Anne Fromm
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