# taz.de -- Abschiebung um jeden Preis: Vom Staat getrennt | |
> In Niedersachsen wurde durch eine Abschiebung eine Familie zerrissen. Die | |
> Frau ist nun in der Psychiatrie. Sie soll auch abgeschoben werden. | |
Bild: Ins Flugzeug unter Polizeiaufsicht: Hier eine Abschiebung in Rheinmünster | |
HANNOVER taz | Aynur Huseynova ist völlig durcheinander. Sie hat seit Tagen | |
nichts mehr von ihrem Vater gehört. Der hatte sein Handy nicht dabei, als | |
er in den frühen Morgenstunden des 16. März nach Aserbaidschan abgeschoben | |
wurde. | |
„Wir haben dort keine Verwandten“, sagt die 30-Jährige. „Ich weiß nicht… | |
er ist.“ Das aber ist nicht das Schlimmste. Ihre Mutter, die auch | |
abgeschoben werden sollte, war zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht Zuhause | |
in Nordenham im Landkreis Wesermarsch, sondern im Krankenhaus. Die Polizei | |
schob ihren Mann trotzdem ab. | |
„Meine Mutter isst nichts, sie will keine Tabletten nehmen“, sagt | |
Huseynova. „Sie weint nur und sagt, dass sie nicht mehr leben will.“ Direkt | |
nach der Abschiebung ihres Mannes wurde die 61-Jährige in die Psychiatrie | |
eingewiesen. | |
Von dem Paradigmenwechsel in der Abschiebungspolitik, den Innenminister | |
Boris Pistorius (SPD) nach seinem Amtsantritt angekündigt hatte, sei nichts | |
mehr übrig, kritisiert der niedersächsische Flüchtlingsrat. Schon vor der | |
Abschiebung sei klar gewesen, dass die Frau nicht reisefähig sei. „Sie hat | |
schwere Depressionen und suizidale Gedanken“, sagt ihre Tochter. | |
In einem medizinischen Gutachten, das der taz vorliegt, bescheinigt eine | |
Ärztin der 61-Jährigen Anfang März eine schwere posttraumatische | |
Belastungsstörung und betont zweimal, dass die Patientin „unter keinen | |
Umständen reisefähig“ sei. | |
## Reiseunfähigkeit wurde schon 2014 festgestellt | |
Schon 2014 habe eine Amtsärztin aufgrund der psychischen Erkrankung eine | |
Reiseunfähigkeit festgestellt, schreibt der Flüchtlingsrat. Trotzdem habe | |
der Landkreis die Aufenthaltserlaubnis, als diese ein Jahr später | |
ausgelaufen sei, nicht verlängert. Im März 2017 habe die Ausländerbehörde | |
dann die Abschiebung angekündigt – ohne eine neue Untersuchung zu | |
veranlassen. | |
Laut Innenministerium sei ein Fehlverhalten der Ausländerbehörde „nicht | |
ersichtlich“. Diese habe sich in ihrer Entscheidung an einem | |
Oberverwaltungsgerichtsurteil orientiert. Das habe festgestellt, dass die | |
ärztlichen Berichte nicht für eine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit | |
genügten, sagt ein Ministeriumssprecher. Diese liege „nur dann vor, wenn | |
sich der Gesundheitszustand des Ausländers allein durch die Ortsveränderung | |
voraussichtlich wesentlich verschlechtere“. | |
Der Sprecher betont dennoch, dass die Familieneinheit bei Abschiebungen | |
unter besonderem Schutz stehe. Die Abschiebung des Vaters bewertet er aber | |
anders: „In diesem Fall lag keine Trennung einer Familie mit minderjährigen | |
Kindern vor.“ Das Ministerium will den Fall trotzdem erneut prüfen. | |
Huseynova sorgt sich: „Ich habe Angst, dass sie Mama aus der Klinik | |
abschieben.“ | |
22 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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