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# taz.de -- Familientrennung in Niedersachsen: Abschiebung ohne Papa
> Ein Bündnis gegen Abschiebungen protestiert in Northeim dagegen, dass
> Familien von Behörden getrennt werden, teilweise sogar, wenn Eltern krank
> seien.
Bild: Niedersachsens Endstation: Abschiebungshaft in Langenhagen
Göttingen taz | Vor dem Landkreisgebäude im südniedersächsischen Northeim
demonstrieren Flüchtlinge und ihre Unterstützer aus dem nahen Göttingen.
Sie haben zum Protest gegen eine „unsägliche Härte und Unmenschlichkeit“
der Kreisverwaltung im Umgang mit Geflüchteten aufgerufen. Gleich zweimal
habe die Ausländerbehörde Ende des vergangenen Jahres Familien bei
Abschiebungen auseinandergerissen, erklärten der Arbeitskreis Asyl, die
Basisdemokratische Linke und das Bündnis gegen Abschiebungen.
Der erste Fall betrifft eine Familie aus Armenien, die [1][im Rahmen der
Dublin-Regelung] nach Tschechien zurück soll. Diese besagt, dass das
Asylverfahren eines Geflüchteten in seinem EU-Ersteinreiseland geführt
wird. In diesem Fall schob der Kreis Northeim zunächst die Ehefrau mit zwei
kleinen Kindern nach Tschechien ab, während der Mann im Krankenhaus
behandelt wurde. Der Frau und den Kindern gelang die Rückkehr nach
Deutschland. Sie stellte einen neuen Asylantrag, musste das Verfahren aber
von der Erstaufnahme in Bramsche bei Osnabrück aus betreiben. Der Vater
blieb in der Klinik.
„Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde und zum Sozialamt musste, wurde
ihm dort eine Falle gestellt“, berichten die Unterstützer. Denn der
Sachbearbeiter habe die Polizei gerufen, um ihn abschieben zu lassen.
Während der Fahrt sei der Mann zusammengebrochen. Er habe als Notfall in
ein Krankenhaus in Sachsen-Anhalt aufgenommen werden müssen. Die
Abschiebung sei abgebrochen worden.
Nach Ansicht der Göttinger Rechtsanwältinnen Claire Deery, Regina Jördens
und Maria Bosten hat der Landkreis Northeim den verfassungs- und
völkerrechtlich verankerten Grundsatz der Familieneinheit wiederholt
missachtet. Die Ausweisung droht der Familie beziehungsweise einzelnen
Mitgliedern weiter.
## Das Muster wiederholt sich
Ebenfalls aufgrund der Dublin-Regelungen wollte der Kreis Northeim eine
türkische Familie nach Frankreich abschieben. „Während der Ehemann
stationär im Krankenhaus war, kam die Polizei, holte die Ehefrau und drei
minderjährige Kinder nachts aus dem Bett und verschleppte sie“, berichtet
das Bündnis gegen Abschiebungen: „Die Mutter in Handschellen gefesselt.“
Auch in diesem Fall kehrten Frau und Kinder in die Bundesrepublik zurück.
Ein Gericht entschied, dass Deutschland für den Asylantrag zuständig ist.
Obwohl die Familie so zunächst vor einer weiteren Abschiebung sicher ist,
sind Frau und Kinder durch den nächtlichen Überfall den Angaben zufolge
„schwer mitgenommen. Sie sind verängstigt, schlafen schlecht und schrecken
bei jedem Geräusch an der Tür hoch.“
Der Landkreis Northeim beantwortete eine taz-Anfrage zu den Vorgängen nur
mit einer knappen Mitteilung. In beiden genannten Fällen habe eine
Abschiebeanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
vorgelegen, sämtliche Entscheidungen würden vom BAMF getroffen – „auch,
dass jeweils eine Abschiebung im Zuge des sogenannten Dublin-Verfahrens zu
erfolgen hat“. Dem Kreis obliege lediglich „die Teilkoordinierung vor Ort�…
[2][Das niedersächsische Innenministerium] äußerte sich bis
Redaktionsschluss nicht.
Aus Sicht des Niedersächsischen Flüchtlingsrates handelt es sich bei den
Northeimer Abschiebeversuchen [3][nicht um Einzelfälle]. Vielmehr habe die
neue Härte bei Abschiebungen System. Abschiebungen dürften bundesweit schon
länger gesetzlich nicht mehr angekündigt werden, die Methoden würden
rabiater. „Familientrennungen kommen jetzt häufiger vor“, sagt Muzaffer
Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat der taz.
Dabei würden oft auch Frauen und Kinder wie Straftäter behandelt: „Wir
kennen Fälle, in denen Kindern Handschellen angelegt wurden.“ Die Trennung
von Familien werde auch dadurch praktiziert, dass Väter und Ehemänner in
Abschiebungshaft kämen. „Das alles passiert mit dem Ziel, die
Abschiebezahlen zu erhöhen“, sagt Öztürkyilmaz.
## Krankheit schützt nicht vor Abschiebung
Der Flüchtlingsrat kennt auch Fälle, in denen Abschiebehindernisse nicht
einmal mehr bei extremen Krankheitsfällen geltend gemacht werden können.
Zum Beispiel den Fall des tschetschenischen Flüchtlings A.
Der 32-Jährige erlitt im Februar 2018 nach einem Fahrradunfall ein
Schädel-Hirn-Trauma und eine Hirnblutung. Er lag wochenlang im Koma, musste
mehrfach operiert werden. In der Zeit starb zudem seine fünf Monate alte
Tochter an einem Herzfehler. A. hat noch drei Söhne, zwei davon sprechen
nicht. Sie müssten auf eine spezielle Sprachförderschule.
Und obwohl eine Psychiaterin und alle behandelnden Ärzte eine
Reiseunfähigkeit bescheinigten, wurde A. Ende November unerwartet
festgenommen und in einer mehrstündigen Autofahrt aus dem Kreis Wesermarsch
in die [4][Abschiebungshaftanstalt Langenhagen] bei Hannover gebracht. Der
zuständigen Ausländerbehörde liegen sämtliche Atteste und Gutachten vor,
trotzdem heißt es im Haftbeschluss: „Es bestehen … keine Bedenken gegen die
Haft- und Reisefähigkeit des Betroffenen, auch wenn er angab, aufgrund
eines Unfalls gesundheitliche Probleme zu haben.“
A. kam ohne ein Telefon in das Abschiebegefängnis und konnte keinen Kontakt
zu seiner Familie aufnehmen. Er war isoliert, da er nur russisch spricht.
Eine vom Flüchtlingsrat beauftragte Anwältin konnte seine Abschiebung nicht
verhindern. Am 16. Dezember 2019 wurde A. in Handschellen zum Flughafen
gebracht und ohne seine Familie abgeschoben.
30 Jan 2020
## LINKS
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/was-ist-das-dublin-verfahren…
[2] /Fluechtlingspolitik-in-Niedersachsen/!5071299/
[3] /Abschiebung-um-jeden-Preis/!5493022/
[4] /Kein-Geld-fuer-Beratung-in-Abschiebehaft/!5509334/
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Abschiebung
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